Klassiker

Ein Hauch Verrücktheit

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Zum 50. Geburtstag des Fiat 130 Coupé kam als Ehrengast der damalige Pininfarina-Designer Paolo Martin. Nicht mal eine Woche brauchte er 1969 für den Entwurf, der bis heute Avantgarde ist.

Um Paolo Martin, seine Talente und seine Lebenseinstellung besser zu verstehen, muss man zu seinem Haus am Stadt- rand von Turin fahren. Nach ein paar hundert Metern auf einer Schotterstraße kommt man zu einer geschlossenen roten Schranke. Sie ist, mangels anderer Möglichkeiten, ausschließlich von Hand zu öffnen. Aber es ist eine leichte Aufgabe, da sie perfekt ausbalanciert ist und nur ein Minimum an Kraftaufwand erfordert. Wenn sie oben ist, hat man genug Zeit, um zu seinem Auto zurückzugehen und vorbeizufahren. Und erst wenn man weiterfährt, bemerkt man im Rückspiegel, dass die Stange sich langsam absenkt, den Vorteil und die Zuverlässigkeit der Schwerkraft nutzend.

“Sie ist schon seit einigen Jahrzehnten da”, sagt Paolo Martin zur Begrüßung, als wir oben auf dem Hügel angekommen sind, “und sie wird noch einige weitere Jahre da sein, denn etwas so Simples wird nie aufhören zu funktionieren und die Schwerkraft ist immer verfügbar”. Es mag überraschen, aber der Designer Paolo Martin hat die Einfachheit schon immer zu seinem Markenzeichen gemacht. Wahrscheinlich, weil er einer der wenigen, wenn nicht der einzige Autodesigner war (und immer noch ist), der in der Lage war, mit seinen eigenen Händen ein Modell seiner entworfenen Idee im Maßstab 1:1 anzufertigen.

Paolo Martin schuf das zeitlos elegante Bleichkleid des Fiat 130 Coupé.

Er tat dies im Alter von nur 23 Jahren mit dem Dino 206 Berlinetta Competizione aus dem Jahr 1967, als seine erste Aufgabe bei Pininfarina, wobei er den Balkon seiner Mutter als Atelier nutzte. Berühmt wurde er durch den Entwurf des Ferrari 512 S Modulo aus dem Jahr 1970, diesmal in den Pininfarina-Büros – während der Sommerferien, als das Unternehmen geschlossen war.

Paolo Martin wird 1943 in Turin geboren und beginnt im Alter von 17 Jahren eine Ausbildung zum Designer im Atelier von Giovanni Michelotti. “Michelotti ist mein Mentor”, sagt Martin, “er hat viel von mir gehalten. Ich begann damit, die Bleistifte für das Atelier zu spitzen, und half schließlich beim Entwerfen. Ich habe immer noch einen seiner Bleistifte eingerahmt an der Wand: das Symbol seines Wissens und meines Respekts vor ihm.” 1966 fängt Martin bei Bertone an, wo er das “b” entwirft, das später als Firmenlogo auf den Bertone-Autos erschien. Aber schon ein Jahr darauf wechselt er zu Pininfarina, der führenden Marke im Autodesign dieser Zeit.

“Die Arbeit am Fiat 130 Coupé landete zufäl- lig auf meinem Schreibtisch”, gibt Martin zu. Nach der Limousine, die direkt von Fiat entworfen wurde und deren Form vielen zu traditionell war, beschloss die Fiat-Leitung, die stylishste “Carrozzeria” jener Zeit um Hilfe zu bitten.


Um den großen Kühler elegant zu verbergen, wurde die Front von Paolo Martin weiter nach vorn versetzt. Ganz nebenbei integrierte er erstmals eine gummierte Stoßstange ins Seitendesign.

“Wir waren ein Team von Designern”, so Martin weiter, “und es gab keine Hierarchie. Diejenigen, die mit anderen Projekten beschäftigt waren, blieben bei ihrer Arbeit und wer in diesem Moment weniger zu tun hatte, bekam den Auftrag. Für das Fiat 130 Coupé war ich das. Wie immer, und das wundert mich noch heute, musste bei den Autos, die in die normale Produktion gehen sollten, alles in aller Eile gemacht werden. Noch mehr als bei den Prototypen und Unikaten, etwas ganz Seltsames, dessen Grund ich nie herausfinden konnte. Für das 130 Coupé habe ich wahrscheinlich insgesamt nur vier Skizzen angefertigt, so wie später für den Lancia Beta Montecarlo.

Text: Massimo Delbò, Sven Schrader // Fotos: Massimo Delbò, Sven Schrader, Fiat, Pininfarina

Lesen Sie die ganze Entstehungsgeschichte des Fiat 130 Coupé in OCTANE #56

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