1933 stellte die von einem Bugatti-Motor angetriebene Niniette III einen Geschwindigkeitsweltrekord auf dem Wasser auf. 2022 wagt sich John Simister an das frisch restaurierte “Wasserflugzeug”. Um zu erleben, wie es ist, auf einem Luftpolster übers Wasser zu gleiten.
Ein aufgeladener Bugatti-Reihenachtzylinder. Ein 4,5 Meter langes Holzboot, dessen einziger Insasse auf dem hintersten Teil kniet, denkbar knapp über dem Wasserspiegel. Ein Geschwindigkeitsweltrekord aus dem Jahr 1933.
Das sind einige der Zutaten, die in meinem Kopf zusammengerührt werden, während ich mich dazu zwinge, den Gashebel nach vorn zu drücken und damit die Fähigkeit zum Lenken wiederzuerlangen – auf Kosten einer schnelleren Ankunft am gegenüberliegenden Seeufer. Aber ich muss es tun, denn ich bin es Ihnen, den Lesern, schuldig, weil nicht viele andere Autoren jemals die Chance bekommen werden, in der Niniette III über das Wasser zu flitzen. In jenem Bugatti-Gleitboot, das vom 1906 in Österreich geborenen italienischen Prinzen Carlo Maurizio Ruspoli für seinen Versuch in Auftrag gegeben wurde, um 1933 einen neuen Weltrekord für 1,5-Liter-Motorboote aufzustellen.
Niniette war der Spitzname der zweiten Tochter von Ettore Bugatti, Lidia. Die meisten Bugatti-Kenner sind sich einig, dass es drei Niniette mit dem großen Fünfliter-V8 aus dem Bugatti T54 gab, aber nur eines mit dem vom 2,3-Liter-Motor abgeleiteten T51A-Motor, der durch die Verringerung des Hubs von 100 auf 66 Millimeter auf 1,5 Liter Hubraum reduziert wurde. Während die anderen Boote bei einem vermutlich amerikanischen Bombenangriff auf Venedig zerstört wurden, überstand die “kleine” und in einem anderen Depot gelagerte Niniette III den Krieg.
Ruspoli gelang es tatsächlich, am 1. November 1933 auf dem Comer See mit 93,3 km/h einen neuen Weltrekord aufzustellen. Sehr schnell für ein kleines »einstufiges« Gleitboot, dessen Unterseite am Bug mit einer herkömmlichen Kielform beginnt, um nach etwa einem Drittel der Strecke in einen flachen Boden überzugehen. Die Form bewirkt, dass sich der Bug anhebt, sobald man sich nicht mehr nur im Schritttempo fortbewegt. Gefolgt von einem Anheben des Hecks bei mehr als 20 Knoten oder 37 km/h. Erreicht wird dann der Effekt des Hydroplanings, der den Wasserwiderstand hinter der Stufe minimiert. Es wird Luft unter den Rumpf gebracht, damit das Boot gewissermaßen auf einem Luftkissen schweben kann.
Die Niniette III wurde von Tim Dutton, einem Bugatti-Experten aus Buckinghamshire, liebevoll und sorgfältig restauriert. Dutton ist gerade dabei, das Gleitboot auf einem der nördlich von Wallingford (Oxfordshire) gelegenen Queenford Lakes auf Jungfernfahrt zu schicken. Dabei kann alles Mögliche passieren. Er hat bereits festgestellt, dass das vordere Ruder der Niniette – das vielleicht angebracht wurde, um die Lenkung ähnlich wie bei einem Auto zu gestalten oder um den Wasserschub des Propellers nicht zu stören – in der Beschleunigungszone zwischen Trudeln und Hydroplaning, sprich wenn der Bug am stärksten nach oben zeigt, nutzlos über dem Wasser baumelt. Was heißt: Man kann das Boot nicht steuern, solange man nicht auf Geschwindigkeit ist.
“Man muss sich also vergewissern, dass man vor sich ein gerades Stück glatten Wassers hat”, sagt Dutton, bevor er genau prüft, wo die Bojen auf dem See liegen. Er kniet sich ganz am hinteren Ende hin, während das Wasser gefährlich nah an den Rand des Cockpits plätschert, schaltet die Benzinpumpe ein, drückt den Startknopf und der aufgeladene DOHC-Motor mit seinen acht kleinen Zylindern und den offenen Auspuffstummeln erwacht zum Leben. Die Drehzahl sinkt, als Dutton die Kupplung kommen lässt, um den Propeller zum Drehen zu bringen, und dann beschleunigt er ganz sanft. Noch einen Hauch mehr und das Heck sinkt in die sich sofort öffnende Wassermulde, deren Boden noch immer bedrohlich um Duttons Hintern kreist.
Der Bug ist nach oben gereckt, Dutton kann also nicht steuern. Ergo verlangsamt er, bis er nahe am Nordufer des Sees ist, wendet und will es nun wissen. Noch ist es ein bisschen zu früh, um Ruspolis Rekordfahrt nachzuahmen. Aber wie gewünscht hebt sich nun das Heck, der Bug senkt sich im Gegenzug ab und es kommt zum Hydroplaning, garniert von einem feinen Gischtschweif. Es klappt: Das Boot schwebt auf einem Kissen aus Luftblasen, gleitet über die Wasseroberfläche. Dutton muss jetzt sanft abbremsen, denn wenn er es zu abrupt tut, würde ihn die Welle, die er hinter sich gelassen hat, einholen und einnässen. Eine weitere Eigenart, die man sich in dieser neuen und fremden Welt der Bugatti-Boote merken muss.
Fotos: Barry Hayden // Bearbeitung: Thomas Imhof
In OCTANE #62 lesen Sie die ganze Geschichte der Niniette III.
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