GESCHÜTTELT, NICHT GERÜHRT: DER EDLE TROPFEN AUS DER CHAMPAGNE WAR EIN ZUFALLSPRODUKT
Ein Vierteljahrhundert lang fand kein Formel-1-Rennen ohne die abschließende Moët & Chandon-Dusche statt. Wer möchte, kann das als cleveres »Productplacement« verbuchen, tatsächlich steckt aber mehr hinter der Siegerehrung mit dem geschüttelten Champagner. Das Ritual geht zurück auf Graf Frédéric Chandon de Briailles, den ergebenen Ferrarifahrer, Renn- und Motorsportfan – und Freunden bekannt als Fred.
Von Mitte der 1920er- bis Mitte der 60er-Jahre veranstaltete l’Automobile Club de Champagne unglaublich rasante, oft nervenaufreibende Rennen, unter anderem vierzehn Grands Prix auf dem legendären Parcours in Reims, im Herzen der Champagne. Fred Chandon schaute schon als kleines Kind gern zu und freundete sich mit Fahrern und Mechanikern an. Als natürliche Folge dieser Freundschaften landete immer eine Magnumflasche feinsten Moëts in den Armen des Gewinners. Wenn man bedenkt, dass Champagner heute eine geschätzte Spezialität ist, mutet es schon kurios an, dass in den ersten paar tausend Jahren der Winzerkunst nichts so verpönt war, wie eine seiner hervorstechendsten Eigenschaften: das Prickeln.
In kühleren, nördlicheren Lagen war die Anbausaison kürzer. Das spätere Pflücken ließ einen Rest von Hefe in der Flasche zurück, die sich noch nicht vollständig zu Zucker umgewandelt hatte. Die niedrigeren Temperaturen im Winter stoppten den Vergärungsprozess, der dann im Frühling von neuem einsetzte, jetzt allerdings in der Flasche. Dabei wurde eine gehörige Menge Kohlendioxid freigesetzt – oft mit explosiven Überraschungsmomenten. Der Frühling wurde in den Weinkellern der Region zur gefährlichsten Jahreszeit: Ständig knallte es irgendwo, es gab explodierende Splittergeschosse, Kork-Blindgänger und Querschläger aus dem Weinregal. Kurz: eine Plage für jeden Winzer!
ES MUTET KURIOS AN, DASS IN DEN ERSTEN PAAR TAUSEND JAHREN DER WINZERKUNST ETWAS WUNDERVOLLES VERPÖHNT WAR, NÄMLICH DAS PRICKELN
Im 18. Jahrhundert war nur zehn Prozent des Weins aus der Champagne moussierend. Ein Mönch des Benediktinerordens – Dom Pierre Pérignon (1639–1715), oft irrtümlich zum Erfinder des Schampus erklärt – widmete als Cellerar des Abts von Hautvillers eine gefühlte Ewigkeit dem Vorhaben, den unkontrollierten Gärungsprozess zu unterbinden. Dabei fand er unter anderem heraus, dass man durch den Verschnitt verschiedener Traubensorten zu sehr guten önologischen Endergebnissen gelangen konnte. Er stellte zudem Weißwein aus Blauburgundertrauben her, führte eine stabilere Flasche britischer Provenienz ein und versah das Ganze mit einem guten spanischen Korken.
Das Moussieren oder die Kohlensäure bekam jedoch auch der nie in den Griff. Manchmal war sie eben da, die Kohlensäure, manchmal wieder nicht – und manchmal war sie auch so stark, dass 20–40 Prozent der Flaschen fröhlich und munter vor sich hin detonierten. Louis XV. gab im Jahre 1735 den königlichen Befehl, bereits verkorkte Champagnerflaschen mit speziellen starken Bindfäden zusätzlich abzusichern. Arbeitsschutz à la 18. Jahrhundert.
MANCHMAL WAR DIE KOHLENSÄURE SO STARK, DASS EINIGE FLASCHEN FRÖHLICH UND MUNTER VOR SICH HIN DETONIERTEN
Erst 1836 gelang es dem Apotheker André François herauszufinden, wie man sowohl die Menge des Zuckerrückstands messen als auch die zu erwartende Menge Kohlendioxid richtig einschätzen könnte, die während der zweiten Gärung entsteht. Jetzt hatte die Champagne also endlich ihr Produkt: einen perfekt moussierenden Schaumwein. Claude Moët gründete sein Unternehmen 1743 in Epernay. Seine erlesenen Weine wurden bald zur favorisierten Weinmarke des französischen Hofs und schließlich des gesamten europäischen Adels. 1832 wurde der Firmenname geändert, um Freds Ahnen, Pierre-Gabriel Chandon de Briailles, der in die Familie eingeheiratet hatte, bei der Namensgebung mit zu berücksichtigen.
Moët & Chandon wurde 1985 zum offiziellen Champagner-Sponsor der Formel 1. Champagner als Trophäe für die Sieger eines Autorennens gab es schon seit Jahrzehnten. Doch der Ursprung der heute – fast – allgegenwärtigen ritualisierten Champagnerdusche geht auf eine andere Serie zurück. Bei den 24 Stunden von Le Mans legten 1966 Henry Fords GT40 den historischen Dreifachsieg hin, während Jo Sifferts kleiner Porsche den begehrten Performance Index-Preis abräumte. Als Siffert nun, bei der Preisverleihung schon ganz ungeduldig auf seinen Sekt wartend, die eigene Flasche öffnete und dabei Mister und Mrs. Ford versehentlich von oben bis unten vollspritzte – eine Taufe, die die beiden mit Humor nahmen – fühlte sich das so prickelnd und so passend an, dass es fortan wiederholt wurde, eine Tradition begründet hat.