Text Matt Stone // Fotos Pawel Litwinski
JA, DER FORD GT40 IST PER SE EIN SUPERSTAR, DAS IST SCHON KLAR. ABER DIESER HIER HOLTE SICH DEN I-PUNKT UNTER DER REGIE VON STEVE MCQUEEN
Jeder Ford GT40 ist etwas Besonderes, jeder hat auch ein paar ganz eigene Besonderheiten – und trotzdem gibt es ein paar Typen, die sind noch etwas spezieller als die anderen. In diese Kategorie des Außerordentlichen mit noch mehr vom Ungewöhnlichen gehört der glanzvolle Vertreter mit der Kennzahl GT40P/1074. Dafür gibt es gleich drei Gründe, gute Gründe.
Erstens war er der Erste seiner Art, der ein großes Rennen in der Kultlackierung Gulf Orange/Gulf Blue gewonnen hat. Zweitens gehört er zu dem GT40-Trio, das der legendäre Rennstallbesitzer und -manager John Wyer auf die Piste geschickt hat (Chassis-Nummern 1074, 1075 und 1076). Der 1076 wurde berühmt, weil er als erstes Einzelfahrzeug zweimal in Folge in Le Mans triumphiert hat: 1968 mit Lucien Bianchi und Pedro Rodriguez, 1969 mit Jacky Ickx und Jackie Oliver. Bei einem der spannendsten Le-Mans-Finale passierte Ickx die Ziellinie etwa hundert Meter vor Hans Herrmann im Porsche 908 Coupé.
Und drittens holte sich der GT40 unter der Regie von Steve McQueen den i-Punkt auf dem Weg zum heldenhaften Superstar. Ausstattung und Form entsprechen dem regulären 1968er GT40, doch der 1074 wurde bereits 1967 gebaut und noch im selben Jahr ins Rennen geschickt. Karosse und Spezifikationen sind die der ersten GT40-Generation mit schlank konstruiertem V8. Aufgrund der Konstruktion wurde er – nicht einmal im Rennbetrieb – jemals mit dem großen Motorblock des 427er ausgestattet.
DIE BREITEN »FENSTERBÄNKE« UND DER ÜBERROLLKÄFIG ERSCHWEREN EIN WENIG DEN EIN- UND AUSSTIEG, ABER DIE TÜREN SIND AUSREICHEND TIEF IN DIE DACHKONSTRUKTION GESCHNITTEN, DASS SIE SICH – STICHWORT SCHNELLE FAHRERWECHSEL – WEIT ÖFFNEN LASSEN
Zwar gibt es Parallelen zum weiterentwickelten GT2B (mit Big-Block-Aggregat) – aber zu dem Zweig der Familie gehört er nicht. Seine Maschine, die bei 6800 Umdrehungen 440 PS erzeugt, ist ein 289ci Ford Fairlane-V8 mit Gurney-Eagle-Zylinderköpfen und einer regelrechten Phalanx aus 48 IDA-Weber-Doppelvergasern. Die Kraft des gewaltigen Motors wird über ein 5-Gang-Transaxle-Getriebe auf die Straße gebracht: Die Übersetzungen des ZF 5 DS-25/1 entsprechen denen im De Tomaso Pantera und Maserati Bora.
Auch beim Fahrwerk wurden keine Kompromisse gemacht: unterschiedlich lange Querlenker vorne und hinten plus Längslenker hinten, im Zusammenspiel mit justierbaren Koni-Dämpfern und Girling-Scheibenbremsen rundherum. Das Ganze bei einem Radstand von 2,41 Metern. Die ursprünglichen Scheinwerferabdeckungen wurden entfernt, stattdessen wurde das an diesem GT wohl auffälligste Merkmal hinzugefügt: vor den Vorderrädern platzierte Flügelbleche, die bei extremer Geschwindigkeit die Bodenhaftung vorne verstärken und stabilisieren soll. Der Innenraum ist wie in jedem GT40: Der Fahrer sitzt auf der rechten Seite, schaltet mit der rechten Hand und hat ein langes, flaches Instrumentenbrett vor sich.
Die Rennlaufbahn des 1074 war zwar nicht umwerfend, aber dennoch wichtig. Die Dominanz von Porsche im oberen Segment der Sportwagen-Wettbewerbe zeichnete sich bereits ab. Der erste Sieg dieses Autos ereignete sich 1967 in Spa, mit dem »fliegenden Zahnarzt« Dr. Dick Thompson und dem magischen Jacky Ickx am Steuer.
HIGHSPEED-AUFNAHMEN VON RENNWAGEN KANN MAN SCHLIESSLICH NICHT MIT EINEM FORD TRANSIT MACHEN, ODER?
Aber auch bei anderen Veranstaltungen wurde der 1074 stets von Top-Piloten gefahren, darunter David Hobbs, Mike Hailwood, Paul Hawkins und Brian Redman. 1969 kamen ein paar weitere Rennen in Europa hinzu; allerdings durchweg ohne nennenswerte Resultate. Zu diesem Zeitpunkt hatte der autokrate Ford seine beste Zeit hinter sich.
Aktuellen Entwicklungen hinkte er etwas hinterher, im Rennzirkus gehörte er nicht mehr zu den führenden Dompteuren. Demzufolge wurden viele dieser Wagen eingemottet. Den 1074 kaufte im Jahr 1970 ein gewisser David Brown – nicht zu verwechseln mit dem von Aston Martin. Kurz darauf vermietete er das Auto an Steve McQueens Produktionsfirma Solar. Die brauchte für den Dreh von Le Mans einen passenden Untersatz – als Kamerawagen für Highspeed-Aufnahmen!
McQueen, bekannt für den kompromisslosen Realismus in seinen Filmen, hatte sich vorgenommen, in seinem Rennfilm eine möglichst große Menge authentischer Rennwagen einzusetzen. Ganz realistisch: alles vom Feinsten. Mehrere Porsche 917 und Ferrari 512, außerdem Lolas und Matras des Laufs von 1970. Filmen wollte er bei voller Geschwindigkeit oder zumindest dem Grenzbereich sehr nah. Daher konnte man den Kameramann nicht auf die Pritsche eines Ford Transit legen. Als Untersatz für den Kameramann brauchte man etwas Schnelleres.
HEUTE SIEHT DER FORD GT40 1074 WIEDER SO ATEMBERAUBEND AUS WIE EINST – SEIN AKTUELLER BESITZER HAT DIE LETZTEN SPUREN DES FILMJOBS BEHEBEN LASSEN
Als Erstes wurde auf eins von McQueens Autos eine Kamera gebaut – den 908 Spyder, mit dem der kompromisslose Schauspieler und Peter Revson kurz vorher in Sebring auf Platz zwei gefahren waren. Zusätzlich brauchte man für andere Perspektiven – auch Aufnahmen des 908 – einen weiteren Kamerawagen. Da der nicht im Film auftauchen würde, musste es kein regelkonformer Racer der aktuellen Saison sein. Action, Klappe: Auftritt des Ford GT40. Das Auto hat natürlich wunderbar ins Konzept gepasst.
Der 1074 benötigte keine leistungssteigernden Mittel, um mit dem Rest der Meute mitzuhalten. Allerdings waren ein paar größere chirurgische Eingriffe nötig, um die Kameras unterzubringen. Fast das ganze Dach musste entfernt werden, erhalten blieb die kleine Windschutzscheibe, und der hintere Bereich wurde für eine drehbare Kamera umgebaut. Die Fahrer des Kamerawagens, hauptsächlich der Rennfahrer Jonathan Willams, hielten das Gefährt zwar für reichlich instabil, aber solange der Wagen für kurze Sequenzen neben einem 917 oder 512 standhielt, war die Regie zufrieden. Der 1074 erfüllte seinen Zweck mit Bravour. Was wäre Le Mans ohne die Rad-an-Rad-Duelle?
Nach dem Ende der Dreharbeiten ging der 1074 zurück zu David Brown nach Florida. Der verkaufte ihn nach ein paar Jahren weiter an Harley E. Cluxton III, auch ein hervorragender Fahrer, inzwischen Konstrukteur und Teamchef. Mit seiner Firma Grand Touring Cars kauft und verkauft, wartet und restauriert er klassische Automobile. Hauptsächlich jedoch ist Cluxton auf Ford spezialisiert. Zwischenzeitlich besaß er auch den GT40 1076. Den 1074 hat Cluxton 1974 an den renommierten Sammler Sir Anthony Bamford verkauft. Zu dem Zeitpunkt waren an dem Auto immer noch ein paar Spuren des Nebenjobs beim Film zu erkennen. Es war Teil seiner Geschichte, es machte ihn einmalig.
Doch die Spuren des Kamerawagens waren für Bamford nicht überzeugend. Er wollte das originale Racing-Finish und erteilte gleich dem Karosseriebauer Abbey Panels den Auftrag zur Wiederherstellung. Die für den Filmdreh irreparabel zurechtgeschnitzten Türen wurden durch originale ersetzt, und dann stand er wieder da wie am ersten Tag.
Sein Zustand ist nach wie vor exzellent und weist lediglich eine minimale Patina auf, die er sich auf diversen Ausstellungen und der einen oder anderen Bergstrecke beim Goodwood Festival of Speed erworben hat. Wie auf den Fotos zu sehen ist, trägt der Wagen seinen »Standard«-Aufbau, obwohl die leichten Mirage-Komponenten im Transportfall extra verpackt werden und beim Verkauf ebenso mit zum Gesamtpaket gehören wie ein historisch korrekter Austauschmotor und ein zweiter Radsatz.