Die Limousinen der Baureihe W 114/115 von Mercedes-Benz galten weltweit als Inbegriff des Taxis. In Argentinien jedoch wurden sie als Nutzfahrzeuge namens »La Pick-up« beliebt. Diese umgebauten Limousinen waren robust und vielseitig, was sie besonders in ländlichen Gebieten populär machte. Sie dienten Kleinunternehmern, Landwirten und Handwerkern als verlässliche Begleiter und wurden zu einem Symbol für Zuverlässigkeit, Komfort und Stil – ein wahrer Allrounder, der die Eleganz der Limousine mit der Funktionalität eines Nutzfahrzeugs verband.
Wie kam es zu einem so ungewöhnlichen Pickup?
Mercedes-Benz blickt in Argentinien auf eine lange Tradition zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte das Land eine rasante wirtschaftliche Entwicklung, der Verkehrssektor aber hinkte hinterher. Die wenigen Autos und Lastwagen waren veraltet, das Schienennetz reichte nicht aus, um den Mobilitätsbedarf zu decken. Die rapide steigende Nachfrage nach Fahrzeugen machte sich Mercedes zunutze und eröffnete 1951 das Werk González Catán in der Provinz Buenos Aires, die erste Mercedes-Fabrik außerhalb Europas. Dort wird heute der Sprinter gebaut.
In den 1970er-Jahren wurde die Lage für europäische Automobilhersteller in vielerlei Hinsicht ungemütlich: Die Entführung von Mercedes-Standortleiter Heinrich Metz löste unter Führungskräften eine Fluchtwelle aus. Zudem verhängte die Regierung heftige Importzölle: sage und schreibe 95 Prozent auf Pkw und 65 Prozent auf Nutzfahrzeuge. Um diese Einfuhrsteuern zu umgehen, verschifften viele Hersteller daher CKD-Bausätze (Completely Knocked Down) nach Argentinien und montierten sie vor Ort. Und es kam zu einem besonderen Phänomen: Wegen der niedrigeren Abgaben auf Nutzfahrzeuge bauten viele Marken normale Pkw für den gewerblichen Einsatz um und verkauften sie als Kleintransporter und Pick-ups.
Nutzfahrzeuge waren in den 1970er Jahren stark gefragt
Die Landwirtschaft machte in den 1970er-Jahren einen bedeutenden Teil der argentinischen Wirtschaft aus. Nutzfahrzeuge waren daher sehr gefragt. Mercedes-Benz Argentina entschied sich daher, CKD-Bausätze der W115-Limousine in »Strich-Acht«-Pick-ups umzubauen. Dazu bauten die Mitarbeiter im Werk von Mercedes-Benz Argentina hinter der B-Säule eine spezielle Plattform ein. Der Vertrieb erfolgte über das reguläre Händlernetz.
Die Produktion von »La Pick-up«, wie die Argentinier den Zwitter liebevoll nannten, begann 1972. Er war als Einzel- und Doppelkabine erhältlich, wobei letztere im Grunde eine W115-Limousine ohne Kofferraumdeckel war. Beide Versionen boten eine Nutzlast von bis zu 650 Kilogramm.
Der La Pick-up war ausschließlich als 220d erhältlich, wurde also von dem 2,2-Liter-Vierzylinder-Dieselmotor mit der internen Bezeichnung OM615 in der Spezifikation 912 angetrieben. Der Saugdiesel stellte 60 PS und 126 Nm Drehmoment bereit – gerade genug für ein Agrar-Arbeitstier. Schätzungen zufolge entstanden bis 1976 zwischen 6000 und 6500 Pick-ups.
Einige wenige Exemplare des Mercedes Pickup gelangten sogar nach Europa
Ein Exemplar wurde von den Stuttgarter Straßenbahnen erworben. Das Unternehmen baute Heck und Seitenteile um und setzte es viele Jahre lang als Servicefahrzeug für die Schmierung von Weichen ein. Nachdem der Pick-up-Benz den öffentlichen Dienst verlassen hatte, ging er durch mehrere Hände und machte einige Verwandlungen durch.
Als Thomas Konzelmann, bei der Daimler AG einer der Spezialisten für historische Nutzfahrzeuge, den Weltenbummler 2012 entdeckte, war dieser »total am Ende – mehr Farbe als Metall«. Trotz des erbarmungswürdigen Zustands zahlte Konzelmann etwa 1700 Euro dafür.
Die Klassikexperten bei Mercedes entschieden, das originale Erscheinungsbild des La Pick-up inklusive der Lackierung in Englischrot weitgehend wiederherzustellen. Die Kollegen aus dem Marketing waren begeistert, denn so konnte der La Pick-up direkt bei der Fahrpräsentation seines modernen Nachfahrens, des X-Klasse-Pick-ups, auftreten. Die zufällig in Chile, dem Nachbarland Argentiniens, stattfand. Auch wenn die Heckpartie samt Rückleuchten nicht ganz dem Original entspricht, waren die geladenen Presseleute vom La Pick-up begeistert. Heute gehört der 220d-Pritschenwagen zur historischen Sammlung von Mercedes-Benz.
Bis heute findet man den Mercedes Pickup auf Argentiniens Straßen
Noch heute sind La Pick-ups auf den Straßen Südamerikas unterwegs und transportieren schwere Lasten die Anden hinauf und hinunter, was für die Fertigungsqualität im Werk González Catán spricht. Und obwohl der La Pick-up nur für diesen einen Markt hergestellt wurde, hat er sich eine treue Fangemeinde aufgebaut. Wenn Sie sich anschließen möchten: Sie wissen, wo Sie suchen müssen.
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10 spannende Fakten über den Mercedes Pickup
- Die Pick-up-Version basierte auf der Limousine der Baureihe W 114/115, die ursprünglich als komfortables Taxi berühmt wurde.
- Die Ladefläche bot eine Kapazität von etwa 500 kg, ideal für den Transport von landwirtschaftlichen Produkten oder Werkzeugen.
- Unter der Haube kamen bewährte Dieselmotoren von Mercedes-Benz zum Einsatz, darunter der OM615, der für seine Zuverlässigkeit und eine Leistung von etwa 55 PS bekannt war.
- Die Höchstgeschwindigkeit des Mercedes Pick-up lag bei etwa 120 km/h, was für ein Nutzfahrzeug dieser Zeit beachtlich war.
- Das Leergewicht des Fahrzeugs betrug rund 1.500 kg, was eine gute Balance zwischen Robustheit und Nutzlast ermöglichte.
- Die Trommelbremsen an der Hinterachse sorgten für eine zuverlässige Bremsleistung, auch bei voller Beladung.
- Das Fahrzeug war mit einer mechanischen Lenkung ausgestattet, die robust und wartungsarm war.
- Die Bodenfreiheit betrug etwa 170 mm, was für den Einsatz auf unbefestigten Wegen ideal war.
- Der Pick-up konnte optional mit einem Hardtop ausgestattet werden, um die Ladefläche vor Witterungseinflüssen zu schützen.
- Der Mercedes W 114/115 Pick-up verfügte über einen Radstand von 2.840 mm, der eine stabile Straßenlage und ausreichend Platz für die Ladefläche bot.
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