Lancia Stratos
Text Brett Fraser // Fotos Matthew Howell
Und du bist nervös. Natürlich. Der Lancia Stratos ist ja auch nervös. Sehr nervös. Die extrem leichtgängige, launische Lenkung lässt schon bei der geringsten Bewegung des Handgelenks die Fahrzeugnase zucken. Diese extreme Sensibilität des Chassis wird noch verschärft durch seine Neigung, wie ein Cruise Missile dem Terrain unter den Reifen zu folgen – ständig auf die Suche nach dem niedrigsten Punkt der Fahrbahn, der unvermeidlich die Gosse ist.
Nonstop bist du in Alarmbereitschaft, weil du es musst. Deine Hände klammern sich ans Lenkrad. Deine Konzentration ist im roten Bereich. Doch das Auto hat noch viel mehr Leistung zu bieten und seine Drehfreudigkeit, nein: -gierigkeit sowie sein deutlich spürbares, niedriges Gewicht stacheln dich an, diesem Paket dynamischer Freuden mal so richtig die Sporen zu geben. Dein Herz will der Verlockung nachgeben, doch dein Kopf überstimmt es und behält die Kontrolle: Um in diesem faszinierenden, doch nervenzerreißenden Auto schneller zu fahren, braucht es die überirdischen Fahrkünste eines Rallye-Weltmeisters: Das kann nur ein Lancia Stratos sein.
Eigentlich sieht der Lancia Stratos für die Härten und Schläge des Rallyesports einfach zu gut aus. Er ist klein, adrett und kess und weit entfernt von maskulin und aggressiv und all den anderen Macho-Qualitäten, die man von einem Auto erwartet, das sich auf felsigen Ziegenpfaden in Griechenland oder verschneiten schwedischen Nebenstraßen seinen Weg bahnen muss. Das kann doch nur ein Mittelmotor-Sportwagen für gut asphaltierte Straßen sein, oder?!
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Lancia Stratos – Eine Motorsport-Ikone
Der Lancia Stratos, ursprünglich nur für den Rallye-Einsatz entwickelt, erlangte durch seine außergewöhnlichen Leistungen im Motorsport Legendenstatus. Mit seiner kompakten Karosserie, dem Mittelmotor-Design und einer außergewöhnlich hohen Agilität setzte der Stratos Maßstäbe im Rallyesport der 1970er-Jahre. Doch was machte dieses Auto so besonders?
Von der Studie zur Serie
Der Lancia Stratos HF wurde auf dem Turiner Autosalon 1970 als radikale Studie namens Stratos Zero präsentiert, die von Bertone entworfen wurde. Diese Konzeptstudie, mit der aufklappbaren Windschutzscheibe als Einstiegsmöglichkeit, wirkte futuristisch und bereitete den Weg für den späteren Stratos HF. Erst 1971 wurde der Stratos HF mit einem Ferrari Dino V6-Motor vorgestellt, der quer zur Fahrtrichtung eingebaut war und das Herzstück der Serienversion bildete. Die Serienproduktion war notwendig, um die Homologation in der Gruppe 4 der FIA zu erreichen, wobei etwa 500 Fahrzeuge gebaut wurden. Dies ermöglichte es dem Stratos, in den härtesten Rallye-Wettbewerben anzutreten.
Technische Besonderheiten und Design
Der Stratos HF war nicht nur optisch ein Highlight. Die Karosserie bestand aus einem glasfaserverstärkten Kunststoff, was das Fahrzeug extrem leicht und agil machte. Mit einem Leergewicht von nur 980 kg erreichte er beeindruckende Fahrleistungen. Die Höchstleistung von 190 PS und ein Drehmoment von 225 Nm erlaubten es dem Stratos, in 6,8 Sekunden von 0 auf 100 km/h zu beschleunigen. Bei Testfahrten erreichte er eine Höchstgeschwindigkeit von 235 km/h – beeindruckend für ein Fahrzeug dieser Klasse.
Besonders bemerkenswert war die ungewöhnlich niedrige Windschutzscheibe mit einem konstanten Radius, die eine verzerrungsfreie Sicht ermöglichte. Die gesamte Front- und Heckpartie konnte zur Wartung aufklappbar gemacht werden, was dem Auto den charakteristischen Look und die Funktionalität verlieh, die im Rallye-Einsatz von entscheidender Bedeutung waren.
Erfolge im Motorsport
Der Lancia Stratos HF war in den Jahren 1974 bis 1976 praktisch unschlagbar. Er dominierte die Rallye-Weltmeisterschaft und holte drei Weltmeistertitel in Folge. Legendäre Fahrer wie Sandro Munari und Bernard Darniche steuerten den Stratos zu unzähligen Siegen, darunter mehrere Erfolge bei der Rallye Monte Carlo. Der Stratos HF war ein technisches Meisterwerk, das mit seiner Wendigkeit und der Power seines Ferrari-Motors die Konkurrenz alt aussehen ließ.
Interessant ist, dass der Stratos auch außerhalb der Rallyepisten erfolgreich war. Bei den 24 Stunden von Le Mans trat er 1976 und 1977 an und bewies auch auf der Rundstrecke seine Fähigkeiten. Speziell angepasste Stratos-Fahrzeuge erreichten dort Leistungswerte von bis zu 560 PS.
Der Einfluss von Fiat und die Konkurrenz mit dem 131 Abarth
Fiat, die Muttergesellschaft von Lancia, spielte eine wichtige Rolle in der Motorsportgeschichte des Stratos. Nachdem Fiat 1977 das Rennsportbudget zugunsten des eigenen Fiat 131 Abarth kürzte, wurde der Stratos allmählich von der Bildfläche verdrängt. Trotzdem blieb der Stratos bis 1979 ein gefürchteter Gegner und bewies bei der Rallye Monte Carlo 1979 unter Bernard Darniche ein letztes Mal seine Überlegenheit.
Neuauflagen und Sammlerwert
Obwohl Lancia selbst keine Neuauflage des Stratos plante, gab es mit dem Fenomenon Stratos und dem New Stratos Versuche, das Erbe dieses legendären Fahrzeugs fortzusetzen. Der New Stratos, der auf einem Ferrari 430 Scuderia basiert, wurde von Michael Stoschek und Pininfarina in Kleinserie produziert und knüpft an die DNA des Originals an.
Heutzutage ist der Lancia Stratos ein extrem wertvolles Sammlerstück. Ursprünglich wurden die letzten Exemplare für weniger als 15.000 DM verkauft. Heute erreichen gut erhaltene Stratos-Modelle bei Auktionen Preise von über 300.000 Euro, und in den USA wurden sogar bis zu 660.000 Dollar erzielt.
7 faszinierende Fakten über den Lancia Stratos HF
1. Von einem Concept-Car inspiriert: Der Strato’s Zero
Das spektakuläre Design des Lancia Stratos HF hat seinen Ursprung im Lancia Strato’s Zero, einem Concept-Car, das 1970 auf dem Turiner Autosalon vorgestellt wurde. Dieses futuristische Modell, das ebenfalls von Gandini entworfen wurde, war so niedrig, dass der Fahrer durch die Windschutzscheibe einsteigen musste! Dieser revolutionäre Ansatz legte den Grundstein für den Stratos HF, der ein Jahr später als serienreifes Rallyeauto debütierte.
2. Ein Ferrari-Herz schlägt im Stratos
Die Kraft des Lancia Stratos HF kam von einem Ferrari Dino V6-Motor, der ursprünglich im Ferrari Dino 246 GT verwendet wurde. Mit 2,4 Litern Hubraum und bis zu 320 PS in der 24-Ventil-Version, war dieser Motor entscheidend für den Erfolg des Autos. Die Zusammenarbeit zwischen Lancia und Ferrari war ungewöhnlich, da es viel Überzeugungsarbeit bedurfte, um Enzo Ferrari dazu zu bringen, die benötigten Motoren zu liefern.
3. Gebaut, um Rallyes zu dominieren
Der Stratos war das erste Auto, das speziell für Rallye-Wettbewerbe entwickelt wurde. Seine kompakte, aerodynamische Form und das geringe Gewicht von unter 950 kg machten ihn ideal für die Anforderungen der anspruchsvollsten Rallye-Strecken der Welt. Lancia baute nur so viele Fahrzeuge wie nötig, um die Homologationsanforderungen der FIA zu erfüllen, nämlich 500 Stück.
4. Erfolge in der Rallye-Weltmeisterschaft
Von 1974 bis 1976 gewann der Lancia Stratos HF dreimal in Folge die Rallye-Weltmeisterschaft (WRC). Fahrer wie Sandro Munari und Björn Waldegård erzielten legendäre Siege, darunter den ersten Sieg des Stratos beim Firestone Rallye 1973 in Spanien. Besonders in Rallyes wie der Monte Carlo und der Tour de Corse setzte der Stratos neue Maßstäbe.
5. Fiat und das Ende einer Ära
Obwohl der Stratos unschlagbar schien, beschloss Fiat 1977, den Stratos durch den Fiat 131 Abarth zu ersetzen, um das Image der Marke Fiat zu stärken. Dies führte dazu, dass das Werksteam von Lancia aufgelöst wurde, obwohl der Stratos auch in den Händen privater Teams weiterhin siegte. Sein letzter großer Sieg kam 1981 beim Tour de Corse.
6. Legendäre Kooperationen: Bertone und Fiorio
Die Entstehung des Stratos HF war das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen dem berühmten Designer Nuccio Bertone und Cesare Fiorio, dem damaligen Leiter des Lancia-Werksteams. Fiorio erkannte früh, dass Lancia einen Mittelmotor-Rennwagen brauchte, um wettbewerbsfähig zu bleiben, und drängte auf die Entwicklung des Stratos. Bertone lieferte das revolutionäre Design, das bis heute als eines der kühnsten der Automobilgeschichte gilt.
7. Eine Ikone auf und abseits der Rennstrecke
Der Lancia Stratos HF ist nicht nur eine Rallye-Legende, sondern hat sich auch in der Automobilkultur einen Namen gemacht. Sammler auf der ganzen Welt verehren ihn, und sein einzigartiges Design und seine Leistung machen ihn zu einem der begehrtesten Klassiker. Einige der letzten verbliebenen Stratos-Modelle, darunter der seltene Turbo-Gruppe-5-Stratos, erzielen heute Millionenpreise bei Auktionen.