Text Richard Heseltine// Fotos Howard M Simmons
FORMEL-1-FANS HAT ER JAHRELANG BEGEISTERT. SACHLICH UND BESCHEIDEN PLAUDERT DER ALS FAHRER TALENTIERTE UND ALS EUROSPORT-KOMMENTATOR GELIEBTE “WATTIE” – AKA JOHN WATSON – AUS DEM NÄHKÄSTCHEN
Geschafft hat man es, wenn ein Name genügt, und jeder weiß, von wem die Rede ist. Nachname unnötig, jeder weiß Bescheid. Für eine ganze Legion von Formel-1-Fans ist John Watson als ‚Wattie‘ bekannt. 1982 hielt der Mann aus Belfast lange die WM-Führung, bis er plötzlich vom sprichwörtlichen Glück der Iren verlassen wurde. Speed und Talent hatte er trotzdem, wie jeder weiß, der gesehen hat, wie Wattie mit seinem McLaren beim US-Grand-Prix 1983 vom 22. Startplatz aus gestartet ist und sich durchs Feld bis zum Sieg geackert hat. Bis er da angekommen war, hatte er einen langen Weg hinter sich, der auf Club-Level mit einem Austin-Healey Sprite in Kirkistown und Bishopscourt begonnen hatte.
Im Moment ist Watson allerdings damit beschäftigt zu erklären, warum ein Aufkleber auf seinem fantastischen 73er Porsche 911 Carrera RS ihm so wichtig ist. Es ist ein Aufkleber des Autohändlers Hexagon. Das Geschäft, 1963 von Paul Michaels angeschoben, war mit historischen und edlen Fahrzeugen lange die Londoner Top-Adresse für Petrolheads. Als bei Hexagon auch das Restaurieren von Autos auf oberstem Niveau war, startete die Firma einen eigenen Rennstall. Watson ging allerdings hin, um sich die Zuffenhausener Schönheit mit dem Entenbürzel zu kaufen.
DIE GROSSE LIEBE MIT ENTENBÜRZEL
»Die hatten ihn nur als Vorführwagen bestellt, doch dann wurde er von Paul Michaels’ Frau Valerie benutzt. Ich verliebte mich sofort. In das Auto. Und Paul und ich haben dann einen Deal ausgearbeitet, der die Inzahlungnahme meines Ford Granada beinhaltet hat«, erinnert sich Watson. »Ich habe Porsche immer geliebt und im Stillen bin ich sehr stolz darauf, später mit dem 962 als Porsche-Werksfahrer gefahren zu sein. Ich habe auch einen Vier-Nockenwellen-356er. Mein Vater hatte so einen. Für mich ist ein richtiger Porsche luftgekühlt mit dem Motor im Heck.«
Dank seines Vaters wuchs der 1946 geborene John Watson mit Autos auf. »Mein Vater fuhr Rennen mit einem Zwei-Liter-Alfa. Es gab damals keine strukturierte Formel, abgesehen von den 500-ccm-Formel-3-Autos vielleicht. Die Formula Libre war die Kategorie für alle Fahrzeuge. Mein Vater fuhr mit dem Alfa Rennen und Bergrennen, meine Mutter war dabei als Team. Ende der Fünfzigerjahre zog er sich dann als Rennfahrer zurück, um sich aufs Geschäft zu konzentrieren. Ein paar Jahre später fing ich an, mit dem Sprite Rennen zu fahren – und der Rest ist Geschichte.« Watson bewies sein Talent in einem Crosslé 7S, und stieg dann mit Brabham in den Formel-Rennsport ein.
WENN MAN AUF DER SUCHE NACH SPONSOREN JEMANDEN FRAGTE, OB ER EINEN UNTERSTÜTZEN KÖNNE, UM RENNSPORT ZU BETREIBEN, DACHTEN DIE, DU SPINNST: AUF IHRE KOSTEN SPASS HABEN?
Ein Formel-2-Rennen in Thruxton 1969 war der Moment, wo klar wurde, dass er das professionell betreiben würde. »In Irland waren die Voraussetzungen schwierig, die dortige Formel 2 war im Prinzip dasselbe wie die reguläre – außer dass wir mit Lotus-Zwei-Nockenwellen-Motoren fuhren statt mit den teureren Cosworth-FVA-Aggregaten. Um aber an Rennen in Übersee teilzunehmen, brauchte man Geld. Wenn man auf der Suche nach Sponsoren jemanden fragte, ob er einen unterstützen könne – um Rennsport zu betreiben –, dachten die, du spinnst: Auf ihre Kosten Spaß haben?« Dazu lacht er. Knapp, nicht laut. Von Watson als Fahrer kann man halten, was man will. Als Gentleman, als fairer Kommentator mit Selbstkontrolle und Souveränität ist er seit EuroSport bekannt.
In Thruxton wendete sich im April 1969 das Blatt. »Der Knoten war geplatzt«, sagt er lächelnd. »Mir war klar, dass ich mehr drauf hatte als nur daheim Rennen zu fahren.« Mit einem Brabham BT30 ging Watson nach Europa, fuhr Formel 2. Bis sein Auto in Rouen mit einem platten Reifen in die Leitplanken flog. Resultat: Arm, Bein und Knöchel gebrochen. 1971 war er wieder da, diesmal begleitet von Derek Bells ehemaligem Mechaniker George Brown, über den Wattie sagt: »Ich kann ihm gar nicht dankbar genug sein.« In die Formel 1 kam Watson über einem nicht zur WM zählenden Lauf in Brands Hatch.
DASS WATSON AUCH BEI SIEGEN IM PLURAL – “WIR, DAS TEAM” – SPRICHT, SAGT ALLES.
Seine erste volle F1-Saison bestritt Wattie 1974 im Hexagon-Brabham, dann fuhr er ein Jahr für Surtees, eins für Penske, 1977 für Brabham. Beim Grand Prix in Paul Ricard wurde er Zweiter. Überschattet wurde die Saison, als schon früh sein Teamkollege Carlos Pace bei einem Flugzeugabsturz umkam. »Carlos wurde vom ganzen Team geliebt. Er und Bernie waren Freunde und ich weiß, dass Carlos’ Tod ihn sehr getroffen hat.«
Und dann: McLaren. »Als ich 1979 zu McLaren kam, dachte ich, sie hätten das beste Ground-Effekt-Auto der Formel 1. Von wegen. Beim Saisonauftakt in Argentinien kam ich aufs Podium, doch es wurde ein hartes Jahr. In Brands Hatch hatten wir dann den M29, eine Kopie eines Williams, doch im Gegensatz dazu war das kein Siegerauto.« Ein Jahr konnte Wattie in Silverstone triumphieren. Mit dem MP4 wurden die Karten neu gemischt. Doch dann wurden seine Titelhoffnungen in der zweiten Saisonhälfte durch vier Ausfälle in Folge vernichtet. Und 1983 war auch nicht alles wunderbar. »Wegen Reifenproblemen gelang es in Monaco weder mir noch Lauda, uns zu qualifizieren.«
Watsons Sieg in Long Beach war sein letzter Triumph im Formel-Rennsport. »Ich war über Nacht vom McLaren-Fahrer zum Ex-McLaren-Piloten geworden, auf der Suche nach einem Cockpit. So ist die Formel 1. Mir wurde klar, dass ich nach 151 Grands Prix einen Schlussstrich ziehen sollte.« Nach einigen Sportwagenrennen begann er seine zweite Karriere als TV-Kommentator für Euro Sport, wo er zur Hochform auflief. Seine Kommentare beeindruckten durch den enormen Wissensfundus aus erster Hand, aber auch durch Watties Charakter, diese aufrichtige Bescheidenheit. Obwohl er unendlich mehr zu erzählen hat, will und wird er nicht seine Memoiren schreiben: »Menschen sollten von der Geschichte beurteilt werden.« Auch daiese Bescheidenheit macht ihn zu einem echten Siegertypen.