Text Anna Horneffer
WENN ER AUF RALLYES MIT SEINEM ALFA ROMEO AUFKREUZT, IST ER IMMER DIE SENSATION. WEIL EGON TAUSCHER SCHON VIELE STRECKEN KENNT UND ABGEFAHREN IST, MACHT ER ABSEITS DAVON EIGENE TOUREN.
Ich treffe Egon Tauscher, den Mann im Rollstuhl, der sich mit seinem Handicap nicht von seiner Liebe zu alten Blechperlen abhalten lässt. Seit 15 Jahren ist er querschnittsgelähmt und ebenso lang ist er täglich auf der Straße unterwegs, um für sich oder seine Kunden die perfekte Kurve zu finden. Seine Oldtimer stehen in Überlingen am Bodensee in einer kleinen Halle, die er auch als Werkstatt nutzt. Der 61-jährige Unternehmer fährt nämlich nicht nur, am liebsten schraubt er auch selbst an seinen Autos.
Wer bei Rennen oder Ausfahrten ab und zu mitfährt, kennt Tauschers roten Alfa Romeo. Das Modell – ein Corsa Spider 6C 2500 von 1939 – gibt und gab es weltweit nur zwei Mal. Und weil aller guten Dinge drei sind, parkt in Tauschers Halle am Bodensee neben einem ebenso seltenen Panhard noch ein exklusiver Austin Healey. Um trotz seiner Behinderung selbstständig fahren zu können, hat er sämtliche Fahrzeuge seiner Sammlung umgebaut – in Eigenregie oder mit Hilfe von Bekannten. Eigentlich hat er sowieso dauernd ein neues Projekt, an dem er bastelt. »Mein aktuelles Projekt ist die alte Heckflosse. Die baue ich im Moment so um, dass ich damit die Carrera Panamericana 2015 fahren kann. Einmal quer durch Mexiko: das ist mein Traum. Das ist keine Spaßveranstaltung – das ist das einzige legitime Straßenrennen der Welt.«
»AM ANFANG WOLLTEN ALLE NOCH DEM ROLLSTUHLFAHRER HELFEN. NACHDEM DIE ERSTEN DANN ABER NUR NOCH DIE RÜCKLICHTER VON MEINEM ALFA GESEHEN HABEN, WAR SCHNELL SCHLUSS MIT DEN NETTIGKEITEN«
Spaßveranstaltungen hebt er sich lieber für sein Berufsleben auf. Eigentlich schon im Ruhestand, hat Tauscher vor drei Jahren seine Leidenschaft zum Beruf gemacht und das Unternehmen Egon Tauscher Tours gegründet. »Nachdem ich jahrelang bei Oldtimer-Ausfahrten mitgefahren bin, dachte ich mir irgendwann: Das kann ich besser.« Inzwischen bietet er fünf Ausfahrten pro Jahr an. »Ich will meinen Leuten die Einmaligkeit zeigen, und nicht eine dieser 08/15-Retorten-Touren. Ich suche mir meine Strecken in alten Reiseführern oder hole mir Tipps von Einheimischen. So habe ich zum Beispiel eine Straße gefunden, die nur zwei Monate im Jahr offen ist und von der man denkt, sie würde im Nichts enden. Wenn man dem Weg dann aber weiter folgt, erwartet einen eine unglaubliche Kulisse.«
Seine Teilnehmer schätzen außerdem das Tauscher-Rundum-Sorglos-Paket bei jeder Ausfahrt. Das fängt beim Mechaniker während den Touren an, bis hin zu den bereits hinterlegten Eintrittskarten bei Events und dem Heimfahrservice. »Ich fahre die Strecken so lange ab, bis ich hundert Prozent davon überzeugt bin, dass sie auch meine Mitfahrer begeistern. Da bin ich Perfektionist.« Der Perfektionismus liegt Egon Tauscher im Blut. Dem studierten Architekten waren schon in seinem vorherigen Beruf die Details und akribische Vorbereitung für seine Arbeit am wichtigsten.
DIREKT NACH DEM AUFWACHEN AUS DEM KOMA ÜBERLEGTE ER SOFORT, WIE ER WIEDER HINTERS STEUER KAM – TROTZ SEINER QUERSCHNITTSLÄHMUNG
»Aber selbst die beste Vorbereitung schützt nicht vor kleinen Pannen. 2007 wurde während einer Ausfahrt mitten im August der Klausenpass aufgrund starken Schneefalls gesperrt. Da waren erst Zweidrittel der Teilnehmer über dem Pass. Die restlichen habe ich dann versucht, per Handy zu erreichen und außen herum zu lotsen. Nach einer Tour vor fünf oder sechs Jahren über den Passo di Gavia Richtung Lago d’Iseo sagte mir eine Teilnehmerin beim Essen: ‚Herr Tauscher, Sie haben heute mehr Leute zum Beten gebracht als der Pastor in der Kirche!‘ Eine wunderschöne Strecke. Nur leider ohne Leitplanken oder andere Absicherung und das bei einer so schmalen Straße, dass keine zwei Autos nebeneinander gepasst haben. Solch einen Nervenkitzel hebe ich mir in der Regel aber für mich selber auf, wie zum Beispiel mit meiner Teilnahme bei der Panamericana. Die ist ja schon für normale Teilnehmer eine Herausforderung. Und ich sitze noch dazu im Rollstuhl.«
Ein Schicksalsschlag, der sein Leben von Grund auf ändern sollte. »Eigentlich war ich damals zweirädrigen Oldtimern verfallen und gerade mit meiner alten Harley auf Tour, als mir ein junger Bauer mit seinem Traktor die Vorfahrt nahm und mit meinem Motorrad kollidierte. Ich lag danach wochenlang im Koma und als ich aufwachte, war ich querschnittsgelähmt. Direkt nach dem Aufwachen dachte ich aber an nichts anderes als daran, wie ich möglichst schnell wieder hinter dem Steuer sitzen kann. Kaum aus dem Krankenhaus draußen, fing ich an, mit einem Monteur an einer Konstruktion zu tüfteln, um wieder selber fahren zu können. Und das haben wir auch geschafft. Ich fahre viel zu gerne Auto, als dass ich Beifahrer sein könnte«, lacht Tauscher.
EGON TAUSCHER IST PERFEKTIONIST – UND DER KOMMT IMMER WIEDER RAUS, VOR ALLEM WENN ES UM DIE KLASSIKERTOUREN FÜR SEINE GÄSTE GEHT
»Seitdem bedeutet Autofahren für mich Freiheit. Die Freiheit, in der ich sonst durch mein Handicap eingeschränkt werde.« Und diese Freiheit lebt er jede freie Minute. Beispielsweise während der Mille Miglia, die er inzwischen schon sieben Mal mit seinem Panhard alleine gefahren ist. »Das ist Emotion pur. Das traditionsreichste Autorennen und ich mit dabei. Aber auch das erste Mal auf der Nordschleife oder das Klausenpassrennen waren Nervenkitzel pur. Bei letzterem habe ich sogar schon den vierten Platz gemacht. Da trete ich an, um auf die Poleposition zu kommen.«
Das haben inzwischen auch schon die anderen Teilnehmer gemerkt. »Am Anfang wollten alle noch dem Rollstuhlfahrer helfen. Nachdem die Ersten dann aber nur noch die Rücklichter von meinem Alfa gesehen haben, war schnell Schluss mit den Nettigkeiten«, zwinkert er mir zu und wischt sich zum Abschied die ölverschmierten Hände an seiner Hose ab. Es geht weiter: »Meine Heckflosse wartet, schließlich geht’s schon bald nach Mexiko …«
Mehr Informationen unter www.tauschertours.com