Er wirkt wie ein Fahrzeug aus einem anderen Universum – und in gewisser Weise ist er das auch. Der Dodge Charger Daytona war kein Kind des Zufalls, sondern ein gnadenloser Vorstoß auf die Überholspur. Entstanden aus der Notwendigkeit, NASCAR-Rennen zu dominieren, wurde aus einem muskulösen Straßenfahrzeug ein aerodynamisches Biest mit Haifischnase und meterhohem Heckflügel. Kein anderer Wagen seiner Zeit hat die Regeln so radikal neu geschrieben – und dabei einen Mythos erschaffen, der bis heute Gänsehaut auslöst. Der Daytona ist kein Auto für Kompromisse. Er ist ein Statement auf Rädern. Ein geflügelter Krieger.

1969 und 1970 dominierten der Daytona und sein Mopar-Zwilling Plymouth Superbird dank der Power ihrer Chrysler-Hemi-V8 und der Steuerkünste von Fahrern wie Richard Petty und Bobby Allison die Superspeedway-Rennen der NASCAR-Serie. Ehe es dazu kam, wurden zunächst 500 Straßenversionen der geflügelten Krieger in Chrysler-Autohäusern verkauft, um die Modelle für die Stock-Car-Rennen zu homologieren.
Joe Machado ist leidenschaftlicher Charger-Fan der ersten Stunde
Joe Machado, ursprünglicher Besitzer eines der ersten produzierten Dodge Charger Daytona mit der Fahrgestellnummer #XX29L96105360, war ein absoluter Charger-Fan. 1966 kaufte er sich seinen ersten, 1967 einen weiteren und 1968 einen dritten. Die Version von 1969 lehnte er ab (der Kühlergrill gefiel ihm nicht), aber als der Hochdecker Charger Daytona kam, ergatterte er einen der 500 bei einem Händler vor Ort. Dann entdeckte seine Frau, dass das Auto keine Klimaanlage hatte, ein No-go für Südkalifornien. Joe zerriss den Kaufvertrag. Ein Jahr verging, bis Joes Schwester einen weiteren Daytona zum Verkauf entdeckte.
Ein verdeckter Drogenfahnder hatte ihn neu gekauft, doch erwies er sich für dessen Arbeit als zu auffällig (und die Trommelbremsen nach wiederholten Vollbremsungen als zu weich). Nun griff Joe zu. Als er das Auto kaufte, war sein Sohn neun Monate alt. „Ich bin in diesem Auto aufgewachsen“, sagt Sean. „Und habe in ihm fahren gelernt.“ Heute gehört ihm der Charger, in zweiter Familien-Generation.

Mitte der 1960er Jahre wurde der Abtrieb entdeckt
Mitte der 1960er Jahre begannen Rennwagen-Konstrukteure die Vorteile von dem zu nutzen, was heute als „Abrieb“ bezeichnet wird. Zu jener Zeit liefen die meisten Stock-Car-Rennen auf kurzen und Dirt-Track-Ovalen; der einzige echte Superspeedway war das stark überhöhte Tri-Oval in Daytona. Doch 1969 leitete NASCAR-Boss Bill France den Bau des noch schnelleren Talladega Superspeedways ein. Auf diesem wurden Geschwindigkeiten von fast 320 km/h erwartet, worauf Chrysler beschloss, der Konkurrenz einen Streich zu spielen.
Chrysler hatte mit dem Dodge Charger ein schnittiges Mittelklasse-Coupé auf der so genannten »B-Body«-Plattform im Programm. Das Problem bestand aber darin, dass die Strebenbögen der hinteren Säulen zu viel Auftrieb erzeugten, was das Auto unberechenbar machte. Also überzeugten die Renningenieure die Designer, durch einen bündig mit der Haube abschließenden Kühlergrill und einer ebenfalls bündig eingesetzten Heckscheibe den Luftstrom rund um den Charger 500 zu glätten.
Doch Ford trat als Konkurrent auf den Plan. In Zusammenarbeit mit dem renommierten Rennstall Holman & Moody entwickelte man den Ford Torino Talladega und den Mercury Cyclone Spoiler II. Beide waren nicht nur windschnittiger als der Charger 500, sondern erzeugten auch mehr Abtrieb. Die verärgerten Mopar-Ingenieure erklärten daraufhin den Krieg. Um ihn zu gewinnen, schufen sie ein Auto, das es so noch nie zuvor gegeben hatte. Oder danach.
Der Charger Daytona als Antwort auf ein Battle mit Ford
Der Charger Daytona entstand bei Nichels Engineering, Chryslers-Pendant zu Holman & Moody. Er erhielt eine 45 Zentimeter lange, keilförmige »Nase« mit kleinem Kinnspoiler und als große Neuigkeit einen 53,8 Zentimeter hoch aufragenden Heckflügel. Angetrieben von einem 7,0-Liter-Hemi-V8 erreichte das Auto gerüchtehalber auf Chryslers Fünf-Meilen-Teststrecke eine Topspeed von 391 km/h.
Das Debut des Dodge Charger Daytona im Herbst 1969
Der Daytona debütierte im Herbst 1969 in Talladega. Charlie Glotzbach – der in Cowboystiefeln Gas gab – stellte ihn mit 320,940 km/h auf die Pole-Position, und Richard Brickhouse bescherte dem Modell am Tag darauf den ersten Sieg. Sechs Monate später ließ Buddy Baker erneut in Talladega mit 322,519 km/h einen Geschwindigkeitsrekord für geschlossene Rennstrecken folgen.

Es wurde eine limitierte Version für die Straße gebaut
Schon 1969 nahm Chrysler eine limitierte Auflage von Charger R/T ohne Embleme, Streifen und Kühlergrill vom Band und ließ sie bei Creative Industries zu Straßen-Daytonas umbauen. 40 Exemplare erhielten den 426-ci- Hemi-V8 mit 425 PS und 665 Nm; die restlichen den 440-ci-V8 mit keilförmigem Zylinderkopf, den „Magnum“, wie er bei Dodge hieß. Obwohl mit serienmäßigem Vierfachvergaser „nur“ 375 PS und 653 Nm stark, waren Magnum-Daytona 35 Kilo leichter und auf der Straße wendiger als die teureren Hemi.
Wie die Helden der griechischen Antike erlangten die geflügelten Krieger großen Ruhm, allerdings auf Kosten eines kurzen Lebens. Denn schon 1971 wurden die Flügelmonster quasi kastriert, nachdem die NASCAR den Hubraum für deren Motoren auf 305 Kubikzoll oder 5 Liter beschränkte – während die flügellosen Rivalen weiter »Big Blocks» verwenden durften. Da die Rennwagen auf einen Schlag veraltet waren, stellte Chrysler den Bau weiterer Straßenversionen ein. Die lange Nase war im Stadtverkehr nicht unbedingt ein Vorteil, die enge Kofferraumöffnung erschwerte den Griff zum Ersatzreifen und die polarisierende Optik erschwerte den Verkauf ebenfalls.
Joe Machado: Restauration eines 440 Magnum
Joe Machado gab sich aber damit nicht zufrieden. Er raufte einen roten 440-Magnum für 2418 Dollar mit einer Stoff- statt Vinyl-Innenausstattung. Joe war so überzeugt von diesen Fahrzeugen, dass er 1975 die „Daytona and SuperBird Association“ mitbegründete (heute bekannt als „Winged Warriors/National B-Body Owners Association“).
Aufgrund seiner Vorliebe für Individualisierungen überzog er den schwarzen Flügel und das schwarze Vinylverdeck mit weißer Farbe und lackierte die Felgen zweifarbig. 1979 lackierte er den Daytona in Rot und Gold mit der Nummer 22 auf den Türen – als Hommage an Bobby Allisons Rennwagen von 1970. Etwa ein Jahrzehnt später lackierte er ihn dann blau. Dabei installierte er zugleich eine längere Achsantriebsübersetzung, um das Auto für Highway-Fahrten zu optimieren. 1989 verkaufte er das Auto dann für 25.000 Dollar – damals eine Menge Geld.
Sohn Jean steigt in die Fußstapfen seines Vaters
Zum Zeitpunkt des Verkaufs war sein Sohn Jean schon in die Fu߬stapfen des Vaters getreten. Neben der Restaurierung mehrerer Daytona (und anderer Mopar-Pro¬dukte) für Kunden baute Sean seine eigene Flotte von Aero-Kriegern auf. Vor etwa 25 Jahren entdeckte er bei einer »Winged Warriors«-Autoshow in Talladega einen 440er mit Stoffausstattung. Als er aus Neugier die Fahrgestellnummer überprüfte, bestätigte sich, dass es sich um das Auto seines Vaters handelte. Drei Jahre später kaufte er das Familienstück zurück. Er ist bis auf Kleinigkeiten unrestauriert und damit wie eine kleine Zeitkapsel. Und damit schließt sich auch der Kreis um die ganz persönliche Geschichte des Dodge Charger Daytona.






Das ganze Portrait über den Dodge Charger Daytona lesen Sie in OCTANE #76
10 spannende Fakten über den Dodge Charger Daytona
- Windkanal statt Bauchgefühl: Der Charger Daytona war einer der ersten US-Wagen, bei dem die Aerodynamik im Windkanal optimiert wurde – damals eine Seltenheit.
- Der markante Heckflügel ist nicht nur Show: Der fast 60 cm hohe Spoiler wurde bewusst so platziert, dass er über der Verwirbelungszone der Karosserie liegt – er sorgt ab etwa 150 km/h für echten Abtrieb.
- Nasen-Job vom Werk: Die auffällige aerodynamische „Nase“ ersetzt den Serien-Frontgrill und reduziert den Luftwiderstand erheblich – so wurde der Wagen über 320 km/h schnell.
- Er war der erste NASCAR-Rennwagen, der 200 mph knackte: Buddy Baker durchbrach 1970 mit einem Daytona als erster Mensch in einem Stock Car die magische 200-mph-Marke (über 322 km/h).
- Straßenzulassung als Pflichtprogramm: Um bei NASCAR starten zu dürfen, musste Dodge mindestens 500 straßenzugelassene Daytonas verkaufen – es wurden rund 503 Exemplare produziert.
- Zwei verfügbare Motoren: Käufer konnten zwischen dem 440 Magnum V8 mit 375 PS und dem legendären 426 HEMI mit 425 PS wählen.
- Erfolgreich, aber zu erfolgreich: NASCAR schob den aerodynamischen Sondermodellen schnell den Riegel vor – sie wurden 1971 durch ein Reglement faktisch ausgeschlossen.
- Design, das polarisiert: Der Look war so extrem, dass sich viele Kunden weigerten, den Daytona zu kaufen – manche Händler kürzten sogar den Flügel, um ihn „verkaufbar“ zu machen.
- Restaurierungen mit Originalteilen sind fast unmöglich: Viele spezifische Teile – wie der Nasenkonus oder die Spoiler-Streben – gab es nur für die Daytona-Serie, Nachbauten sind teuer und selten korrekt.
- Sammlerwert auf Höchstniveau: HEMI-Daytonas mit Matching Numbers erzielten auf Auktionen bereits über eine Million Dollar – der Markt für Wing Cars boomt weiter.
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