Ein FIAT-Chef wünscht sich zu seinem 20-jährigen Dienstjubiläum einen offenen Ferrari Testarossa – und bekommt diesen wunderschönen Spider als Einzelanfertigung.
Die Geschichte dieses einzigartigen Ferrari Testarossa ist geprägt von der legendären Persönlichkeit, für die er einst gebaut wurde, den damaligen Fiat-Chef Gianni Agnelli. Aber als Musterbeispiel höchster Ingenieurskunst verdient er auch Anerkennung in eigener Sache. Zwar hat es eine Handvoll anderer Testarossa Spider gegeben, dieser ist jedoch der einzige, der von der Fabrik selbst in Zusammenarbeit mit Pininfarina produziert wurde. Seine zahlreichen Details zeigen, wie viel Überlegung, Mühe und Budget in ein Produkt geflossen sind, das eines Mannes würdig sein sollte, den seine Landsleute den »ungekrönten König von Italien« nannten.
Der 1984 eingeführte Testarossa ist für die breite Öffentlichkeit noch heute eines der am schnellsten erkennbaren Straßenautos von Ferrari. Konzipiert als ein Modell, mit dem man lange Strecken mit hoher Geschwindigkeit und relativem Komfort zurücklegen konnte, war er ein ausgefeilterer Entwurf als die verschiedenen Berlinetta Boxer, die ihm vorausgingen. Die zu beiden Seiten des Motors platzierten Kühler reduzierten – anders als der übliche Frontkühler – die Innenraumtemperatur und vergrößerten den Kofferraumplatz in der Nase.
1986 machte sich Ferrari daran, das Chassis mit der Nummer 62897 in Gianni Agnellis eigenen Spider zu verwandeln. Agnelli war der Inbegriff eines Italieners. Als Geschäftsmann, Staatsmann und Playboy gleichermaßen eroberte er sich eine Position, der es an Reichtum, Macht und Einfluss nicht fehlte. Auf der einen Seite die Stilikone, die Henry Kissinger und Fürst Rainier von Monaco zu ihren Freunden zählte, auf der anderen Seite der charismatische Frauenheld, dem romantische Verbindungen zu Schauspielerinnen und Society-Ladys nachgesagt wurden.
Agnelli war schon lange Kunde bei Enzo Ferrari gewesen. Bereits 1950 hatte er sich einen zweifarbigen 166 MM Touring Barchetta gekauft. Interessanterweise hatte er auch eine von Pininfarina eingekleidete Einzelanfertigung besessen, den 400 Superamerica Coupé Speciale in Silber mit zwei hellblauen Streifen an den Flanken. Dieses Farbschema sollte sich später an seinem Testarossa wiederfinden, mit dessen Bau Ferrari am 27. Februar 1986 begann. Die Auslieferung erfolgte weniger als vier Monate später, am 16. Juni. Und die Tatsache, dass es in Italien eigentlich unmöglich war, ein persönliches Kennzeichen zu erhalten, wurde kurzerhand ignoriert. Der Wagen bekam das Turiner Kennzeichen TO 00000G.
1991 verkaufte Agnelli den Testarossa an einen engen Freund, der sich in den Wagen verliebt hatte und mit dem er Poker spielte. Bis Feruar 2016 verblieb das Auto in dessen Familie, dann wurde er vom französischen Auktionator Artcurial auf der Rétromobile in Paris zum Kauf angeboten. Dort erstand ihn ein Mann, der schon lange eine sehr enge Verbindung zu Ferrari hatte: 1975 war Ronald Stern mit seiner Cobra zur Fabrik in Maranello gefahren, wo seine Vorliebe für die italienische Marke zementiert wurde. Dabei half, dass die Ferrari-Mechaniker einen der Formel-1-Renner der Scuderia vor die Tür rollten und ihn anließen.
»Ich habe ein wunderbares Foto davon, wie Ermanno Cuoghi am Auto arbeitet«, erinnert sich Stern. »Im Hintergrund sieht man jemanden mit den Fingern in den Ohren, weil der Motorlärm so gigantisch war. Es war hypnotisierend. Die oberen Karosserieteile des Autos waren abgenommen worden, es stand also blank dort. Und man konnte einfach auf den Fabrikhof gehen und sich anschauen, was vor sich ging – ganz anders als heute.«
Das Fahrerlebnis ist eher fein und kultiviert als ungestüm und einschüchternd. Gefragt nach dem Stellenwert des Testarossa im Vergleich zu den anderen atemberaubenden Ferrari, die er besessen hat, zögert Stern nur kurz: »Ich mag sie alle. Alle haben einen Platz in meinem Herzen. Im GTO wurde es auf längeren Strecken sehr heiß. Der 1960er 250 GT »Short Wheelbase« von Moss war fabelhaft und zweifellos besser für die Straße geeignet als der GTO. Und ich mochte auch den 290 MM sehr, weil sein Getriebe unsynchronisiert war und er sich mit seinem mar- kanten Auspuffton wie ein B-52-Bomber anhörte. Ich schätze mich glücklich, dass ich über all die Jahre solch großartige Autos besitzen durfte. Und der Testarossa ist der Hingucker schlechthin.«
Text James Page // Fotos Christian Martin für Artcurial // Bearbeitung // Christel Flexney