Sandro Munari und sein Lancia Stratos HF waren bei der Rallye Monte Carlo von 1977 unangreifbar. Vier Jahrzehnte später hat OCTANE sie beide noch einmal getroffen.
Heute kaum noch vorstellbar, welchen Eindruck diese interplanetarische Skulptur auf eine von Ford Escorts und Opel Kadetts geprägte Autowelt ausgeübt haben muss. Dabei war der Stratos 1977 im Grunde schon ein Oldtimer, feierte er doch 1971 auf dem Turiner Salon als Konzeptstudie Premiere. Ehe er dann zwischen 1974 und 1976 Lancia drei Mal in Folge die Rallye-WM sicherte.
Der Stratos rollt langsam auf uns zu. Jetzt haben wir die Möglichkeit, ihn näher zu betrachten. Noch immer ist es ein göttlicher Anblick, das kraftvolle Bertone-Design verströmt Hochmut, die grün-rot-weiße Alitalia-Lackierung grenzt an Arroganz. Kaum ist der Wagen auf unserer Höhe, drückt der Fahrer das Gaspedal durch, und mit dem Heulen seines Ferrari Dino V6 schießt der Stratos verächtlich von dannen. Fast fühlt es sich an, als habe man ein rassiges Pferd streicheln wollen, das nur geringschätzig seinen Kopf schüttelte, bevor es auf und davon galoppierte.
Während wir auf den sich schnell entfernenden Spoiler, die großen, runden Rückleuchten und die schuppenartigen Lamellen des Heckfensters schauen, grinst der neben uns stehende Mann über beide Ohren. Vielleicht erinnert sich Sandro Munari gerade daran, dass dies der einzige Anblick war, den er zwischen dem 22. und 28. Januar 1977 seinen Rivalen gönnte, die ihn vergeblich durch die Seealpen zu verfolgen suchten.
»Ich liebe diesen Stratos«, sagt der Italiener. »Ich schätze mich glücklich, das Auto dank meiner Freundschaft mit seinem Besitzer Guido Avandero regelmäßig zu sehen und zu fahren. Dann kommen so viele magische Erinnerungen zurück …«
Als Munari 1977 die Monte in Angriff nahm, hatte er dort schon drei Mal gewonnen. Zuerst 1972, mit der kleinen, zum Untersteuern neigenden Fulvia HF – 1,6 Liter Hubraum und Frontantrieb.
»Das Fulvia Coupé war sieben Jahre alt und verkaufte sich nur noch schleppend, sodass Fiat Ende 1971 die Produktion einstellte und 6500 Arbeiter nach Hause schickte«, erzählt Munari. »Doch nach meinem Sieg in Monte Carlo stieg die Nachfrage plötzlich wieder an, die Produktion wurde wieder aufgenommen und die Arbeiter bekamen ihre Jobs zurück!«
Dem Traumsieg von 1972 folgten 1975 und 1976 zwei weitere Erfolge, nun mit dem Stratos. Munari wusste: Ein Hattrick würde ihm zur Unsterblichkeit verhelfen. Mit heute knapp 80 Jahren wirkt der Mann, den sie einst Il Drago nannten, ein wenig gebrechlich und sein Atmen ist etwas mühsam. Doch hat er sich sonst gut in Form gehalten, sein Original-Overall in Alitalia-Farben passt noch wie angegossen. Und seine Erinnerungen an 1977 sind noch immer so kristallklar wie damals das Eis auf dem Col de Turini.
Text Massimo Delbò, Angus Frazer Fotos Matthew Howell, Archivfotos McKlein Bearbeitung Thomas Imhof