Dieser Porsche 911 Carrera RSR wurde 1973 zu einem Siegerauto. Mehr als 40 Jahre später steigt OCTANE zum ehemaligen Fahrer Gijs van Lennep ins Auto.
Wo sind nur die Gänge geblieben? Wir beschleunigen den Porsche 911 Carrera RSR aus der Arnage-Kurve von Le Mans und der schlaksige Holländer neben mir sucht verzweifelt nach dem dritten Gang im Porsche 911 Carrera RSR. Leerlauf – kurzer Gasstoß – Einkuppeln – noch ein kurzer Gasstoß – endlich rastet er ein. Und sofort erklingt sie wieder – die wohl kernigste Tonlage eines Motorensounds, den jeder am Streckenrand stehende Fan selbst mit geschlossenen Augen heraushören würde …
Für Auto und Fahrer ist das hier kein Neuland. »Fühlt es sich noch so an wie 1973«, frage ich. »Ja, ein bisschen«, antwortet Gijs van Lennep, der damals zusammen mit dem verstorbenen Herbie Müller auf diesem Carrera 3.0 RSR Platz vier bei den 24 Stunden erreichte. Die gleiche Fahrerpaarung und das gleiche Auto gewannen 1973 sogar in Le Mans – am 1. April beim Vierstunden-Rennen zum Ende der Vortests. Porsche hatte so spät gemeldet, dass den Schwaben trotz einer Spendensammlung eines Mechanikers die Francs für das Nenngeld fehlten. Trotzdem akzeptierte der ACO die Nennung, unter der Bedingung, mit Hilfe des Preisgelds die Schulden hinterher zu begleichen. Was Porsche brav erledigte.
Doch zurück zu Gijs und zum leidigen Thema Getriebe. »Das synchronisierte Porsche-Getriebe war nie sehr gut. ‚Seien Sie etwas nett zum Getriebe‘, bat uns damals Ernst Fuhrmann, der gerade vom Chefentwickler zum Porsche-Vorstandschef befördert worden war. ‚Aber ansonsten fahren Sie so schnell wie möglich und versuchen, Zeit in den Kurven gut zu machen.‘ Also fuhren wir volle Kanne, 24 Stunden lang, wie es heute üblich ist. Wir drehten den Motor ständig bis 8200, doch nichts ging kaputt.«
Wir sind bei Le Mans Classic, und bevor die Rennen starten, gibt es die Chance, zusammen mit anderen historischen Le Mans-Helden ein paar schnelle Demo-Runden zu drehen. Einige von ihnen fahren eher gemächlich, sodass sich der 75-jährige van Lennep mit einem rotzigen Knurren aus den offenen Ansaugtrompeten des Boxers locker an ihnen vorbeiquetscht. Da die Werkswagen als Prototypen liefen, durften sie über Gasschieber statt einschnürender Drosselklappen Luft im Überfluss ansaugen. Gerne würde ich jetzt selber fahren, aber Beifahrer jenes Mannes zu sein, der Le Mans zweimal und die letzte »echte« Targa Florio auf einem Auto gleichen Typs gewonnen hat, ist auch die Erfüllung eines Traums.
Wir stehen in einer langen Schlange vor der Einfahrt zur Strecke. Vor Marschalls, die offenbar weder wissen, um was für ein Auto es sich handelt, geschweige denn, wer da gerade am Steuer sitzt. Vielleicht halten sie uns auch für zwei Aufschneider aus dem Heer der 911er, die vom nahen Parkplatz für Marken-Clubs kommen und ihr Auto nur so aufgemotzt haben wie einen Rennwagen. Für einen Moment verliert nun auch van Lennep seine angeborene Zurückhaltung: »Hey, ich habe hier zwei Mal gewonnen!«, ruft er nach draußen. Und wie durch ein Wunder öffnet sich eine Gasse und wir sind auf dem Circuit de la Sarthe. Beschleunigen hart den Hügel in Richtung Esses und Dunlop-Bogen hoch, pfeilen durch Tertre Rouge hinaus auf die Hunaudières und damit auf den Teil der Strecke, der normalerweise öffentliche Straße ist.
Längst ist van Lennep in seinem Element. »Wir waren nachts schneller als tagsüber. Es war kälter, daher lief der Motor besser und die Bremsen blieben kühler. Ferdinand Piëch gab mir Zeichen von den Boxen. Ein waagerechter Pfeil hieß »O.K.«, ein nach oben zeigender »schneller«, ein nach unten zeigender »mach langsamer«. Ich erhielt das Zeichen, schneller zu fahren. Doch wusste ich nicht, wie. Ich fightete bereits um jede Sekunde, pushte die ganze Zeit. Am Ende kamen wir bei den 24 Stunden auf Platz vier im Gesamtklassement rein, völlig geschlaucht. Jedes Le Mans war so.«
Text John Simister // Fotos Jamie Lipman (Studio), Martyn Goddard (Le Mans) Porsche Museum // Übersetzung Thomas Imhof