Text Gabriele Spangenberg, Berthold Dörrich
Unsere Brieffreunde, Presenting Editor Gabriele Spangenberg und Chefredakteur Berthold Dörrich, sind sich nicht wirklich einig: Sie will politisch aktiv werden, er eher nicht – bietet aber Alternativen an. Lesen Sie selbst!
// Lieber Berthold,
hier sitze ich nun an einem strahlenden Maimorgen voll satten Grüns und denk nichts Böses. Da schleicht sich die üble Gesellin der Sorge hinzu und wispert voller Galle: »Bald ist dieser Sommer zu Ende, sehr bald die Saison vorbei, keine Zeit bleibt mehr, die Gelegenheiten, mit deinen geliebten alten Autos Freude und Freiheit zu erfahren, sind vertan.« Obwohl ich letzte Woche dreizehn Stunden täglich im Autos saß!!!
Was ist nur mit mir los? Ist es unersättliche Gier? Entgleister Hedonismus? Bin ich ein Junkie, eine Junkess? Auch in der schönen Jahreszeit gibt es Momente, in denen ich meine Schätze (und ich verbitte mir hier die Verkleinerung, ein Auto ist kein Schätzchen, sondern ein ausgewachsenes, gefährliches Teil!) ungern aus der Garage hole. Im Regen zum Beispiel oder nachts. Auch mögen meine Kinder es nicht, in diesen Autos in die Schule gefahren zu werden, finden es auffallend und peinlich.
Was bleibt da als tägliche Schmuseeinheit? Einkaufen? Den Motoren tut man mit der kurzen Fahrt in den Supermarkt keinen Gefallen. Klar könnte ich am Wochenende mit meiner Familie zu einem Picknick im Grünen reisen oder eine Tagestour unternehmen. Waghalsig wie ich bin, könnte diese sogar nach Düsseldorf führen. Ja jaja, ich weiß schon, es gibt unendlich viele Rallyes und Rennveranstaltungen an den Wochenenden. Zum Glück. Dennoch: was ist mit Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag?
Wie können wir Gelegenheiten schaffen, diese Autos öfter zu fahren, ohne ihnen zu schaden? Welche Anlässe sollten wir erfinden zu diesem Zweck? Den internationalen Nachbarvolldröhntag? Den lokalen Posernachmittag? Den überregionalen Rumgurk-Dienstag? Den Pre-Bahnstreik Übungsfahrtag? Den therapeutischen Thursday? Den Blue-gas-Monday? Benzin-Donnerstag? Himmelfahrtstag – aber richtig? Refahrmationstag? Rasenmontag? Fast-and-furios-Nacht? Ausgewiesene Gratisparkmöglichkeiten an besonders schönen Plätzen, Fußgängerzonen, vor Rathäusern, Springbrunnen, Denkmälern (wenn die da stehen dürfen, dann wir doch auch!?)? Damit könnten sich die Kommunen Millionen an Marketingausgaben sparen!
Nicht umsonst werden zur Zeit Oldtimer auffallend oft in der Werbung zitiert. Heute ein König – zelebriert mit einem Blick auf: Fuchsfelgen. Die Steuer auf Benzin würde für H-Kennzeichen erlassen, assistenzsystemfreie Fahrer erhielten eine gewisse Immunität gegen diese hässlichen Pünktchen aus Flensburg. An den Landstraßen wären Schilder aufgestellt, die nicht nur vor Wild und Schleuderkurven warnen, sondern auch Rücksicht auf schlecht beleuchtete Klassiker fordern. In den Gelaterien der Stadt gäbs die ersten fünf Kugeln für unsereins gratis, den Verzehr in Klassikern vor dem Eissalon sitzend vorausgesetzt. Es läuft wieder aufs Gleiche hinaus, wir müssen eine neue Partei gründen – die FFBZ: Freie Fahrt für eine Bessere Zukunft … Bist Du dabei? //
// Liebe Gabriele,
zusammen mit Dir eine Partei gründen? Damit wir uns dann hinterher ganz uncharmant öffentlich mit Dreck bewerfen? Oder Du mir einen Maulkorb umhängst, wie das Parteichefinnen in Frankreich gerne mal mit ihren Vätern tun? Nein, Politik ist nicht meine Sache. Und wenn ich ehrlich bin: diplomatisches Schwafeln hatte ich bisher auch nicht gerade als Deine Stärke erkannt. Erinnerst Du Dich noch: als ich Dich vor einigen Ausgaben schon mal als Bundesverkehrsministerin vorgeschlagen hatte, war das Echo darauf in der Öffentlichkeit eher verhalten.
Trotz der visionären Kraft Deiner Ideen: Den Nürburgring wolltest Du zum UNESCO Weltkulturerbe erheben. Was haben wir stattdessen bekommen? Tempolimit! Sonderparkplätze für Oldtimer wolltest Du in den Städten anlegen. Was ist daraus geworden? Die einzige Randgruppe, die in unseren Städten auch heute noch keinen Parkplatz findet, sind gesunde, heterosexuelle Männer im besten Alter, die ohne Kinderwagen in einem Auto mit Verbrennungsmotor unterwegs sind – also ich. Für alle anderen gibt es Sonderparkzonen und reservierte Etagen in Parkhäusern! Dabei kann ich mindestens so schlecht einparken wie jede Frau – wenn es sein muss.
Liebe Gabriele, so wird das nix, mit der Politik! Viel lieber wäre es mir, mit Dir eine subversive Vereinigung zu gründen, und das Ding von unten aufzurollen. Eine echte Auto Parlamentarische Opposition, in der wir nachholen könnten, was wir als Spätgeborene 1968 verpasst haben. Natürlich fänden auch unsere Aktionen auf der Straße statt. Statt mit erhobener Faust »Ho, ho, Ho Chi Minh« zu rufen, würden wir aber unseren Gasfuß sprechen lassen. Und statt rote Transparente zu schwenken, würden wir mit unseren Pneus deutlich schwarze Skidmarks unseres Missfallens auf der Straße hinterlassen. Ich kann mir vorstellen, dass das viel mehr Spaß macht! Und ich hätte da noch ein paar Freunde, die sicher auch dabei wären.
Seit Langem wälzen wir den Plan, während der Vintage Montlhéry einmal um Mitternacht die Motoren anzuschmeißen und mit einem Dutzend Vorkriegs-Rennwagen in Paris einzufallen. Ziel: Arc de Triomphe und Champs Élysées. Zweimal im Drift rund um den Triumphbogen, Vollgas runter zum Place de la Concorde und schon verschwinden wir wieder in der Dunkelheit der Nacht. Einzige Hinterlassenschaft: ein paar rhizinusgeschwängerte Abgase und der Nachhall der Motoren zwischen den nächtlichen Palais. Und natürlich ein kleiner Film als Dokumentation dieser Übermütigkeit. Ce serait un rendezvous, das sicher auch Claude Lelouch Spaß machen würde! Leider kannst Du als notorische Vorkriegs-Verweigerin bei dieser Sause aber schon mal nicht dabei sein. Schade eigentlich, denn als Marianne der Klassiker-Bewegung wärst Du wirklich erste Wahl. Auf in den Kampf für die großen Ziele der Klassiker-Bewegung: Liberté, egalité, rapidité. ////
Roadbook: Die unterhaltsame Brieffreundschaft zwischen Gabriele Spangenberg (Presenting Editor) und Berthold Dörrich (Chefredakteur), an der die beiden Klassiker-Liebhaber uns in jeder OCTANE-Ausgabe teilhaben lassen, lässt häufig tiefer blicken. Vor allem aber gibt der Briefaustausch jedes Mal aufs Neue Grund zum Schmunzeln. Einblicke in einen Alltag, welcher unsere beiden Brieffreunde regelmäßig vor neue (Klassiker-)Fragen stellt.