Text Richard Heseltine // Fotos Mark Dixon
OB MAN ES FÜR MÖGLICH HÄLT ODER NICHT: DAS HIER IST WIRKLICH EIN BMW – ALLERDINGS EIN VON BERTONE GEBAUTER BMW. OBWOHL DER BMW SPICUP ZIEMLICH BIZARR AUSSIEHT, BEREITET ER BEIM FAHREN VIEL FREUDE.
Der Spicup ist einer von wenigen Überlebenden der wohl letzten großen Ära des kreativen Konzeptautobaus. Vorgestellt wurde er 1969 auf dem Genfer Autosalon. Der Name beinhaltet die Komponenten „Spider“ und „Coupé“ – beides steckt in dem ungewöhnlichen Gefährt, das mittels Zurückklappen des Metall(!)daches in ein Cabrio verwandelt werden kann. Mitte der 1980er Jahre wurde er eingemottet. Erst 2008 errettete ihn ein bekannter belgischer Sammler von Sonderkarosserien aus seinem Versteck. Der Wagen war komplett, allerdings waren der Fußboden und beide Schweller durchgerostet, weswegen er aufwändig restauriert werden musste. 2011 ersteigerte ihn ein Amerikaner in München.
Morgendliche Rushhour im Osten von Holland. Stop und Go ist angesagt. Vor allem Stop. Neben uns ertönt von einem Fiat Punto atonale Tanzmusik in der Lautstärke eines Artilleriegefechts. Kein guter Moment, unsicher zu werden. Bass erstaunt, starrt uns der Fahrer an – oder ist das blankes Entsetzen? Seine Beifahrerin bemüht sich um ein Lächeln, bevor sie mit ihrem Handy ein Foto von uns macht. Warum nicht, die anderen haben es ja auch alle getan. Als die Ampel auf Grün schaltet, knattert der betagte Kleinwagen los und überlasst uns den neugierigen Blicken der anderen Pendler, die unseren Weg säumen. Wir sind keine Zirkusattraktion, man kann die Reaktionen jedoch leicht nachvollziehen. Zwar ist vorne am Auto das BMWLogo zu erkennen, doch unser Auto gehört ganz klar in eine andere Zeit, ja fast auf einen anderen Planeten.
WIE VON EINEM ANDEREN STERN
In Der Spicup bereitet beim Fahren viel Freude. Was überrascht, sind seine feinen Manieren. Und dazu dann noch dieser „Spicup“-Schriftzug in riesigen Lettern zwischen den Bremslichtern. Es ist eine kryptische Typenbezeichnung für eine in jeder Hinsicht schräge Studie, die sowohl Spider als auch Coupé ist. Beide Bezeichnungen ließen die Designer von Stile Bertone, wo das Auto entstand, zu „Spicup“ verschmelzen. Der Spicup ist einer von wenigen Überlebenden der wohl letzten großen Ära des kreativen Konzeptautobaus. Er wurde 1969 auf dem Genfer Autosalon vorgestellt und ist bestimmt nicht der bekannteste Entwurf aus dem Turiner Designstudio – was allerdings damit zusammenhängen könnte, dass er für Jahrzehnte hinter verschlossenen Türen verschwunden ist.
Die 100.000 Kilometer, die er innerhalb von zehn Jahren abfuhr, konnten dem Spicup technisch nichts anhaben, auch wenn das Dach nicht ganz wasserdicht war. Mitte der 1980er Jahre wurde er eingemottet, und erst 2008 errettete ihn ein bekannter belgischer Sammler von Sonderkarosserien aus seinem Versteck. Aldo Goi von Carrozzeria Granturismo in Mailand kannte sich mit Unikaten bereits aus und begann im September 2008 mit der Restaurierung des Spicup.
Peter Kunz von Red Willow Racing in den Niederlanden begleitete die technische „Überholung und den Zusammenbau“. Der Wagen war – mit Ausnahme der maßgefertigten Windschutzscheibe – komplett, allerdings waren der Fußboden und beide Schweller durchgerostet. Umso erstaunlicher, dass er schon sieben Monate später komplett restauriert war und 2009 auf dem Concorso d’Eleganza Villa d’Este frisch erstrahlt präsentiert wurde.
DER SPICUP HAT EINE ZUERST UNGEWÖHNLICHE SILHOUETTE: HÄSSLICH UND ZUGLEICH SCHÖN, AUF DEN ERSTEN BLICK EBENSO VERWIRREND WIE ATEMBERAUBEND.
Seinerzeit urteilte style auto (Untertitel der Quartalsschrift: Architettura della Carrozzeria), mit dem Spicup seien „die technischen Probleme im Zusammenhang mit einem großen Traum vieler Automobilkonstrukteure gelöst worden, nämlich einen Wagen zu kreieren, der von einem geschlossenen in einen offenen verwandelt werden kann, wobei das Dach aus Metall und nicht wie bei einem normalen Cabrio aus Stoff ist. Daher ist dieser Prototyp ein echter Urtyp, auch wenn einen das unorthodoxe Styling auf den ersten Blick etwas perplex macht.“
Nachdem der Wagen im Juni 1969 beim Concorso d’Eleganza in Alassio und zwei Monate später auf der IAA in Frankfurt zu sehen war, wurde er noch im selben Jahr verkauft. Was danach geschah, darüber kann nur spekuliert werden. Mehreren Quellen zufolge ging der Spicup durch die Hände verschiedener deutscher Händler, darunter auch Auto Becker in Düsseldorf. Sicher ist, dass ihn Mitte der 1970er Jahre ein holländischer Händler erwarb und dass die leuchtend grüne Lackierung irgendwann einem hässlichen Orange weichen musste und das schöne Interieur schwarz angestrichen wurde.
DER SPICUP WIRD ALS EIN STÜCK FUTURISTISCHER AUTOMOBILGESCHICHTE IN ERINNERUNG BLEIBEN, ALS BINDEGLIED ZWISCHEN BRAVEN MAINSTREAM-PROJEKTEN
Zurück zur Straße. Auf offener Strecke und frei von den neugierigen Blicken der morgendlichen Pendler fühlt sich der Spicup schon viel weniger fremdländisch an. Der Wagen ist alles andere als langsam. Auch bei niedrigen Drehzahlen spricht der Motor gut an – Drehmoment ist ausreichend vorhanden – doch das kreischende Auspuffgeräusch lässt ihn wohl schneller erscheinen, als er eigentlich ist. Das Vierganggetriebe verhält sich gutmütig, solange man es ohne Hektik behandelt, und auch wenn Zwischengas beim Herunterschalten nicht notwendig ist, fällt es schwer, sich diesen Spaß zu versagen.
Was überrascht, sind die feinen Manieren des Spicup. Es gibt kein Schlagen und kein Krachen in der Struktur. Er ist so stabil und fest wie jeder andere BMW. Die Schräglenker an der Hinterachse fangen jede Bodenunebenheit perfekt auf und vermitteln ein weiches Fahrgefühl. Die Servolenkung lässt den Fahrer relaxen, und so fühlt er sich dann auch, wenn er bei 100 km/h und offenem Dach dahingleitet.
So extravagant die Ausstattung auch erscheint, der Spicup ist ein grandioser Tourer, der über den Schock-Effekt hinaus eine große Vielseitigkeit an den Tag legt. Man versteht, warum sein letzter Besitzer über 100.000 Kilometer damit gefahren ist. Obwohl BMW wahrscheinlich nie ernsthaft an der Fertigung einer limitierten Replika-Produktion interessiert war, hat der Spicup doch die Verbundenheit mit Bertone verstärkt. Es folgten weitere Prototypen und die erste Generation der 5er- Serie, die – wie oft vergessen wird – Gandini entworfen hat.
Der Spicup wird als ein Stück futuristischer Automobilgeschichte in Erinnerung bleiben, als Bindeglied zwischen braven Mainstream-Projekten, als ein Auto, das den Verstand überwältigt und bei manchem das Auge beleidigt. Das nächste Mal, wenn jemand sagt, Studien seien immer keilförmig und in schillernden Farben lackiert, muss man erwidern: Schon den Spicup gesehen? Tatsächlich wird er einem in unseren Breiten nicht begegnen: Er wurde in München im Oktober 2011 auf der Power by BMW-Auktion von Bonhams für 460.000 Euro versteigert und gehört jetzt einem Amerikaner.