Ein Kalifornier begnügte sich nicht damit, einen 320 km/h schnellen SM für einen neuen Geschwindigkeitsrekord zu bauen. Er konstruierte zugleich einen dazu passenden Zugwagen. Dies ist seine bemerkenswerte Geschichte.
Bei der Frage nach einem geeigneten Rekordfahrzeug auf dem Salzsee von Bonneville wäre der SM von Citroën nicht unbedingt die erste Wahl. Es sei denn, man ist zufällig der führende “Citroënist” von Los Angeles. Sein Name: Jerry Hathaway. Nach einer beschaulichen Kindheit auf einer Familienfarm in West Virginia war der 1946 geborene Hathaway mit gerade mal 17 Jahren und wenig Geld nach Kalifornien gezogen, wo er zunächst einen Job in einer Bremsenreparaturwerkstatt antrat. Danach wechselte er zu Irv White Buick, um fast zehn Jahre lang Achsvermessungen und andere langweilige Arbeiten an Buick-Modellen durchzuführen.
Bis das 1957 gegründete Autohaus – wenn auch nur für drei Jahre – einen neuen Wagen aus Frankreich importierte: den Citroën SM. Ab diesem Zeitpunkt änderten sich die Dinge für Hathaway. Jeder andere Techniker war von der Komplexität des SM eingeschüchtert, doch er war von allen Aspekten des Autos geradezu besessen und sagte oft: “Er war wie von einem anderen Planeten.” Hathaway beschloss, SM-Spezialist zu werden.
Für amerikanische Augen der frühen 1970er-Jahre hätte der Citroën SM genauso gut ein UFO sein können. Aber Hathaway hatte zu diesem Zeitpunkt schon viele Bücher über Automobiltechnik verschlungen. Kurz gesagt: Er kannte sich aus. Einige Monate vor seinem plötzlichen und traurigen Tod am 4. September 2021 führte ich ein Interview mit ihm, in dem er bestätigte: “Das erste Buch, das ich mir kaufte, war ‚Basic Cams, Valves and Exhaust Systems‘ aus dem Petersen-Verlag. Ich habe es so oft gelesen, dass ich es irgendwann auswendig kannte.”
Voller Selbstbewusstsein bat Hathaway die Geschäftsleitung des Buick-Händlers, ihn ausschließlich an den SM arbeiten zu lassen, doch die lehnte ab. Daraufhin erwog er, eine eigene Werkstatt zu eröffnen, aber der Zeitpunkt war ungünstig: “Schon seit Anfang 1972 hatte die Citroën-Zentrale für die Westküste SM-Besitzer zu mir geschickt, weil sie sich über den Service bei dem Händler beschwerten, zu dem sie gegangen waren.
Aber ab Ende 1973 kamen keine neuen SM mehr ins Land. Bob Murphy von der Citroën-Niederlassung in Marina del Rey schlug mir daraufhin vor, mit Larry Reed Sports Cars in Beverly Hills zu sprechen, was ich auch tat. Im Juli 1974 wechselte ich in die Werkstatt von Reed, um Vollzeit an SM zu arbeiten. Die meisten Besitzer, deren Autos ich zuvor betreut hatte, folgten mir dorthin.”
Unser Mann war glücklich, aber sein Ehrgeiz war noch nicht zufriedengestellt. Abhilfe nahte: 1976 übernahm Reed eine Lancia-Vertretung, wobei die Italiener ihn drängten, einen seiner anderen Franchise-Verträge zu kündigen, da ihrer Meinung nach sein Betrieb zu klein sei, um Fiat, Citroën UND Lancia zu betreuen. Da die Franzosen ihre Produkte nicht mehr in den USA verkauften, fiel Reed die Entscheidung leicht.
Doch das Glück war Hathaway hold, und zwar gleich zweimal: Zunächst bot ihm Citroën an, Reeds Franchise zu kaufen und aus Beverly Hills weg zu verlegen. Dann kam der große Durchbruch: eine kostenlose Lizenz für die Marke mit dem Doppelwinkel im Logo: “Mr. Reed und ich verstanden uns gut und er sagte: ‚Kaufen Sie meine Teile und Werkzeuge, und alles gehört Ihnen.‘ Was für ein Geschäft für mich!”
Hathaway eröffnete daraufhin SM World, zunächst in Van Nuys mit einem Mechaniker, dann mit einem zweiten Betrieb für Lackierung und Karosseriearbeiten. Er operierte auf dem besten Markt der Welt, mit Hunderten von SM in einem Klima, das es ermöglichte, sie das ganze Jahr über zu nutzen.
Nachdem er sich einen guten Ruf erworben hatte, erwies sich sein Traum, klein zu bleiben, als hoffnungslos. “Das Geschäft explodierte; wir waren sehr, sehr stark ausgelastet. Mitte 1979 hatten wir bereits elf Mitarbeiter. Aber ich wollte nicht nur Geschäftsinhaber sein, sondern selbst an den Autos arbeiten. Allein in Los Angeles legten die Leute knapp 5000 Kilometer im Monat mit ihren SM zurück, also sahen wir sie oft. Wir wechselten alle 80.000 Kilometer die Steuerkette; in den späten 1970er-Jahren hatten viele Autos schon Laufleistungen von mehr als 160.000 Kilometern erreicht.”
Als er sich um sein Auskommen keinen Sorgen mehr machen musste, sehnte sich Hathaway danach, etwas Besonderes zu schaffen. “Einer meiner Kunden, Jon McKibben, war ein ehemaliger Chrysler-Ingenieur und Bonneville-Salt-Flat-Racer. Er überredete mich, einen SM für Rekordfahrten auf dem Salzsee zu bauen.”
Erster Posten auf dem Lastenheft war die Aerodynamik. Um Auftrieb bei hohen Geschwindigkeiten vorzubeugen, wurde die Frontpartie so flach und das Heck so weit nach oben wie möglich verlegt. Dazu trennte Hathaway mit zwei Einstellhebeln die vorderen und hinteren Höhenkorrektoren der hydropneumatischen Federung. Dies half zudem, den Luftwiderstand zu verringern.
Text: Marc Sonnery // Fotos: Dennis Noten // Bearbeitung: Thomas Imhof
In OCTANE #61 lesen Sie, wie der SM mehrere Geschwindigkeitsrekorde aufstellte.
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