Der Maserati A6G/54 ist ein raffiniert getarnter Rennwagen mit gerade genug gebremstem Schaum für den Einsatz auf der Straße – wunderschön verpackt in einer ultraleichten Zagato-Karosserie. Peter Tomalin erlebte einen seltenen Nervenkitzel.
Zwei der geschichtsträchtigsten und am meisten verehrten Namen nicht nur der italienischen Automobilhistorie hatten zwar in ihren Firmengeschichten die eine oder andere Fehlzündung zu beklagen. Aber auf dem Höhepunkt ihres Schaffens besaßen sie eine Aura und Fähigkeit, um Begehrlichkeiten wie nur wenige andere zu wecken. Und als ihre Talente Mitte der 1950er-Jahre verschmolzen, waren die Ergebnisse geradezu transzendental. So wie dieses Meisterwerk, das Sie hier sehen: ein Maserati A6G/54 Zagato.
Die 1947 eingeführte A6-Serie war das erste Maserati-Modell der Nachkriegszeit, mit Karosserien von Pinin Farina und einem nur 65 PS starken 1,5-Liter-Motor. Gefolgt 1950 vom A6G, der auch als Maserati 2000 GT verkauft wurde, einen 100 PS starken Zweiliter-Motor erhielt, aber nur 16 Mal gebaut wurde. Mit dem A6G/54, der (wie es die Bezeichnung suggerierte) 1954 folgte, beseitigten die Italiener einige der Schwächen des A6G. Von ihm entstanden 63 Exemplare, mit Fahrgestellen von Frua (Spyder-Tipo A, Coupé Tipo B), Allemano (Coupé, Tipo C) und Zagato (Coupé, Tipo D). Doch waren es die Zagato-Berlinettas, die wegen ihrer stromlinienförmigen Karossen und ihres geringen Gewichts (schon immer die größten Stärken von Zagato) besonders geschätzt wurden.
Insgesamt kleidete die Mailänder Carrozzeria in den Jahren 1955 und 1956 20 Chassis als Fließheck-Coupés ein; der 1955 entstandene Spyder blieb ein Einzelstück. Die Zagato-Typen waren für Einsätze im Motorsport geeignet, viele nahmen in der Zweiliter-Klasse an Bergrennen, der Tour de France oder dem Giro de Sicilia teil – 1956 startete einer sogar bei der Mille Miglia – und dienten ihren Besitzern gleichzeitig als Straßenfahrzeug.
Unter der Haube waren alle A6G/54 eng mit dem fabelhaften A6GCS-Rennwagen verwandt und übernahmen dessen leichten Stahlgitterrohrramen samt den rennerprobten Brems-, Lenk- und Aufhängungskomponenten. Ihr Herzstück war ein vorn längs eingebauter und komplett in Leichtmetall gegossener Zweiliter-Reihensechszylinder (Bohrung 76,5 mm, Hub 72 mm) mit erstmals zwei obenliegenden Nockenwellen, der eng mit einem von Gioacchino Colombo entworfenen Formel-2-Rennmotor verwandt war. Vittorio Bellentani lag es anheim, diesen Motor für den Einsatz im Straßenbetrieb zu überarbeiteten.
Das gelang durch den Einsatz von ketten- statt zahnradgetriebenen Nockenwellen, Nass- statt Trockensumpfschmierung, überarbeiteten Nockenprofilen, einer Verteilerzündung anstelle eines Magnetzünders und verschiedenen kleineren Änderungen, die ihn zivilisierter, leiser und weniger wartungsintensiv machen sollten. Maserati gab 150 PS (20 weniger als im A6GCS) an, mit optionaler Doppelzündung sogar 160 PS. Selbst wenn man die damals üblichen Übertreibungen abzieht, eine beachtlicher Output aus nur zwei Litern Hubraum.
Bei unserem Titelhelden handelt es sich um das Chassis 2186 – ein A6G/54 aus der Spätphase der Produktion und das letzte der 20 Zagato-Coupés. Kein Modell gleicht dem anderen, da sich die Form und die Details im Laufe der zweijährigen Produktionszeit allmählich weiterentwickelten und zugleich individuelle Kundenwünsche Berücksichtigung fanden. So hat dieser Wagen einen größeren Kühlergrill als frühere Exemplare, die charakteristischen vertikalen Lufteinlässe in den vorderen Kotflügeln, besonders markant und sinnlich geschwungene hintere Kotflügel, zwei getrennte Motorhaubenhutzen, rudimentäre Stoßstangen aus Aluminium und eine ovale Armaturenbretteinfassung. In Anbetracht seiner Doppelfunktion als Straßenfahrzeug und Rennwagen bestehen alle Scheiben mit Ausnahme der Frontscheibe aus Plexiglas.
Der Maserati wurde 1956 von Charles Rezzaghi von Mille Miglia Motors Inc. in San Francisco bestellt, am 31. Oktober fertiggestellt und zusammen mit zwei weiteren A6G/54 nach Kalifornien verschifft. Wo es in der Folge an einer Reihe von Sportwagenrennen teilnahm und – inzwischen dunkelgrau lackiert – seinem Fahrer Frank Jay Hoke aus Tucson (Arizona) 1961 zum Sieg in der »E-Modified«-Klasse verhalf.
Nach dem Ende der Rennkarriere Anfang der 1960er-Jahre ersetzte Hoke den Maserati-Reihensechszylinder durch einen Buick-V8 und lackierte das Auto neu auf Silber um, mit einem Interieur aus schwarzem Kunstleder. Das klingt wie ein Sakrileg, hatte aber rein pragmatische Gründe. Denn da für solche Exoten mit zunehmendem Alter kaum noch Ersatzteile zu bekommen waren, war es nicht unüblich, bei einem Motorschaden – oder auch prophylaktisch – einen heimischen V8 unter die Haube zu setzen.
Zum Glück für den 2186 konnte ein späterer Besitzer viel viel später, genauer gesagt 2008, den Wagen wieder mit dem zwischenzeitlich in einem anderen A6G installierten Originalmotor vermählen. Seitdem wurde er in seiner ursprünglichen Farbe restauriert und in den makellosen Zustand auf diesen Bildern zurückversetzt. Mit dem Originalmotor vereint tauchte er erstmals 2014 bei der Villa d’Este wieder auf, passend zum 100. Geburtstag der Marke mit dem Dreizack im Wappen.
Fotos Dean Smith // Bearbeitung Thomas Imhof
Lesen Sie in OCTANE #66, warum der Besitzer den A6G sein Baby nennt und wie sich der Rennwagen im Massanzug heute noch auf der Straße fährt.
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