Mechatronik-Mercedes V8
Text Robert Coucher // Fotos Ian McLaren
DIE MIT MODERNEN BAUTEILEN VERBESSERTEN KLASSIKER MAG MAN FINDEN, WIE MAN WILL. BEIM FAHREN MACHEN DIE VON MECHATRONIK BRILLANT MODIFIZIERTEN AUTOS MÄCHTIG SPASS.
Diese zwei Modelle, der 280 SL und der 280 SE, sind zwei großartige Beispiele für die Hochzeiten von Mercedes Benz. Der 280 SL ist anscheinend ein 1969er-Modell, der 280 SE 3.5 scheint ein ähnlicher Jahrgang zu sein. Beide sehen aus wie neu. Die Autos sind bildhübsch – aber sie sind nicht, was sie zu sein scheinen. Sie sehen fast zu hundert Prozent original aus, nur die Reifen und die geduckte Haltung deuten etwas anderes an.
Öffnet man aber die Motorhauben, dann wird klar, wofür »Mechatronik« steht. In beiden Mechatronik-Mercedes V8 befindet sich ein moderner von Mercedes-Benz. Bedeutet: Entspannt cruisen oder mittels 300 PS auf der Übelholspur Gas geben – ganz, wie es beliebt.
Der Himmel erstrahlt in diesem intensiven Blau, einem Kobaltblau, wie es einem nur in Afrika begegnet. Die Hitze ist brutal, sporadisch kommt vom Indischen Ozean eine Brise, die das Überleben etwas erleichtert. Aber auch nur etwas. Der Ozean ist eine Tagestour entfernt; im Osten, hinter den Bergen, hinter Tälern und Schluchten und noch mehr Bergen.
Die Gegend ist unschlagbar schön. Wir sitzen auf dem Franschhoek Pass, mit schussbereiten Kameras in Wartestellung. Unten ziehen – von uns nicht beachtet – Autos vorbei, die voneinander kaum zu unterscheiden sind. Einige Kiefern spenden etwas Schatten, aus dem heraus wir beobachten, wie sich der spärliche Verkehr die Serpentinen hinauf windet. Gelegentlich ein schwer beladener Lieferwagen, vor allem aber Pkw, von denen einer so aussieht wie der andere.
DER SOUND IST UNGEBÄNDIGT, ATTACKIERT DIE SINNE. DURCH DIE FUSSSOHLEN IST DIE KRAFT DER MOTOREN ZU SPÜREN
Dann ein anderer Sound, noch ganz unten aus dem Tal. Grollend und tief. Das Geräusch wird leiser und lauter, es nähert sich, lässt einen erzittern. Es ist lebendig und aufregend. Dann sind sie zu sehen: Zwei Sportwagen blitzen in der Sonne auf. Wie Fische, die aus dem Wasser springen, sind sie einen Moment lang zu sehen, dann verschwinden sie wieder hinter Bergkuppen. Doch der Sound bleibt – das markante Donnern großvolumiger Achtzylinder-Motoren am Limit.
Der Fotograf schaltet seine mit Teleobjektiv versehene Nikon auf Dauerfeuer. Es bleibt einem kaum Zeit, sich klarzumachen, dass hier zwei Veteranen aus den 1960ern mit dem Tempo moderner Sportwagen an der Linse vorbeijagen. Der Sound ist ungebändigt, attackiert die Sinne. Durch die Fußsohlen ist die Kraft der Motoren zu spüren. Und schon sind sie weg. So ein Blick auf zwei vorbeirasende Mercedes ist etwas ganz Besonderes.
Wenn man sie sich genauer ansieht: Der 280 SL ist anscheinend ein 1969er-Modell, der 280 SE 3.5 scheint ein ähnlicher Jahrgang zu sein – beide sehen aus wie gerade erst vom Band gelaufen – eben nagelneu. Beide kauern tief auf mit modernen 205/65-Reifen bestückten Barock-Leichtmetallfelgen. Vorgestellt wurde der W113 – die Pagode – 1963 als 1295 Kilo schwerer 230 SL mit einem wunderbaren 2306-ccm-Reihensechszylinder. Wofür er stand, war zunächst nicht ganz klar, denn er ersetzte zugleich den 190 SL und den 300 SL. Um beim Spagat zwischen beinhartem Sportwagen und untermotorisiertem Tussi-Auto die Männer nicht aus dem Blick zu verlieren, nahm Eugen Böhringer mit einem leicht auf gebohrten 230 SL 1963 an der extrem harten Rallye Spa–Sofia–Liège teil – und sicherte sich vom Fleck weg den Sieg.
ORIGINAL-PAGODEN SIND HEUTE SEHR BEGEHRT, WEIL SIE SO GUT GEBAUT WAREN, PRAKTISCH SIND, AUCH WEIL MAN LEICHT ERSATZTEILE BEKOMMT – UND WEIL ES SO VIEL SPASS MACHT, SIE ZU FAHREN.
Vergleichbar mit dem E-Type war die Pagode bei Männern und Frauen schnell beliebt, in Übersee ganz besonders. Trotz Böhringers Einsatz vielleicht kein Sportwagen, aber ein sportlicher Tourer, mit dem jeder auch auf dem Hollywood Boulevard punktet. Der erste richtige SL. Der 230 SL wuchs zum 250 SL, schließlich 1967 mit 2778 ccm und Benzineinspritzung zum 280 SL.
Der hatte noch mehr Dampf, aber auch ein weicheres Fahrwerk; mit 1360 Kilo war er nicht mehr ganz so superleicht. Die 24.000-DM-Pagode schaffte 200 km/h und beschleunigte in neun Sekunden auf 100. Original-Pagoden sind heute sehr begehrt, weil sie so gut gebaut waren, praktisch sind, auch weil man leicht Ersatzteile bekommt – und weil es so viel Spaß macht, sie zu fahren.
Beim Lack könnte man denken, es handle sich hier um eine Doppelglanz-Lackierung und der Chrom scheint doppelt so dick wie bei jedem anderen Auto. Die Spaltmaße sind auf den Millimeter genau, die schweren Türen schließen mit einem extrem befriedigenden, satten Geräusch. Auf die Finger aufpassen: Falsch platziert, werden sie sauber abgetrennt! Die Lederausstattung ist eindeutig neu. Zweifelsfrei gilt dasselbe für die Teppiche und das Holz. Beide Autos haben ein Becker-Radio, das nach Sixties aussieht, tatsächlich aber ein Navi mit allem Pipapo enthält.
Als Nächstes bemerkt man in denMechatronik-Mercedes V8 die modernere Führung des Automatik-Wählhebels – und schließlich am Heck eine Plakette: ein »M« mit stilisierten Flügeltüren über dem Wort »Mechatronik«.Die Autos sind bildhübsch, aber sie sind nicht, was sie zu sein scheinen. Sie sehen fast zu hundert Prozent original aus, nur die Reifen und die geduckte Haltung deuten etwas anderes an.
BEI MECHATRONIK WERDEN DIE AUTOS BIS ZUR LETZTEN SCHRAUBE ZERLEGT UND DANN GEMÄSS KUNDENWÜNSCHEN KOMPLETT NEU AUFGEBAUT
Öffnet man die Motorhauben derMechatronik-Mercedes V8, dann wird klar – und vermutlich für immer unvergesslich – wofür »Mechatronik« steht. In beiden Autos befindet sich ein moderner V8-Motor. Von Mercedes-Benz. Bei der Pagode ist es ein 4,3-Liter, wie er ab der Jahrhundertwende in der E-Klasse eingesetzt wurde, beim größeren Cabrio ist es die 5-Liter-Version derselben Motorenfamilie M 113. Leistung wie bei einem Neuwagen der Oberklasse, abgeriegelt bei 230 km/h, Kat, Zylinderlaufbuchsen aus Silitec, Doppelzündung.
Das also ist das Besondere an einem Mechatronik-Mercedes V8: abgesehen von den breiten Reifen optisch so original und in Top-Zustand, dass man auch bei einem Concours punkten könnte, nur der Antrieb ist fabrikneu und alles ist rückbaubar in den Originalzustand. Die Firma, gegründet 1997 und seit 2001 in Pleidelsheim bei Stuttgart angesiedelt, bietet vollen Restaurierungs-Service für jeden Mercedes an. Die hier abgebildeten Modelle sind Mercedes-Benz-Klassiker, die entsprechend heutigen Anforderungen überarbeitet wurden.
Wünsche umfassen moderne B-Motoren, Getriebe, Bremsen und aufgewertete Fahrwerke, aber auch Komfort-Ansprüche wie beheizte Sitze, Klimaanlagen, Sound-Systeme usw. Wer ein Fahrzeug im perfekten Originalzustand bevorzugt, dem baut die Firma Mechatronik einen hundertprozentigen Concours-Sieger. Doch manche – wie die Besitzer dieser beiden Autos – wollen etwas anderes. Beide Besitzer verfügen über eine beneidenswerte Sammlung klassischer Autos, doch beide lieben es auch, einfach nur zu fahren. Sie wollten einen Klassiker, der den Härten des täglichen Einsatzes im Straßenverkehr gewachsen ist – und das bekamen sie. Warum nehmen sie dafür nicht einfach einen neuen Mercedes? Weil ein Klassiker besser aussieht – Punkt.
MAN KANN CRUISEN – ODER MIT EINEM BEHERZTEN TRITT AUFS GASPEDAL 300 PFERDCHEN DIE SPOREN GEBEN UND DEN RESTLICHEN VERKEHR HINTER SICH LASSEN
Gesagt, getestet. Für die Fahrt die steile Passstraße hinauf ist jeder Gang recht – dank reichlich Drehmoment bei jeder Drehzahl. Die Fahreigenschaften bleiben geschmeidig, und das clever überarbeitete Fahrwerk mit seinen Eibach-Federn und KW-Dämpfern ist der Aufgabe mehr als gewachsen. Das moderne Bremssystem mit ABS erlaubt es, auf den Geraden voll aufs Gas zu drücken. Die Fahrzeugdynamik ist der Leistung mehr als gewachsen und schon bald ist es der persönliche Mut, der hier auf dem Prüfstand steht.
BEIDE STEHEN FÜR DAS, WAS DEUTSCHE INGENIEURSKUNST AUSMACHT. QUALITÄT, SOLIDE DURCH UND DURCH
Nun ist das größere Cabrio dran und nach dem scharfen SL fühlt es sich etwas klobig an. Doch es hat einen V8 mit noch einer Schippe mehr Drehmoment, kombiniert mit einer kürzeren Übersetzung. Entsprechend aggressiver erstürmt es den Berg. Wenn überhaupt, ist die Servolenkung noch präziser als die des SL. Vielleicht weil ich viel schneller fahre als in der leichteren Pagode. Das Cabrio ist schwerer, aber es geht mit dem Gewicht sehr souverän um.
Man kann cruisen – oder mit einem beherzten Tritt aufs Gaspedal 300 Pferdchen die Sporen geben und den restlichen Verkehr hinter sich lassen … bergauf! Was für ein Spaß! Diese Autos sind wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde, halbe-halbe. Die bleibende Erinnerung an sie ist die dieser fabelhaft monströsen Leistungsfähigkeit.