Klassiker

Der Targa aus der Scheune

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Ein Scheunenfund ist immer eine spannende Sache. Wenn dabei ein seltenes Modell zum Vorschein kommt, erst recht. Und wenn es sich dann noch um einen Porsche 911 handelt, kennen erst die Freude und danach der Fahrspaß keine Grenzen mehr.

Der Mann ist konzentriert, der Boxermotor im Heck hechelt aufgeregt. Die Hände fest am Lenkrad, der Blick hinter der Sonnenbrille geschärft, der Fuß bleibt auf dem Gaspedal – die Kurve kommt, wird perfekt am Scheitelpunkt getroffen, der Porsche schießt auf der Geraden davon. Georg Nikisch genießt jede Sekunde am Steuer seines 911ers. Eines Porsche mit Geschichte. Eines ungewöhnlichen Porsche. Mit einer ungewöhnlichen Geschichte, die in einer Scheune begann.

Die beginnt im Jahr 2010 mit der Wiedergeburt dieses Neunelfers. Denn der sah das Licht der Welt erstmals nach den Werksferien 1973 in Zuffenhausen, im Modelljahr 1974. Eines der ersten G-Modelle mit den Ziehharmonika-Stoßstangen wegen des Aufprallschutzes, man kennt die Geschichte. Das G-Modell wurde legendär und ein Gattungsbegriff, auch wenn die Nomenklatur offiziell weiterging. Es begeisterte fast zwei Jahrzehnte den Markt, obwohl es nach Meinung vieler Liebhaber den Purismus des Ur-Elfers verloren hatte. Vor allem hinten, wo der Porsche-Schriftzug in Lettern auf dem Blech stand und das Kennzeichen zwischen zwei Stoßstangenhörnern quasi unterm Heckdeckel steckte.

Ein G-Modell mit RS-Bürzel und dem entsprechenden Motor dazu? Das hat es wirklich mal gegeben.

Aber das ist ein Stück weit Geschmackssache. Und kommt hier gar nicht zum Tragen, weil das Heck dieses Porsche auffällig anders ist – er trägt nämlich einen Heckbürzel, wie man ihn vom berühmten Carrera RS 2.7 kennt, der gerade 50 Jahre alt wurde. Wie kommt der Targa zu diesem Heck? Fake, Tuning, Serie? Man mag es kaum glauben, aber es ist – original. Der Bürzel war als Option mit dem Code M 473 bestellbar, und das auch nur im ersten Modelljahr. Das war auch Geschmackssache, aber in diesem Fall hat der unbekannte Erstbesitzer das richtige Gespür bewiesen, denn der Heckbürzel passt zum Motor: ein echter RS 2,7-Liter-Carrera mit 210 PS.

Erstmals zugelassen am 21. September 1973 in Hannover, dann über Stuttgart und Mosbach in den Vogelsbergkreis gekommen. Seinerzeit bestellt mit Entenbürzel, schwarzem Lack, Carrera-Schriftzug auf der Seite und – last not least – Fuchsfelgen. Und genauso sieht der Porsche von Georg Nikisch heute noch aus. Man muss korrekterweise sagen: sieht wieder so aus. Denn in diesem Zustand hatte er nicht die letzten 50 Jahre in der Scheune überlebt. Vielleicht mal abgesehen von dem exklusiven goldenen Targa-Schriftzug auf den gebürsteten Edelstahlbügeln.

Das ist er, der originale 2,7-Liter, wie er auch im Ur-Neunelfer als RS verbaut war. Restbestände wurden nach 1973 noch im G-Modell verbaut.

Volle 20 Jahr lang war dieser Porsche verstaubt, aber nicht vergessen. Eingesammelt von einem Freund der Familie, der damals reihenweise 356er und 911er in einer Scheune hortete, weil die mal wertvoll werden könnten. War ja nicht falsch gedacht. Auch Restaurierungen waren geplant, kamen aber nie zustande, wir kennen solche Vorsätze, mit denen der Weg zur Hölle gepflastert ist. Wie es so geht, der Freund verstarb und seine Gattin saß mit den Autos da. Inklusive des 911, den sie sogar selbst mal kurze Zeit gefahren hatte, bevor er am 20. November 1990 abgemeldet worden war. Oder werden musste.

An dieser Stelle kommt im Jahr 2009 Privatdozent Dr. med habil. Dr. Psych. Georg Nikisch ins Spiel. Ein Arzt wie aus dem Bilderbuch, Dozent in Stanford, ein Mann der Wissenschaft. Der noch nie einen Oldtimer besessen hatte. Und sich nur für ein Modell wirklich begeisterte – einen alten 911. Man ist mit der Witwe im Gespräch, das Stichwort Porsche fällt ein paarmal, auf ein paar Schnappschüssen ist ein staubiger, schwarzer Elfer zu erkennen. Beim Ortstermin ist Nikisch dann überwältigt: »Autos, Autos, Autos und Motorräder. Und mittendrin ein echter Carrera 2.7 MFI, also mit mechanischer Einspritzung.« Noch heute bewegt ihn die Erinnerung beim Anblick seines Traumautos. Er zögert nicht, das ist sein Auto.

Das Lenkrad ist nicht original ab Werk, sondern von Momo – zeitgenössisch nachgerüstet.

Das war zwar dreckig wie nur was, doch blech-technisch in gutem Zustand. Was immerhin für die Trockenheit der Scheune spricht, waren die damaligen Neunelfer doch noch nicht vollver- zinkt wie ab der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre. Der »Dornröschenschlaf« endet 2010 nach 20 Jahren und führt nach längeren Recherchen über eine geeignete Werkstatt zur Firma Mittelmotor in Bochum. Dort wird das Schmuckstück von 2013 bis 2016 komplett restauriert – Motor, Karosserie, Interieur – unter Beibehaltung möglichst vieler Teile: eine moderne Restaurierung, bei der die Patina nicht auf dem Altar eines künstlichen Concours-Zustands geopfert wurde.

Was freilich bedeutet, dass nicht alles original wie ab Werk ausfällt. Sondern dem Fundzustand entspricht. »Es sollte nicht original-original wie ab Werk werden, sondern das Auto so zeigen, wie es auch zuletzt auf der Straße gefahren wurde. Ein Auto lebt.« Und ein kleines Kapitel hat auch Nikisch daran mitgeschrieben.

Den Fahrspaß lebt er jetzt in und um Fulda aus, »geschont wird der Porsche nicht«, verrät Nikisch. Runde 50.000 Kilometer ist er seit dem Fund in der Scheune und der anschliessenden Motorrevision schon gefahren und kein Kilometer reut ihn. Reuen würde es ihn dagegen, das klappbare Targadach zusammenzufalten, um es vorn im Kofferraum zu verstauen. Es ist komplett original – alt. Vermutlich würde der Versuch böse Risse verursachen. Da spart sich der Liebhaber die komfortablere Lösung und lässt das Dach lieber gleich zuhause oder verstaut es hinter den Sitzen. So sieht Leidenschaft für Patina aus.

Text Ulrich Safferling // Fotos Kai-Uwe Knoth

Lesen Sie in OCTANE #66, warum nicht alles an dem Scheunenfund original ab Werk ist. Weshalb das aber trotzdem zur Historie gehört.

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