Dieser Ford Cortina mag auf den ersten Blick nicht besonders wirken. Doch handelt es sich um einen Cortina Lotus und dazu noch um das zeitweilige Dienstauto des legendären Lotus-Gründers Colin Chapman. Mark Dixon unternahm damit eine Zeitreise zurück in die späten Sechzigerjahre.
Um die kleine Delle oberhalb der Zierleiste des liken Scheinwerfers beim Ford Cortina zu entdecken, musste ich schon ganz genau hinschauen. Ein seltener Makel an einem Auto, das ansonsten nahezu auf Concours-Standard zu sein scheint. Doch hinter der Beule steckt eine Geschichte. Lotus-Boss Colin Chapman fabrizierte die Beule, als er wieder einmal zu schnell durch das Werkstor fuhr.
Diese bestens erhaltene Sportlimo aus den späten 60ern ist kein x-beliebiger Ford Cortina und auch nicht nur irgendein Cortina Lotus. Son- dern Chapmans Dienstauto, das ihm Ford 1969 schenkte und in dem er dann knapp 23.000 Kilometer abspulte. Ziemlich schnelle Kilometer, wie es scheint. Noch heute erzählt man sich, dass sich die Torwächter im neuen Lotus Werk Hethel (Norfolk) beim Öffnen der Schranke vor Eifer überschlugen, wenn Chapmans Cortina anbrauste. Denn sie wussten: Würden sie die Barriere nicht rechtzeitig heben, würde sie der immer eilige Chef einfach touchieren und dabei aus der Verankerung hebeln.
Warum Ford genau das Auto an Chapman verschenkte, bleibt unklar. Vielleicht war es eine Art Trostpflaster, weil man die Produktion des Mk2 Cortina Lotus nun ins Ford-eigene Werk Dagenham (Essex) verlagert hatte. Um ihn dort kostengünstiger auf demselben Band wie die zivileren Cortinas produzieren zu können. Der erste Cortina Lotus war dagegen noch im früheren Lotus Werk Cheshunt montiert worden – mit allen Lotus-typischen Qualitätsmängeln, die Ford nun als zweiten Effekt vermeiden wollte. Vielleicht trug zu dieser Entscheidung aber ebenfalls bei, dass der Cortina Lotus – der schon wenige Monate nach Produktionsstart am Heck den Zusatzschriftzug Twin Cam trug – ab 1970 vom Escort Twin Cam als neuer Motorsport-Speerspitze abgelöst werden würde.
Der Mk2 erlangte ohnehin nie jenen Rennsportnimbus, der durch dreirädrige Akrobatikeinlagen mit Jim Clark am Steuer eines Mk1 Stoff für Legenden abgab. Doch musste er es auch nicht. Der Escort TC war, weil leichter und kompakter, besser geeignet für Rennen und Rallyes. Dagegen verfolgte Ford beim zweiten Cortina Lotus das Ziel, ein im Vergleich zum von 1963 bis 1966 gebauten Vorgänger ein ausgereifteres, komfortableres und alltagstauglicheres Gesamtpaket anbieten zu können.
Große Klappe, nichts dahinter also? Nein, ein Softie war der Mk2 Cortina Lotus keineswegs. Basierend auf dem Cortina GT spendierte ihm Ford die steifere Karosserie des Exportmodells, ein Fahrwerkstuning in Form einer Tieferlegung um 2,5 Zentimeter und – dank neuer 5 1⁄2 J x 13-RoStyle-Felgen – größerer Spurweiten. Und wer seinen »Lotus« weiter aufmotzen wollte, der konnte aus einer langen Liste mit optionalen Wettbewerbsteilen schöpfen. Von Türen und Hauben aus Aluminium über einen Unterfahrschutz für Ölwanne und Benzintank bis zu einer Benzineinspritzung.
Dank der Montage in Dagenham konnte Ford wie erwähnt auch die Fertigungsqualität erhöhen. Bei der Fahrt mit dem noch immer nur knapp unter 40.000 Kilometer gelaufenen Ex-Chapman-Exemplar wird deutlich, wie gut es ihnen gelang. Ein nutzerfreundlicher Racer für Familienväter. Farblich dominieren im Innenraum verschiedene Brauntöne. Die Sitze und Türtafeln in «Saddle Tan« werden ergänzt durch einen dunkelbraunen Instrumententräger und metallische Türbrüstungen in der Außenfarbe Amber Gold (Bernstein Gold). Links von den beiden Smiths-Hauptinstrumenten sitzen vier Zusatzanzeigen, die in diesem späteren Modell statt auf den Instrumententräger aufgesetzt nun voll in diesen integriert sind. Unter der über Schieberegler zu bedienenden Heizung und dem Radiodeck tickt eine Analoguhr von Kienzle. Alles in allem recht modern für die Zeit.
Als Chapman den Cortina abgab, hatte er 22.900 Kilometer auf der Uhr. Zunächst wanderte er ins Lotus Museum, ehe dieses geschlossen wurde und seine Exponate 1998 in einer Auktion von Coys im Auftrag des damaligen Lotus Besitzers, der malaysischen Firma HiCom, unter den Hammer kamen. Laut Fahrzeugschein war das Auto nicht auf Chapman, sondern auf Group Lotus zugelassen, was offenbar HiCom erst erlaubte, das Familien-Tafelgold zu verscherbeln. Nur, dass der Cortina Lotus trotz seiner prominenten Vorgeschichte den Mindestpreis von 6000 Pfund verpasste und unverkauft blieb.
Selbst nach mehr als zwei Jahrzehnten ist das erstaunlich. Doch waren es gute Nachrichten für den amerikanischen Anwalt, Mitarbeiter diverser Automagazine und Manager der Band »They Might Be Giants«, Jamie Kitman. Als der New Yorker einmal im Werk in Hethel für einen Test einen neuen Elise abholte, nahm er nebenbei Notiz von dem dort abgestellten Cortina. Nachdem ihm Lotus PR-Mann Alastair Florance eröffnete, dass der Chapman Wagen ein »no sale« gewesen sei, kontaktierte Kitman Coys und konnte ihn für das höchste Gebot der Auktion, nämlich £4500, erstehen.
2014 entschied sich Kitman zum Verkauf des Cortina. »Ich brauchte die Kohle«, erzählte er OCTANE in für einen New Yorker typischer, weil unverblümter Offenheit. Anders als beim ersten Mal – 1998 – fand er bei einer Londoner Auktion von RM Sotheby’s diesmal sogar einen Käufer – allerdings zum bemerkenswert niedrigen Preis von £22.400 inklusive Käufer- Aufschlag. »Das war die Hälfte vom unteren Schätzpreis«, beklagte Kitman. »Ich war echt geknickt und fand Trost in meiner alten Maxime, dass Geld nur was für Verlierer ist.«
Der aktuelle Besitzer Mike Baroth ist definitiv kein »loser«, und man kann mit Fug und Recht sagen, dass er einen gehörigen Aufschlag zum Auktionspreis berappte, um das Auto von Neil Dickens von »The Hairpin Motor Company« zu erwerben, nachdem es davor noch durch die Hände eines weiteren Händlers und eines privaten Sammlers gegangen war. Dennoch: Im Vergleich zu den teils irrwitzigen Preisen, die jüngst für sportliche Ford aus den 80er- und 90er-Jahren ohne eine solche Vorgeschichte bezahlt wurden, erscheint der Cortina nicht besonders teuer. Wenn überhaupt, könnte er sich mit der Zeit sogar als besonders cleverer Kauf entpuppen.
Für diese Beule über dem Frontscheinwerfer bot übrigens ein kalifornischer Fan, der über das Auto gelesen hatte, Jamie Kitman eine fabrikneue Zierleiste an. Doch der kam nie dazu, sie zu montieren. Wir nehmen an, dass dies angesichts der dahinter stehenden Geschichte auch Mike Baroth nicht tun wird.
Text Diederik Plug // Fotos Rémi Dargegen // Bearbeitung Thomas Imhof
Lesen Sie in OCTANE #51 wie sich der Ford Lotus Cortina heute noch fährt.
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