Dieses Fiat 1100 TV Ghia Coupé ist auf Madeira in guten Händen unterwegs. Mit klassischer Zwei-Farben-Lackierung und 50 PS. Übrigens: Das »TV« im Modellnamen steht für »Turismo Veloce« – nicht das, was Sie vielleicht denken!
Im Jahr 1953 lancierte die Fabbrica Italiana Automobili Torino unter der Typ-Bezeichnung »1100« ihre erste Nachkriegskonstruktion in der Kompaktklasse. Der Wagen sah aus wie eine geschrumpfte Version des wenige Jahre zuvor vorgestellten 1400ers, der bei Fiat die Ära der selbsttragenden Ponton-Karosserie eingeläutet hatte. Dessen Styling war zwar leidlich modern, hatte aber nichts mit den atemberaubend schönen Karosserien gemein, mit denen Italiens Blechschneider in den frühen Nachkriegsjahren Zeichen gesetzt hatten. Wieviel schöner ist da doch dieses aparte Fiat 1100 TV Coupé von Ghia, das ein rostfreies Leben auf der Blumeninsel Madeira geniesst.
Nicht erst seit Sergio Marchionnes fataler Leichenflederei der 2000er-Jahre, der klapprige Amischlitten von Chrysler kurzerhand zu Lancias umlabelte und hoffte, diese mit Hilfe von traditionsreichen Modellnamen unbedarften europäischen Autokäufern als Luxus-Produkte unterjubeln zu können, gibt es Verflechtungen zwischen der italienischen und der amerikanischen Automobilindustrie. Besonders eng war diese immer schon zwischen der Turiner Carrozzeria Ghia und Chrysler. Ghia hatte seit seiner Gründung Anfang der 1920er-Jahre vielleicht für mehr Marken atemberaubende Karosserien entworfen als jeder andere Turiner Auto-Couturier – auch für Fiat.
Ganz so dreist wie Marchionne – neues Logo auf alte Modelle – trieben es die Fiat-Oberen damals aber nicht. Statt Fake-Labels auf billige amerikanische Massenware zu kleben, beauftragten sie heimische Edel-Karossiers damit, ihre alltagstaugliche Stangenware zu wunderschönen Einzelstücken und Kleinserien umzuarbeiten.
Im Falle des Fiat 1100 diente dabei ab 1953 die Turismo Veloce, oder abgekürzt »TV« genannte Sport-Version als Basis. In der eigenen Werkstatt für Spezial-Karosserien »Fiat Carrozzerie Speciali« entstanden zunächst in geringer Stückzahl recht hübsche, aber stark vom aktuellen amerikanischen Geschmack der Zeit beeinflusste »1100 TV Trasformabile« genannte Spyder. Die gleichen Bodengruppen gingen in offensichtlich noch geringerer Zahl ebenso an italienische Karossiers wie Vignale oder eben Ghia, die daraus wunderschöne Coupés mit schlichten Linien bauten. Unverkennbar waren auch hier amerikanische Querbezüge – allerdings in die andere Richtung. Einige Jahre vor den TV-Coupés hatte Ghia für Chrysler zwei atemberaubend schöne Konzeptfahrzeuge entwickelt, die für den amerikanischen Geschmack dann aber – im leicht versnobten Tonfall des britischen Ghia-Historikers David Burgess-Wise – »nicht vulgär genug« waren, um in Serie zu gehen: den Chrysler Ghia Special GS-1 und den Ghia DeSoto Adventurer.
Die Formensprache dieser Design-Versuche kehrte später in Form der kleinen TV-Coupés wieder nach Europa zurück. Und selbst die 1953 von Mario Boano für Ghia gestylte Version des Fiat 8V-Coupés bedient sich dieser Formensprache. Es darf also davon ausgegangen werden, dass Boanos Einfluss auch für die Form der Fiat TV-Coupés verantwortlich ist, obwohl er Ghia zu dieser Zeit vermutlich schon verlassen hatte. Während im Otto-Vu und in den amerikanischen Concept-Cars der schnittigen Form entsprechend standesgemäße Achtzylinder saßen, brummt in den Fiat TV Coupés ein kleiner Vierzylinder Reihenmotor. Der brachte es immerhin auf 50 PS – schlanke 14 PS oder starke 40 Prozent mehr Leistung als ein Standard 1100 damals leistete.
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Text und Fotos Berthold Dörrich
Diese Story finden Sie in OCTANE Ausgabe 24