Text Roland Löwisch // Fotos Petra Sagnak
DER BENJAFIELD’S RACING CLUB IST DIE WOHL ENGLISCHSTE UND EXKLUSIVSTE OLDTIMER-VEREINIGUNG DER WELT: DIE 88 MITGLIEDER NEHMEN KAUM ETWAS ERNST – AUSSER IHREM ZUSAMMENHALT UND IHREN VORKRIEGS-BENTLEY. OCTANE HAT SICH MIT IHNEN AUF DEN WEG ZU DEN CLASSIC DAYS GEMACHT
Die modernen Bentley Boys fahren tausende Kilometer in großen Oldies, feiern im kleinen Gesellschaftsanzug und scheren sich nur um ihre eigenen Konventionen. Die alten Jungs haben nicht wirklich Angst vorm Knast. Auch wenn sie immer wieder mit einem Bein dort stehen. Sei es, weil Nigel Ormond-Smith in seinem Bentley Blower, Baujahr 1928, mit 190 km/h über rumänische Autobahnen knattert.
Oder sei es, weil der alte Wikinger Kjeld Jessen mal wieder seine Kartoffelkanone aktiviert hat. Das mit Achselspray betriebene Ofenrohr füttert er normalerweise mit Bonbons und schießt die Ladung über die Köpfe neugieriger Kinder. In Russland stopfte er zwei mit ollen Kamellen bestückte Lappen hinein und feuerte die Ladung im Überschwang in die marode Decke eines ehemaligen Sowjet-Hotels.
NUR 88 MITGLIEDER SIND ERLAUBT – NACHGERÜCKT WIRD ERST, WENN EIN MITGLIED W. O. BENTLEY PERSÖNLICH IM HIMMEL BESUCHT
Knastnähe steht zwar nicht in den Statuten des höchst englischen Clubs von Vorkriegs-Bentley-Besitzern (Motto: »Helping to preserve the spirit of camaraderie and sportsmanship which inspired Dr. J. Dudley Benjafield and the Great Racing Team for whom he drove«), aber sie ist immer gut für Geschichten. Damit die Enkel was zu lachen haben. Der BRC (mit dem Prinzen als Ehrenmitglied) dürfte einer der exklusivsten und individuellsten Oldtimer-Clubs der Welt sein: Die Mitgliederzahl ist auf 88 beschränkt – Nachrücker müssen warten, bis ein Mitglied W. O. Bentley höchstselbst im Himmel besucht (der Firmengründer befindet sich bereits seit 1971 dort oben).
Anwärter brauchen mindestens einen Fürsprecher, sollten grundsätzlich an die Existenz britischer Musketiere glauben und bereit sein, das auch zu leben. Ihm muss unter anderem klar sein, dass feuchtfröhliche Abende wichtiger sind als Schlaf. Kurz: Snobs sind hier falsch. Und all das passiert im Geiste von Club-Namensgeber Dr. Dudley Benjafield. Der Bakteriologe und Le-Mans-Gewinner von 1927 gilt beim BRC als echter Gentleman.
Der 1928 gegründete British Racing Drivers’ Club ist bis heute die Dachorganisation aller britischen Rennfahrer. Die modernen Bentley Boys hoben den Benjafield’s Racing Club in einem dunklen Wintermonat 1990 aus der Taufe. Kein Wunder, dass die meisten von ihnen schon damals einen oder mehrere sogenannter »Cricklewood-Bentley« besaßen – Modelle, die zwischen 1919 und 1931 im gleichnamigen Ort gefertigt wurden.
DER BENJAFIELD’S RACING CLUB VERLEIHT SOGAR EINE TROPHÄE FÜR DEN »HAARIGSTEN MOMENT DES JAHRES«, ALSO FÜR ÜBERSTANDENE UNFÄLLE – ODER DEN MUT ZUR HEIRAT
Der eingangs erwähnte Ormond-Smith hat vier: Man greift doch gerne je nach Gelände, Dauer und Straßenverhältnissen zum jeweils passenden Fahrzeug. Der Club tobt nicht nur mindestens zwei Mal pro Jahr zu großen Reisen durch die Lande, sondern trifft sich auch zu kleinen Rennen. Denn die alten Bentley sind allesamt riesig – Spötter Ettore Bugatti bezeichnete sie einst sogar als »die schnellsten Lastwagen der Welt«. Ihre Handhabung braucht Wissen, Können und Kraft – besonders Letzteres animiert die Mitglieder auf Reisen stets, »die jeweils besten Bars zu finden«, wie Peter Godehardt weiß – einer der wenigen Deutschen im Club.
Er ist Eigner eines 240 PS starken 8-Liter-Bentley (2,3 Tonnen schwer, 250 PS stark), mit dem er seit der Jahrtausendwende 168.000 Kilometer zurückgelegt hat. Alle zwei Jahre organisiert Godehardt einen Ausflug, der zwischen einer und mehreren Wochen dauern kann. Verschifft werden die Autos nur, wenn das Ziel nicht in Europa liegt – wie bei der 6000-Kilometer-Charity-Reise von Delhi nach Mumbai. Destinationen sind Istanbul, Kroatien, Deutschlands Osten und seit sechs Jahren auch regelmäßig das Schloss Dyck bei Jüchen, wo sich die Oil de la Oil der deutschen Oldtimer-Szene trifft.
UND NACH DEM SPRINT WIRD DANN SCHON MAL EIN ORDENTLICHER SCHLUCK AUS DEM KÜHLWASSER-ERSATZKANISTER GENOMMEN – WAS FÜR EINEN BENTLEY GUT IST, KANN FÜR EINEN BENTLEY BOY NICHT SCHLECHT SEIN.
Während andere bei Androhung von Aktivierung diverser Radarfallen einzeln und brav um den 1,6 Kilometer langen Präsentationskurs fahren, startet die Horde von Clubmitgliedern (diesmal mit 22 Autos) furchtlos im Pulk und brettert über den Circuit, dass sich das Publikum nicht mehr einkriegt und man die Vibrationen noch in Düsseldorf spürt. Verpönt sind im Club selbstverständlich »Trailer-Queens« – also Autos, in deren Schläuche kaum mehr Benzin fließt und die auf Hochglanz gebracht per Anhänger zu Ausstellungen gefahren werden.
Als wären es Alltagsautos, entern Pilot und Copilot einen Cricklewood grundsätzlich mit einem Tritt auf das meist noch originale Sesselleder. Die Cockpits sind nicht restauriert, manchmal nach Lust und Laune bestückt. Als Kühlerfigur ist alles erlaubt, was dem Besitzer gefällt. Klar, dass die Autos Torturen über oft löchrige Straßen nicht unbeschadet überstehen: Federn brechen, Overdrives streiken, Benzinpumpen verstopfen, Reifen geben auf, Blech wird kalt verformt. »Das ist shit, aber sie sind letztendlich doch nur Autos«, sagt Eddie McGuire, Chef eines Architekturbüros, der – wie alle aus dem Commonwealth – Autos für weiblich hält.
Er gehört zu den verrücktesten lebenden Bentley-Brüdern. Eddie wollte niemals einen Vintage-Bentley besitzen noch irgendwo Mitglied sein – und so landete er im Benjafield’s Racing Club. Kaufte sich einen Speed Six, Baujahr 29. Die Überholmanöver des Iren sind so spektakulär wie legendär. Und nach dem Sprint wird dann schon mal ein ordentlicher Schluck aus dem Kühlwasser-Ersatzkanister genommen – was für einen Bentley gut ist, kann für einen Bentley Boy nicht schlecht sein.
SPÖTTER ETTORE BUGATTI BEZEICHNETE DIE ALTEN BENTLEY ALS »DIE SCHNELLSTEN LASTWAGEN DER WELT«
Einmal im Jahr, stets im November, ist Mann der Gastgeber des »Annual Dinner« des BRC auf seiner »Fruit Farm« in der Nähe von London – auch wenn die einzige Frucht des Abends im Chateau Croizet Bages Paullac steckt. Um am Dinner zwischen automobilen Raritäten (wie dem einsitzigen Rennwagen »Mother Gun«) teilzunehmen, ist zu beachten: nur auf Einladung, Gäste nur mit Empfehlung, Smoking und Fliege, keine Frauen (Ausnahmen werden gemacht, wenn schlanke und junge Models die neue Clubkluft präsentieren). Der Abend wird stets mit dem gleichen Trinkspruch eingeläutet: »Thanks, God, for turning water into wine – and thanks for turning it back again.«
DANN WIRD ÜBER DAS JAHR PARLIERT, GEGESSEN, GETRUNKEN, GETRUNKEN UND DANN NOCH EIN BISSCHEN GETRUNKEN, UM SICH SCHLIESSLICH DIE WILDESTEN POKALE FÜR DIE SCHRÄGSTEN EINFÄLLE DES JAHRES ZU VERLEIHEN
Da kommen schon mal 80 Boys zusammen – nur wer wirklich krank ist, muss passen. Dann wird über das Jahr parliert, gegessen, getrunken, getrunken und dann noch ein bisschen getrunken, um sich schließlich die wildesten Pokale für die schrägsten Einfälle des Jahres zu verleihen. Zum Beispiel einen ausgefransten Hasenkopf, der 1925 auf ein Propellerendstück genagelt wurde. Die Trophäe heißt »Haarigster Moment des Jahres« und honoriert glimpflich überstandene Unfälle oder den Mut zur Heirat. Manche der gutgelaunten Lebemänner verlassen das Dinner übrigens erst nachts um drei Uhr – auch bei Schnee und Eis – in ihren selbstverständlich offenen Klassikern. Nachdem sie den Schnee vom Fahrersitz gelacht haben. Natürlich im Smoking.