Der Talbot-Lago Grand Sport verkörpert die Eleganz einer Ära, in der automobile Träume noch von Hand geformt wurden. Seine geschwungenen Linien, das tiefe Grollen seines Motors und die Liebe zum Detail erzählen von einem Selbstverständnis, das nicht auf Tempo allein, sondern auf Stil, Charakter und Individualität setzt. Wer ihm begegnet, spürt sofort: Hier steht kein Auto, sondern ein kleines Kunstwerk auf Rädern – geschaffen für leidenschaftliche Ästheten, nicht für Eilige. Kürzlich schaffte es eine wiederbelebte Talbot-Ikone beim Pebble Beach Concours unter die ersten vier.

Sein Debut hatte der Talbot-Lago T26 Grand Sport auf dem 35. Pariser Automobilsalon am 7. Oktober 1948 – mitten in einer Welt, die noch von den Entbehrungen der Nachkriegszeit geprägt war. Als unangefochtener Star des Salons zeigt sich der Talbot auf Basis des GS-Chassis mit einem umwerfende Fastback-Coupé, das mit diesem beeindruckenden Aufbau im für Saoutchik prägenden Barock-Stil nur sechsmal entstehen wird. Dabei gleicht kein Exemplar exakt dem anderen.
Der Talbot-Lago: Eine hoffnungsvolle Entwicklung für den Nachkriegsmarkt
Ende 1942 war Paris noch von der Wehrmacht besetzt – die Talbot Lago-Fabrik steht unter dem Druck, für die Besatzer Kriegsgerät zu produzieren. Mit Blick auf das schwindende Kriegsglück der Deutschen beginnen Anthony Lago und sein Chefingenieur Carlo Marchetti heimlich mit der Entwicklung eines neuen, leistungsstarken Sechszylinders für den Nachkriegsmarkt. Eine siebenfach gelagerte Kurbelwelle, Nasssumpfschmierung und ein Gusseisen-Block sollen gleichermaßen Zuverlässigkeit und Durchzugskraft garantieren. Der Hubraum von 4482 Kubik entspricht 26 CV oder Steuer-PS, daher die Bezeichnung T26.
Zwei seitlich und halbhoch auf jeder Seite des Blocks liegende Nockenwellen betätigen über kurze Stößelstangen und Kipphebel große, obenliegende und in einem 90°-Grad-Winkel zueinander geneigte Ventile. Je eine einzelne Zündkerze sitzt in der Mitte der halbkugelförmigen Brennkammer – für den flüchtigen Betrachter ähnelt der Motor so einem DOHC-Layout. Doch diese Konstruktion bietet zwar einige der Vorteile einer ketten- oder zahnradgetriebenen OHC-Konfiguration, ohne aber hohe Entwicklungs- und Produktionskosten zu verursachen, was für Talbot immer ein Problem war. Die großen Ventile sichern eine gute »Atmung«, während die leichten, rotierenden Teile den Motor relativ drehfreudig machen, wenn auch nicht ganz so extrem wie bei einem V12-Ferrari, der nur wenige Jahre später auf den Markt kommen wird.
Gespeist von zwei Zenith-Stromberg-Vergasern und 7:1 verdichtet leistet der Saug-Motor 170 PS bei 4200 U/min, was den großen Reihensechszylinder zu einem der leistungsstärksten Pkw-Motoren der Welt macht.

Der T26- Motor als brillantes Schmuckstück des Pariser Autosalons
Bereits auf dem ersten Nachkriegs-Salon in Paris trat Talbot mit einem Fahrzeug an – den Lago-Record T26 als Reisefahrzeug. Der Blick richtete sich hier aber vor allem auf den T26-Motor. Mit seinen polierten Ventildeckeln und dem markanten TALBOT-LAGO-Schriftzug im Art-déco-Stil ist er nicht nur eine optische Augenweide, sondern macht den Lago-Record zu einem der leistungsfähigsten Pkw auf dem Markt. Das legendäre Fahrgestell hat im Folgejahr sein Debut. Es ist eine Weiterentwicklung des legendären Vorkriegsmodells T150 C-SS und teilt mit Ausnahme des neuen Triebwerks praktisch alle seine Spezifikationen. Ziel ist es, den GS in seiner Konzeption, Haptik und Fahrbarkeit den Grand-Prix-Modellen technisch so nah wie möglich zu kommen. Für ein präzises Sportwagen-Handling wählt Talbot einen kurzen Radstand von 2,65 Meter, wodurch der T26 Grand Sport wie der T150 C-SS ausschließlich als Zweisitzer vermarktet wird.
Anthony Lago macht aus der finanziellen Not eine Tugend und geht den direkten Weg. Er montiert einfach seinen überarbeiteten Motor, ein Wilson-Vorwahlgetriebe und von den GP-Modellen abgeleitete Aufhängungskomponenten. Es funktioniert: Das komplette GS-Chassis mit all seinen mechanischen und Nebenaggregaten wiegt im Vergleich zu den 1280 Kilogramm eines Chassis aus der Record-Familie nur 850 Kilo. Selbst mit allen Flüssigkeiten bleibt der Zeiger der Waage bei knapp einer Tonne stehen.
Der Markt für den T26 Grand Sport ist überschaubar
Der T26 Grand Sport richtet sich an eine zahlungskräftige, sportliche Kundschaft, die ein schnelles Alltagsauto will und nicht abgeneigt ist, als Privatfahrer an Rallye- und Rennveranstaltungen und gelegentlich an einem Concours d’Élegance teilzunehmen.
Es gab zwar eine Zielgruppe, aber keinen großen Markt. Während des Krieges waren große Vermögen verloren gegangen, aber ebenso viele wurden gemacht. Doch die Zeiten hatten sich geändert. Es herrschte eine kühle Finanzlage, die Jagd nach Kollaborateuren und Kriegsverbrechern war noch in vollem Gange und nur wenige waren bereit, auf ihre Gewinne aufmerksam zu machen – ob nun unrechtmäßig erworben oder nicht.
Auch der schwindelerregende Preis war nicht gerade hilfreich. Der Talbot-Lago Grand Sport war mit Abstand das teuerste inländische Fahrgestell im Nachkriegsfrankreich, wenn nicht sogar weltweit. Der T26 GS war so teuer, dass ihn sich kaum jemand leisten konnte, egal wie man es auch drehte. Daher wurden von 1948 bis 1952 nur 32 oder 33 Grand-Sport-Fahrgestelle hergestellt, von denen mindestens sieben (möglicherweise neun) trotz Rechtslenkung in den Export gingen. In fünf Jahren verkaufte Talbot-Lago zwischen 23 und 25 Grand Sport auf dem französischen Inlandsmarkt (mit 40 Millionen Einwohnern). Ein Verkaufserfolg sah anders aus.

Chassis 110101: Das erste Grand-Sport-Fahrgestell
Das Chassis 110101 verließ als erstes Grand-Sport-Fahrgestell das Talbot-Werk im Pariser Vorort Suresnes am 10. Juli 1948 als »nacktes» Fahrgestell in Richtung der Saoutchik-Studios im nahen Neuilly-sur-Seine. Der erste Besitzer war Jean-Louis Robert Bogey.
Saoutchik schuf für das Fahrgestell 110101 ein Fastback-Coupé mit fantastischen Proportionen, ein wahres Meisterwerk der Karosseriebaukunst. Das Design verband einen genau ausgeklügelten interaktiven Fluss aus verführerischen, wunderschönen und doch zarten Kurven. Das Gesamtwerk kam so nah an den Gedanken des Autos als Skulptur heran wie bis dahin keine Karosserie in der Geschichte des Automobil-Designs. Das Saoutchik-Coupé mit Schrägheck gilt zu Recht als krönender Abschluss des französischen Autodesigns der Nachkriegszeit.
Die Zweifarb-Lackierung war nicht weniger kühn: eine gewagte Kombination aus pastellfarbenem Mintgrün und schokoladenbraunen Kotflügeln, dazu passende braune Drahtspeichenfelgen und ein »Wasserfall«-Kühlergrill mit abwechselnd grünen und braunen vertikalen Lamellen. Die Innenausstattung war in dunkelblauem und mintgrünem Leder ausgeschlagen, alle Bedienelemente, die Armaturen und die Einfassung des Instrumententrägers trugen Ringe und Einfassungen aus 24-karätigem Gold. Man hätte meinen können, dass sich das alles schrecklich beißen würde. Aber das Gegenteil war der Fall. Wie bei den komplexen und geschwungenen Krümmungen der Karosserie hatte Saoutchik auch hier aus dem Chaos Harmonie geschaffen.
Nach seinen Auftritten unter anderem auf dem Pariser Salon 1948 und dem Brüsseler Autosalon 1950 wechselte der Talbot Lago 110101 noch mehrmals den Besitzer. Als Teil der Collection von Peter Mullin und dessen Frau Merle wurde der Talbot Lago 110101 auf Top-Events wie dem Pebble Beach Concours und zeigte sich hier bereits als Ergebnis einer 7 Jahre andauernden Restaurierung.






Das ganze Portrait über den Talbot Lago Grand Sports lesen in OCTANE #76
10 spannende Fakten über den Talbot-Lago
- Französischer Luxus mit britischen Wurzeln: Die Marke Talbot entstand ursprünglich in Großbritannien, wurde aber später in Frankreich unter Antonio Lago zur Legende des automobilen Luxus.
- Karosseriekunst vom Feinsten: Viele Grand Sport-Modelle wurden nicht in Serie gefertigt, sondern einzeln von Karosseriebauern wie Figoni & Falaschi oder Saoutchik eingekleidet – jedes ein Unikat.
- Rennsiege gegen die Großen der Branche: In den 1930ern und 1940ern konnte Talbot mit Teams wie Mercedes-Benz und Alfa Romeo konkurrieren – 1950 belegte ein Talbot-Lago den dritten Platz beim allerersten Formel-1-Rennen der Geschichte.
- Leicht, schnell, selten: Mit rund 190 PS bei einem Gewicht von nur etwa 1.200 kg war der Grand Sport seiner Zeit sportlich weit voraus.
- Inspiriert vom Rennsport: Die Technik basiert auf Talbots erfolgreichen Le-Mans-Rennwagen – unter anderem dem T26C, der Grand-Prix-Geschichte schrieb.
- Hollywood-Flair: Einige Talbot-Lago-Modelle erschienen in Filmen der 1940er und 1950er – oft als Statussymbol der Reichen und Stilbewussten.
- Art-déco auf Rädern: Vor allem die Varianten mit Karosserien von Figoni & Falaschi gelten als Höhepunkt des automobilen Art-déco-Stils.
- Eines der teuersten Fahrzeuge der Welt: Auf Auktionen wurden Talbot-Lago Grand Sports bereits für über zehn Millionen Euro verkauft.
- Zukunft mit Stil: Selbst Jahrzehnte später dienen die Linien des Talbot-Lago Designern als Inspiration – etwa für Concept Cars oder Coachbuild-Projekte.
- Letzter Atemzug 1959: Nach mehreren Übernahmen und Versuchen zur Wiederbelebung endete die ursprüngliche Geschichte von Talbot in den späten 1950er-Jahren – bis zur temporären Wiederbelebung durch Peugeot in den 1970ern.
Noch mehr Geschichten über Ikonen der Fahrzeuggeschichte finden Sie in diesen Ausgaben
-
OCTANE Edition #06 – Italienische Sportwagen Numero Uno9,16€
zzgl. Versandkosten
-
Ausgabe 54 – Steve McQueen “LeMans”8,41€
zzgl. Versandkosten
-
Ausgabe 50 – Citroën SM8,41€
zzgl. Versandkosten
-
Ausgabe 58 – 75 Jahre Ferrari8,41€
zzgl. Versandkosten
-
OCTANE Edition #08 – Super Sportwagen9,16€
zzgl. Versandkosten
-
OCTANE Edition #05 – Faszination ALFA ROMEO9,16€
zzgl. Versandkosten
Oder bestellen Sie sich OCTANE ganz bequem im Abo nach Hause

OCTANE Jahresabo – 6x OCTANE versandkostenfrei
Versandkostenfrei