
Text Andrew English // Fotos Jamie Lipman
DER NEUE VW T6 SCHARRT SCHON MIT DEN HUFEN, IN WENIGEN WOCHEN TREFFEN DIE ERSTEN MODELLE BEI DEN HÄNDLERN EIN. GRUND GENUG FÜR OCTANE, ZURÜCKZUSCHAUEN AUF DIE GESCHICHTE DES KULTIGEN UND VIELVEREHRTEN VW BULLI
Seit 65 Jahren fährt der VW Bulli Familien in den Urlaub, Surfer zum Strand und Möbel an neue Wohnorte. Jetzt wird der Kult-Kleinbus ein weiteres Mal neu aufgelegt – die sechste Generation des Kult-Wagens klopft also an die Türe. Retro-Charme sucht man beim T6 allerdings vergeblich. Da schwelgen wir doch gerne ein bisschen in der Vergangenheit – und blicken im Zuge dessen auch nach England, wo der Bulli ebenfalls als Kultobjekt verehrt wird. Denn ein Brite war maßgeblich an seiner Entstehung beteiligt.
Vor vierzehn Jahren ließ Volkswagen die Geschichte noch einmal aufleben: mit einer Microbus-Studie auf der Detroit Auto Show. Realisiert wurde der Microbus bis heute nicht. Stattdessen kommt nun ja der neue T6. Entstanden war der NAIAS-Microbus fast zehn Jahre zuvor im kalifornischen Design-Center von VW, parallel zum Entwurf des Beetle.

Um Maschinen in der Fabrik zügig zu bewegen, entwarf Major Ivan Hirst, entsandt von der britischen Regierung, einen offenen Lkw. Sein »Plattenwagen« hatte einen Leiterrahmen, Käfer-Achsen, eine offene Fahrerkabine und Vierzylinderantrieb. Das Gefährt erinnerte den niederländischen Importeur Ben Pon an pedalgetriebene Lieferwagen seiner Heimat, also fragte er bei VW an, ob man ihm solch ein Exemplar bauen könne. Der Major übergab 1948 die Produktentwicklung an Alfred Haesner von den Phänomen-Werken, der in Zittau Lieferwagen und leichte, luftgekühlte Motoren bauten.
KAUM BEKANNT UND VERBLÜFFEND: BIS 2003 STELLTE VW KEINEN CAMPINGBUS HER, SONDERN ÜBERLIESS DIE AUS- UND UMBAUTEN UNTER ANDEREM WESTFALIA
Hirst hatte sich zuvor um einen anderen Ingenieur bemüht. Der darauf: »Ich bin Mercedes-Mann. Und Mercedes ist bald wieder oben.« Es war der legendäre Rudolf Uhlenhaut, der Ivan Hirst abblitzen ließ. Der erste Prototyp des Typ 2 stand 1949. Die Testfahrten auf dem erbärmlichen Nachkriegs-Straßennetz brachen ihm jedoch fast das Kreuz.

Flugs wurde ein weiterer Prototyp zusammengeschraubt, diesmal mit maßgeschneidertem Leiter-Rahmen statt Käfer-Chassis. Am 8. März 1950 lief der erste vom Band. Angetrieben wurde der T1 des Typ 2 von dem Boxermotor des Käfers. Wolfsburg baute den T1 in vier Ausführungen: als achtsitzigen Minibus, Kasten-, Pritschen- und Krankenwagen. Einen Luxusbus mit charakteristischen Dachfenstern baute man als Samba. Kaum bekannt und verblüffend: bis 2003 stellte VW keinen Campingbus her, sondern überließ diese Aus- und Umbauten Lizenznehmern wie Westfalia.
1955 stellte VW eine besser belüftete Version mit größerer Motorkraft und einem längeren Dach vor, das für die charakteristische »Krempe« oberhalb der Windschutzscheibe sorgte. Als Ford 1965 den Transit vorstellte – mit V4-Motor, zuverlässiger Lichtmaschine und eine der Ladefläche dienliche breite Spurweite –, kämpfte man im Bulli noch mit einer Stromversorgung von sechs Volt. Der 1967 vorgestellte T2 ließ sich leichter steuern, war schneller, und die seitliche Schiebetür gab es nun serienmäßig.
VOM T2 WURDEN MEHR GEBAUT ALS VON JEDEM ANDEREN VW BULLI. 1979 WURDE DIE PRODUKTION EINGESTELLT – IN EUROPA. IN BRASILIEN WURDE DAS MODELL BIS ENDE 2014 GEBAUT
Vor allem die wachsende Camping-Gemeinde begeisterte sich für den bei VW offiziell immer noch als »Transporter« geführten Bus. In Kalifornien wurde der Bulli nicht nur bei den Surfern zum Hit. Vom T2 wurden mehr gebaut als von jedem anderen VW-Bus. 1979 wurde die Produktion eingestellt – in Europa. In Brasilien wurde das Modell bis Ende 2014 gebaut. VW reagierte 1975 auf veränderte Bedürfnisse mit dem großvolumigen Transporter LT. Der Nachfolger des T2, der ab 1979 produzierte T3, wurde auch größer und entsprechend dem Stil der Zeit kantiger.
Der VW Bulli T3 war in fast jeder Hinsicht besser als seine Vorgänger. Gut vierzig Jahre nach dem Original war er eine Abkehr von der käferbasierten Konstruktion. Trotz vieler Vorzüge hinkte der T3 den neusten Entwicklungen hinterher, in der Freizeitnutzung konnte der T3 den Vorgängern nicht das Wasser reichen. Geblieben war übrigens an der Seite die Schiebetür, damit eingebaut ein Geräusch, das frühmorgens auf Campingplätzen nicht immer jeden erfreut.
Richtig anders war der T4 von 1990. Obwohl besserer, sichererer und raffinierter als sein Vorgänger, markierte er das Ende einer Ära. Ihm fehlte schlicht Charisma. Auch der T5 war größer und noch langweiliger. Dass einen der T4 oder der T5 nicht mehr so mitnehmen kann wie die heckgetriebenen Ahnen, liegt auf der Hand. Dabei ist die Nachfrage nach den alten Modellen größer denn je. Und wenn man dann in den Genuss einer Spritztour mit dem Original, dem VW Typ 2 T1, kommt, wird einem klar: Er ist nicht schnell, er ist nicht sportlich. Aber er hat einfach Charme. Bis unters Dach.