Text Delwyn Mallett
DIE KONSTRUKTION IST ÜBERSCHAUBAR, FAST SIMPEL. UND DOCH MUSSTE MAN ERST EINMAL DARAUF KOMMEN, EIN VIERRÄDRIGES VEHIKEL SO ZU BAUEN – UND DANN NOCH MIT SO VIEL STAURAUM!
Anfangs kamen sie gar nicht so gut an bei den Kunden, doch Sylvan Goldman aus Oklahoma City, Besitzer einer Lebensmittel-Kette, gab nicht auf. Er glaubte an seine neu erfundenen Einkaufswagen und stellte kurzerhand Damen und Herren ein, die den ganzen Tag als Showkunden mit den Körben auf Rädern zwischen seinen Regalen umherfuhren. So kam die Idee – Wagen schieben statt Korb schleppen – in Gang. Nach einem Patenstreit mit der Konkurrenz – man kam zu einer Einigung – wurde das Gefährt verbessert und mit einklappbarer Rückseite weiterproduziert. Seither haben sich Einkaufswagen kaum verändert. Goldman wurde Millionär und verkaufte seine Firma 1961.
Viele von ihnen finden in Weihern und Flüssen ihre letzte, feuchte Ruhestätte, andere verenden als Hindernisse auf Parkplätzen oder Flaniermeilen und werden von Betrunkenen zu halsbrecherischen Fahrübungen zweckentfremdet. Sie haben vier Räder und bei einem Wettrennen durch Supermarktregalreihen kämen sie besser weg als selbst Walter Röhrl mit Allrad und seinen Kurvenkünsten. Sie sind so schwer zu steuern, dass es eigentlich verwundert, dass sie nicht längst von Verbraucherschützern verboten wurden – da unsicher bei jeder Geschwindigkeit.
Die Erfindung des Einkaufswagens geht zurück auf das Jahr 1937. Sylvan Goldman aus Oklahoma City, Besitzer einer Kette von Lebensmittelläden unter dem einleuchtenden Namen Humpty-Dumpty. Man stelle sich vor, Aldi hieße Hänsel & Gretel. Dem Amerikaner war aufgefallen, dass die Damen ihren Einkauf beendeten, sobald ihr Tragekorb zu schwer wurde. Er dachte an die oberste Regel des Einzelhandels – Mehr ist besser! – und überlegte, wie sich die verkaufte Ladung pro Kundin steigern ließe. Angeregt durch die Mechanik eines Klappstuhls, bestellte er bei einem Baumarkt eine Variante aus Metall und mit Rädern und Griff. Auf der Sitzfläche war Platz für ein Körbchen. So weit so gut. Ein Manko des Prototyps war allerdings, dass er bei voller Fahrt dazu neigte in sich zusammenzuklappen. Klappstuhl: klar! Also wurde eine verbesserte Version mit erhöhtem Sitz ausgetüftelt, der eine zweite Ebene schuf. Platz für zwei Körbe! Doppelt so viel Ladekapazität, doppelt so viel Profit!
EINKAUFSWAGEN KOMMEN IMMER WIEDER VOM WEG AB. DADURCH VERURSACHTE KOSTEN BELAUFEN SICH ANGEBLICH WELTWEIT AUF ÜBER EINE HALBE MILLIARDE EURO – VERRÜCKT!
Trotz dieser für den Kaufmann offensichtlichen Vorteile stieß das Gefährt zunächst auf Ablehnung: Männer fanden es dämlich, so etwas vor sich herzuschieben, Frauen erinnerte die Erfindung an Kinderwagen. Goldman ließ sich nicht beirren. Er stellte kurzerhand Damen und Herren ein, die den ganzen Tag als Showkunden mit den Wagen zwischen seinen Regalen unterwegs waren. So kam die Idee in Gang, quasi angeschoben von arbeitslosen Schauspielern. Goldman warb in Anzeigen für die neue und effektive Einkaufskultur, die man exklusiv in seinen Läden erleben könne. Dann kam er auf eine bessere Idee: Statt immer mehr Dosen und Gemüse umzusetzen, fiel ihm ein, wie er viel mehr Geld machen könnte: indem er die Falt-/Klapp-Wagen verkaufen würde.
1947 gründete Goldman dafür die Folding Basket Carrier Corporation. Super Idee: Schnell kam ihm die Konkurrenz in die Quere. Mit einem besseren Fahrzeug. Goldmans Gefährt musste vor jedem Einkauf auseinander- und danach wieder zusammengefaltet werden – doch ein gewisser Orla E. Watson aus Kansas City patentierte einen Wagen mit verjüngter Vorder- und einklappbarer Rückseite. Goldman reichte eine Klage ein, um das Patent anzufechten, die beiden einigten sich und produzierten munter weiter. Seither haben sich Einkaufswagen kaum verändert. Goldman wurde Millionär und verkaufte seine Firma 1961.
MIT DER AMERIKANISIERUNG DES EINZELHANDELS GELANGTE DER FAHRENDE EINKAUFSKORB 1948 IN UNSERE BREITEN.
Wie eingangs erwähnt kommen Einkaufswagen immer wieder vom Weg ab, dadurch verursachte Kosten belaufen sich angeblich weltweit auf über eine halbe Milliarde Euro. Verrückt – wer hätte gedacht, dass so viel Geld in relativ großmaschigen, metallverstrebten Einkaufskörben steckt? Oder besser: rauszuholen ist. Auch auf ungewöhnlichen Wegen sorgte 1985 erneut ein Einkaufskorb-Hersteller für Schlagzeilen in der Wirtschaftspresse. Das 1971 gegründete Unternehmen WPP (Wire and Plastic Products), das mit einem Büro und zwei Angestellten jährlich Millionen machte, wurde von einem ehemaligen Mitarbeiter der Werbeagentur Saatchi & Saatchi übernommen. Der machte es durch etliche Übernahmen und Fusionen zu einem der größten Medienunternehmen weltweit. Großeinkauf mal anders. Dass für uns, beim Einkauf von Gemüse und Dosen, die Griffstangen von Einkaufswagen gefährlich werden können, stimmt übrigens. Ähnlich wie Salz- und Pfefferstreuer in Restaurants sind sie mit einer Bandbreite fragwürdiger Substanzen kontaminiert – ein Schlaraffenland für Bakterien.