Auf sein Erfolgskonto gehen acht Formel-1-Fahrertitel. Wie kann Ross Brawn, der brillante Techniker von einst, es heute mit seinem einzigartigen, aber gemächlichen Wilson-Pilcher von 1904 so ruhig angehen lassen?
Der kalte Wintermorgen, an dem wir uns treffen, kann Ross Brawn in seiner fellgefütterten Lederjacke nichts anhaben. Er ist locker drauf, hellwach und begrüßt mich freundlich. Er macht den Anschein eines fokussierten, geradlinigen Menschen, so wie man es von einer Person mit seinem Werdegang und seinem Ruf erwartet. Und wenn es einen ganz besonderen Charakterzug an ihm gibt, dann ist es seine entwaffnende Bodenständigkeit. Ohne Umstände hüpft er auf den Beifahrersitz meines Wagens und dirigiert mich zu seiner nur wenige Minuten entfernten Autosammlung.
Es ist ein nichtssagendes Industriegebiet, zu dem Fotograf Andy und ich eingeladen sind. Mit einem wärmenden Kaffee in der Hand fällt unser Blick im Inneren der Halle auf eine Reihe verhüllter Autos – die Stars von Brawns persönlicher Sammlung. »Ich neige dazu, Autos von Herstellern zu sammeln, mit denen ich zu tun hatte«, sagt er lachend und fragt, ob wir erkennen können, was sich unter den Abdeckungen befindet.
Wir entdecken die Umrisse eines Ferrari 288 GTO und eines F40 – »großartig auf der Strecke, wenn man so was mag, aber zu schnell für die Straße« – sowie mehrere Jaguar E-Types und einen Mercedes 300 SL Gullwing. Alles Autos, die an seine Erfolge erinnern. An die Dominanz von Ferrari in der Formel 1 mit sechs aufeinander folgenden Konstrukteurstiteln von 1999 bis 2004 sowie fünf Fahrertiteln mit Michael Schumacher. An seine Zeit bei Jaguar, wo er als Chefdesigner den XJR-14 verantwortete, der 1991 die Sportwagen-WM gewann. Und an den Gewinn der Konstrukteursmeisterschaft 2009 und der Fahrerwertung durch Jenson Button mit seinem eigenen F1-Rennstall Brawn GP, der ein Jahr später von Mercedes aufgekauft wurde.
Ein paar andere Autos gibt es auch noch, wie den AC Ace mit dem raren Ruddspeed-Motor, auf den Brawn besonders stolz ist, und eine Cobra 289. Doch unter all den Schmuckstücken der 1950er- bis 1980er-Jahre fällt ein Auto gehörig aus dem Rahmen. Es ist das Auto, das Brawn beim Abnehmen der Decke das breiteste Grinsen ins Gesicht zaubert: ein Wilson-Pilcher von 1904, mit dem er 2013 den ‚London to Brighton Veteran Car Run‘ bestritt.
»Wir sind heute ziemlich blasiert, wenn es um Fortbewegung geht«, sagt Brawn. »Als dieses Auto neu war, mussten sich die Leute innerhalb eines Tages vom Pferd auf so ein Auto umstellen.« Wobei der Wilson-Pilcher selbst für das Jahr 1904 ungewöhnlich war – und dieser hier soll der einzige Überlebende sein? Schaut man auf das Emblem auf seiner Nase, stellt man fest, dass es eigentlich ein Armstrong-Whitworth ist, gebaut in der Fabrik der Firma in Newcastle upon Tyne im Nordosten Englands nach einem Patent von Wilson-Pilcher. Und davon gab es jede Menge.
Zum einen ist da der Vierzylinder-Boxermotor, »ganz sicher der älteste, den ich je gesehen habe«, sagt Nigel Parrott, der den Wagen für Brawn wieder in Betrieb genommen hat und seit 30 Jahren für Teilnehmer der London-Brighton- Fahrt arbeitet. Als Nächstes das halbautomatische Vierganggetriebe, bei dem die Kraftübertragung über zwei Planetengetriebe und zwei Kronenräder – eins für vorwärts, eins für rückwärts – in der aluminiumverkleideten starren Hinterachse vonstatten geht. Es dürfte kaum verwundern, dass das Vorwählgetriebe von Wilson, das in den 1930er-Jahren in vielen Luxusautos zum Einsatz kam, aus der Feder desselben Mannes stammte. Darüber hinaus ist der Motor vom Fahrwerk durch einen Hilfsrahmen getrennt, der mit Schraubenfedern seitlich am Hauptrahmen befestigt ist.
»Für so ein altes Auto fährt er sich ausgesprochen weich«, sagt Brawn. Und Parrott erklärt mir später: »Der Designer Walter Wilson ist sehr stark auf die damaligen Bedürfnisse eingegangen. Er fand heraus, dass die Autofahrer weniger Vibrationen und einen weicheren Fahrkomfort haben wollten.«
Text??? Glen Waddington // ?Fotos???? Andy Morgan
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