Als Aristokrat unter den britischen Sportwagen, der einst im Besitz von Raymond Mays war, gehört dieser Invicta zum Besten, was der britische Automobilbau vor dem Weltkrieg auf die Räder stellte.
Wenn es um den besten britischen Vorkriegssportwagen geht, denkt man nur allzu schnell an das Offensichtliche – einen Bentley – oder, um dieses Klischee zu vermeiden, an so obskure Kreationen wie einen Marendaz, den etwas schickeren Squire oder an Donald Healeys Kopie des Alfa Romeo 8C, den Triumph Dolomite Straight Eight. All diese Autos wären irgendwie vertretbar, wie auch der Vauxhall 30-98 und einige andere, aber die korrekte Antwort lautet: »Low Chassis Invicta«. Und zwar nicht irgendein Low Chassis Invicta, sondern dieser ganz spezielle, der das Produkt zweier geistiger Größen aus der Vorkriegszeit des britischen Automobils ist.
Der erste davon war Noel Macklin, Vater nicht nur von Rennfahrer Lance Macklin, sondern auch der Marken Railton und Invicta, der Bootsbau- firma Fairmile Marine und einigen anderen. Der in Australien geborene Unternehmer darf wohl zu Recht als Tausendsassa bezeichnet werden. Sich auf ein Ding zu konzentrieren, war nicht seine Sache. Ähnlich wie der Spanier Alfonso de Por- tago, der Rennfahrer war und gleichzeitig bei Olympischen Spielen als Bobfahrer antrat, hatte auch Macklin als Jockey, Eishockeyspieler und Rennfahrer ein facettenreiches Sportinteresse.
Die zweite Schlüsselfigur war Raymond Mays, ein äußerst patriotischer britischer Rennfahrer und Mitbegründer der Rennställe ERA (English Racing Automobiles) und BRM (British Racing Motors). Mays Ehrgeiz und Hingabe gipfelten in der Konstrukteursmeisterschaft von BRM 1962 und fast 200 Grand-Prix-Teilnahmen des Teams zwischen 1951 und 1977. Als Fahrer machte er sich mit einer an Rücksichtslosigkeit grenzenden Uner- schrockenheit einen Namen. Nicht nur auf ERA, sondern auch auf Bugatti, AC, Riley, Mercedes und eben Invicta.
Unser Auto ist der S119, bekannt als Shelsley – die meisten Invicta hatten mit S beginnende Spitznamen – und einer von zwei Weißen Invicta in Mays Lieblingsfarbgebung weiß mit blauen Ledersitzen. Den ersten, S35, kaufte Mays’ 1931 im Auftrag der India Tyre & Rubber Company aus Schottland, die damit ihre Reifen bewerben wollte. Mays’ selbst fuhr mit dem Wagen, der einen extrem leistungsfähigen Villiers-Vauxhall- Kompressormotor unter der Haube hatte, zahlrei- che Siege ein. In seinem Buch »Split Seconds« beschrieb Mays den S35 als den weißen Invicta, mit dem er auch 1932 Rennen bestritt, und verur- sachte damit in der Invicta-Welt große Verwir- rung bezüglich der Bedeutung und der Geschichte dieses Autos. Die Lösung des Rätsels lieferte der ehemalige Mays-Mitarbeiter Richard Chapman 1969 in einem Artikel in der Zeitschrift »Vintage and Veteran«, in dem er sich erinnerte, dass ein vollkommen neues Chassis – S119 mit dem Kenn- zeichen TL 2327 – in Bourne angeliefert worden war, das dann in erheblichem Maße erleichtert und mit einem speziellen 4,5-Liter-Rennmotor von Meadows bestückt wurde. Dieser lief mit Methanol und hatte anstelle der ursprünglich verwendeten SU-Vergaser zwei Amal-Vergaser von Meadows bestückt wurde. Dieser lief mit Methanol und hatte anstelle der ursprünglich verwendeten SU-Vergaser zwei Amal-Vergaser.
Doch nun zu dem Fahreindruck: Das enorme Drehmoment ist zu jeder Zeit spürbar und nach einigen Selbstversuchen ist es bewiesen: Im obersten Gang zieht der Motor von 15 km/h (bei nur wenigen hundert Umdrehungen) problemlos bis 100 km/h hoch, und zwar bergauf!
Der Invicta fährt sich auf Asphalt sehr leichtfüßig und ist bei den erlaubten 100 km/h auf der Landstraße ganz in seinem Element. Das Vierganggetriebe ist für ein Vorkriegsauto gar nicht so widerspenstig und je öfter man es bedient, desto mehr möchte man es benutzen – und zwar immer selbstverständlicher, je mehr man damit vertraut wird. Wie in jedem anderen Auto ist natürlich auch nicht alles idiotensicher, doch ein sauberer Gangwechsel bei Drehzahlen zwischen 2500 und 2750 U/min kann sehr befriedigend sein. Die Lenkung überrascht mit ihrer Leichtgängigkeit, ist aber trotzdem ausgewogen und sehr präzise. Auch der Wendekreis ist akzeptabel. Und was die Balance angeht: Der niedrig montierte Motor, der unter der Hinterachse verlaufende Rahmen und der niedrige Schwerpunkt geben dem Invicta eine fantastische Straßenlage, was Kurven fast ebenso reizvoll macht wie das Herausbeschleunigen, zumal die Dunlop-Rennreifen eine enorme Haftung bieten. Die hintere Starrachse mit den originalen Blattfedern und Hartford-Reibungsdämpfern am Heck sowie die vordere Starrachse bieten mehr Fahrkomfort als in manch anderem Auto dieser Zeit.
Ist dieser Vorkriegs-Invicta also immer noch leistungsfähig, alltagstauglich und schnell genug, um auch fast ein Jahrhundert später noch mit dem modernen Straßenverkehr mithalten zu können?
Text: James Elliot
Fotos: Jonathan Fleetwood
Bearbeitung: Christel Flexney