Klassiker

Die Nummer Eins

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Berühmt wurden die Jensen-Brüder aus den West Midlands mit ihren GT-Autos. Doch die Geschichte begann mit der White Lady von 1935, die frisch restauriert jetzt wieder ihre ganze Schönheit zeigt.

Dies ist der erste Jensen überhaupt. Nicht das erste Auto mit einer Jensen-Karosserie und auch nicht das erste mit Jensen-Logo. Aber die White Lady von 1935 ist dennoch der erste echte Jensen. Und diese Lady ist wahrhaft einzigartig. Sie bildet das Bindeglied zwischen dem Karosseriebau, mit dem alles begann, sowie der gemeinsamen Autofertigung mit verschiedenen Partnern und der Gründung von Jensen Motors in West Bromwich als eigenständiger Hersteller. Wobei die frühen Serienmodelle ironischerweise eher den Fahrzeugen ähneln, die in Kooperation mit anderen Marken gebaut wurden als diesem ersten Unikat der eigenen Marke.

Bis die White Lady entstand, hatten die in Moseley bei Birmingham geborenen Brüder Richard und Alan Jensen bereits eine illustre Laufbahn hinter sich. Nachdem die autobegeisterten Teenager 1926 einen Austin Seven – Kosename »Chummy«, also »der Kumpelhafte« – mit einer sportlichen Boat-Tail-Karosserie versehen hatten, holte die New Avon Body Co. Alan an Bord. Bei New Avon, ehemals Avon Coachworks, handelte es sich um die Karosseriebauabteilung der Marke Standard. Einige Zeit darauf wechselten die Brüder gemeinsam zu Joe Patricks berühmter Edgbaston Garage, später bekannt als Patrick Motors. Hier leiteten sie die neue Abteilung Karosseriebau, die Wolseley und ähnliche Fahrzeuge umbaute. Das Arrangement war jedoch nur von kurzer Dauer. Berichten zufolge waren die Brüder verärgert, dass ihre Arbeit nach außen hin nicht ausreichend gewürdigt wurde – Patrick hingegen fand, die Jensen-Brüder erhielten mehr Aufmerksamkeit als er selbst. Tja, so kann’s gehen.

Der erste Jensen lässt sich rasant fahren, rollt bei Bedarf aber auch ganz entspannt durch Wiltshire.

Ihre nächste Station war die Karosseriefirma WJ Smith in Carters Green, wo sie als Leiter ihrer eigenen Firma innerhalb der Firma weiterhin eine Vielzahl britischer Autos von Austin bis MG umbauten. Als der Eigentümer William Smith 1934 starb, brachten die Brüder im Alter von nur 28 und 25 Jahren die Mittel auf, um den Betrieb zu übernehmen. 1934 benannten sie WJ Smith in Jensen Motors um und kleideten unter anderem zahlreiche Jensen Wolseley Hornets ein.

Da WJ Smith vor den Jensens auch auf Lastwagen spezialisiert war, fertigten sie weiterhin Karosserien für Nutzfahrzeuge. Ihr erster Lkw, ein Kleinlaster mit 4,7 Liter großem Perkins-Diesel, kam 1939 auf den Markt, und auf Großbritanniens Straßen sah man häufig ihre JNSN-Lastwagen mit dem markanten Kühlergrill. Dennoch verlagerte sich der Schwerpunkt des Unternehmens unweigerlich in Richtung Autos.

Mit 3,8 Liter Hubraum leistet der Ford-V8 in der White Lady heute 120 PS.

Der große Durchbruch gelang 1934 mit dem »Clark-Gable-Auto«, einer Auftragsarbeit auf Basis eines Ford V8. Jensen Motors gestaltete ihn derart elegant um und weckte so viel Interesse, dass die Brüder von 1934 bis 1936 eine Kleinserie des Jensen-Ford produzierten. Über die glamouröse Bezeichnung des ersten Autos lässt sich allerdings streiten. Nach Angaben eines Ford-Händlers in Hollywood bestellte der kalifornische Industrielle Percy Morgan zwei dieser Wagen – einen für sich und einen für seinen Freund Clark Gable. Der posierte tatsächlich für Werbeaufnahmen mit einem der beiden Autos – es ist aber zweifelhaft, ob der Charmeur jemals einen davon fuhr oder auch nur so lange besaß wie eine durchschnittliche Hollywood-Eintagsfliegen-Ehe hält.

Wie auch immer, die Nachfrage war groß genug, um sogar Ford zu einer Zusammenarbeit zu bewegen. Die Brüder fertigten bis zu 20 dieser Autos und entschlossen sich daraufhin, ihren eigenen Wagen zu bauen: die White Lady. Der mysteriöse Name passt gut zu einem Auto, über das so viel und doch so wenig bekannt ist. Sicher ist, dass die White Lady zwar immer noch einen seitengesteuerten Motor besaß, aber als erstes Fahrzeug überhaupt auf einem von Jensen entworfenen Chassis basierte. Das von Rubery Owen gebaute Fahrgestell wies in der Mitte gekreuzte Träger auf, auf die als Fahrzeugboden eine Stahlplattform aufgeschweißt wurde. Vorn auf dem charakteristischen neuen V-Kühlergrill trug die weiße Lady stolz das Jensen-Logo.

Das serienmäßige 6er-Armaturenbrett ist ein Meisterwerk der späten 70er-Jahre.

Der erste Jensen wurde Mitte 1935 mit dem Kennzeichen EA 7000 zugelassen. Die wohl beste und ausführlichste Zusammenfassung seiner Geschichte liefert das ausgezeichnete Buch »Jensen: The Surviving 3 1⁄2 and 4 1⁄4 litre Cars« von David Davies. Er gibt darin zu, dass dieser Jensen die Historiker schon seit seinem ersten Erscheinen verwirrt. Die Tatsache, dass er Anfang 1936 im Londoner Lincoln-Depot auf einem Bild mit Edsel Ford und den Jensen-Brüdern erscheint, lässt darauf schließen, dass er zu diesem Zeitpunkt noch im Besitz des Werks war.

Weniger sicher ist, wem er gehörte, als er in Dale Cross Grange für die 1936er-Broschüre der 3 1⁄2-Liter-Autos von Jensen fotografiert wurde. Verwirrend ist auch die Tatsache, dass sich dieser Jensen stark von den Serienfahrzeugen unterschied, für die er werben sollte. So basierten die 3 1⁄2-Liter-Modelle – auch bekannt als Typ S – auf modifizierten Ford-Fahrgestellen und nicht auf den eigenen der Gebrüder Jensen. Außerdem besaß die White Lady vorn eine Chevrolet-Dubonnet-Einzelradaufhängung und die Hinterachse lag oberhalb statt unterhalb des Fahrgestells.

Überhaupt ist die frühe Historie äußerst dürftig belegt. Bis 1957 gibt es von der weißen Dame nur vier Fotos und eine Rechnung, als sie im Juni 1957 von Cotham Hill Motors in Bristol an den Kanadier John Huva verkauft wurde. Dank der Nachforschungen von Davies und dem verstorbenen Jensen-Historiker Richard Calver können wir mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass der erste Besitzer der Amateurrennfahrer Ron Horton in Barnt Green war. Ihm gehörte Dale Cross Grange, wo die Werbe- fotos der 3 1⁄2-Liter-Modelle entstanden, er kannte die Jensen-Brüder offenbar gut, und sie hatten zuvor mindestens zwei seiner MG-Rennwagen karossiert.

Text James Elliott // Fotos Paul Harmer // Bearbeitung Johannes Schnettler

Lesen Sie in OCTANE #66, wie oft die White Lady noch verkauft wurde, bis sie restauriert werden konnte.

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