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Der Maserati Khamsin: Ein GT für Gentlemen

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Wenn der Wind der Wüste zum Sinnbild automobiler Leidenschaft wird, dann trägt er bei Maserati einen Namen: Khamsin. Dieses faszinierende GT-Coupé mit seiner keilförmigen Silhouette, entworfen von Marcello Gandini für Bertone, verbindet italienisches Temperament mit technischer Raffinesse – und das so kompromisslos wie elegant.

Anfang der 1970er-Jahre standen bei Maserati nach der Übernahme durch Citroën die Zeichen auf Veränderung. Der in die Jahre gekommene Ghibli war schön, aber technisch veraltet. Während die Mittelmotor-Modelle Bora und Merak für moderneres Denken in der Viale Ciro Menotti standen. Das Modeneser Unternehmen brauchte nun einen neuen GT mit Frontmotor für Gentlemen. Eines der berühmtesten italienischen Designstudios für Automobile bekam den Auftrag: Bertone und sein Designchef Marcello Gandini. Bertone arbeitete mit nahezu allen namhaften Herstellern zusammen und war vor allem für seinen radikalen Stil bekannt

Frontansicht des Maserati Khamsin Coupé

Chassis AM120-004: Ein sportlicher GT mit Frontmotor im keilförmigen Design

Das Ergebnis dieses Auftrags war umwerfend: Chassis AM120-004. Asymmetrische Lamellen auf der Motorhaube deuteten auf ein mächtiges Triebwerk hin. Die horizontalen und vertikalen Flächen erhielten tadellos verjüngte Übergänge und flossen in meisterlicher Subtilität nahtlos von vorn bis hinten. Am Heck setzte Gandini die scheinbar frei schwebenden Rückleuchten. Benannt wurde der Maserati Khamsin nach einem heißen, trockenen Wüstenwind.

Er war zugleich der einzige Maserati, der ausschließlich als 4,9-Liter-Version mit dem hauseigenen Viernockenwellen-V8 aus dem Ghibli SS gebaut wurde. Mit vier Weber-Doppelvergasern vom Typ 42 DCNF 4, um das Fortissimo seines Gesangs zu bewahren, und geschmiert mit zwölf Litern Öl aus einer Trockensumpfanlage. Mit 320 PS bei 5500 U/min erreichte der Khamsin in einem Test von „auto motor und sport“ 272 km/h und sprintete in 6,6 Sekunden von 0 auf 100 km/h – bis heute beeindruckende Werte.

Eine Gewichtsverteilung von nahezu 50:50 förderte ein ausgewogenes Handling. Dazu kamen Citroën-Komponenten: Hydraulische Bremsen, eine von der grünen Hydraulikflüssigkeit LHM (Liquide Hydraulique Minerale) unterstützte Kupplung und die sehr leichtgängige und mit zunehmender Geschwindigkeit schwergängiger werdende DIRAVI-Servolenkung aus dem SM.

Prototyp vs. Serienauto: Es gab entscheidende Unterschiede

Der Maserati Khamsin forderte sein Publikumsdebut 1972 auf dem Turniner Salon. In „Autosport“ kürte John Bolster den Khamsin, der sich auf dem Bertone-Stand präsentierte, zum „Car of the Show“. Als „Höhepunkt italienischer Kunst auf Rädern“ lobte die „Auto Motor und Sport“ den Wagen.

Mit dem Chassis AM120-004 hatte Gandini die Form des Khamsin schon weitgehend festgelegt. Kleine Details unterscheiden ihn dann aber doch vom Serienauto. Er hat eine Motorhaube aus Aluminium (statt aus Stahl), eine Strebe mehr in den beidseitigen Lamellen der Motorhaube, sechseckige Frontblinker von einem Alfa Montreal (statt rechteckiger von einer Alfetta) und andere Rückleuchten, letztere in Glas statt in Plexiglas wie bei den Serienautos eingesetzt. Der Frontgrill hat sieben Lamellen statt drei, der Wagen hat eine verchromte Frontstoßstange statt einer aus Kunstharz und die hinteren Radkästen sind glatt und – im Gegensatz zu den vorderen – ohne angedeutete Radläufe.

Auch im Inneren unterscheidet sich das Serienauto vom ersten Prototypen. Mit einem Lenkrad mit Holzkranz, einer so nur einmal gestalteten Mittelkonsole, ebenfalls speziell angefertigten Sitzen und Türverkleidungen sowie einer U-förmigen Rückbank. Der Khamsin war als 2+2-Sitzer angekündigt, doch sind die hinteren Plätze nicht mehr als Notsitze. Kurz gesagt: Auch wenn 004 von weitem gleich aussehen mag, hat er aus der Nähe praktisch nichts mit dem Serienauto gemein.

Politische und wirtschaftliche Unruhen erschwerten den Verkaufsstart

Bei der Pariser Premiere 1973 sah die Zukunft für den Khamsin noch glänzend aus. Ein GT mit edler Abstammung, der in Sachen Leistung konkurrenzfähig war und ein Handling aufwies, das den meisten seiner Konkurrenten in nichts nachstand. Nur zwei Tage nach dem Verkaufsstart begann der Jom-Kippur-Krieg, der die Energiekrise 1973 auslöste – und damit auch krasse Preissprünge an der Tankstelle, Ölembargos und -knappheit, endlose Warteschlangen an der Zapfsäule. All dies führte zu einem Einbruch der Verkäufe von Sport- und GT-Autos, die fast über Nacht als politisch unkorrekt galten.
Hinzu kam, dass neue Sicherheitsvorschriften die US-Version entstellten: Stoßstangen im Stil von Müllwagen und weiter nach unten ins Blech eingesetzten Rückleuchten. Nur 155 Modelle wurden in den USA verkauft.

Bilder vom Umbau des Maserati Khamsin

So ging die Geschichte des glanzvollen Prototypen 004 weiter

AM120-004 am 26. März 1974 an den Sizilianer Rosario Bombaci verkauft. Neun Monate später war er nach einem kleinen Frontend-Vorfall im Werk und erhielt eine Standard-Frontstoßstange (es gab keine andere mehr aus Chrom), eine Frontpartie mit größeren Öffnungen, einen Rundum-Service und eine Neulackierung in Schwarz.

Die Innenausstattung ist derweil bis heute perfekt erhalten. Er wechselte noch mehrmals den Besitzer und verstaubte für mehrere Jahre in einem dunklen Lagerhaus, bis der niederländische Enthusiast und Khamsin-Fan Wil van Lierop zufällig von dem Standort es Wagens erfuhr. Im Jahr 2007 kaufte er ihn mit einer nahezu perfekten Innenausstattung. Er war noch in Schwarz lackiert, aber an einigen Stellen schimmerte noch etwas Gold durch.

Reinkarnation des Maserati Khmansin Prototypen zum Jubiläumstreffen des Khamsin Quaranta

Zur Vorbereitung auf das 40-Jahre Jubiläumstreffen des Khamsin Quaranta wurden umfangreiche Restaurationsarbeiten am AM120-004 durchgeführt. Eine verchromte vordere Stoßstange wurde anhand von zeitgenössischen Fotos von Grund auf neu gebaut, die Nase wieder auf die ursprüngliche, »unbelüftete« Version zurückgebaut und die Karosserie in ihrem originalen – und korrekten – Goldton neu lackiert. Auch der Motor wurde sorgfältig wieder aufgebaut.

Der Khamsin ist der definitive Gandini-Entwurf für ein Publikum reiferer Kenner – und Chassis 004 seine charismatische Interpretation des Konzepts. Kultiger geht es nicht.


10 spannende Fakten über den Maserati Khamsin

  1. Namensgeber ist ein Wüstenwind – Der „Khamsin“ ist ein heißer, trockener Wind aus Nordafrika. Maserati benannte in den 1970ern mehrere Modelle nach Winden, etwa Ghibli, Bora und eben Khamsin.
  2. Ungewöhnlich: Heckscheibe im Rücklichtband – Der Khamsin hat eine große Glasfläche am Heck – sogar das Rücklicht schwebt darin. Die Rücksicht ist besser, als man denken würde.
  3. Gebaut von 1974 bis 1982 – In diesen acht Jahren entstanden nur rund 435 Exemplare – davon etwa 155 für den US-Markt.
  4. Teil der Citroën-Ära – Der Khamsin entstand unter Citroëns Einfluss. Daher findet sich im Innenraum auch Hydrauliktechnik à la Citroën, z. B. bei Lenkung und Scheinwerfern.
  5. Hydraulische Klappscheinwerfer – Nicht elektrisch, sondern hydraulisch angetrieben – eine charmante wie exzentrische Lösung, typisch französisch-italienisch.
  6. Weltpremiere 1972 in Turin – aber Markteinführung erst 1974 – Maserati zeigte das Auto früh, die Serienproduktion ließ jedoch wegen der Ölkrise auf sich warten.
  7. Einer der ersten Maseratis mit Sicherheitsfeatures – Der US-Khamsin bekam markante Gummistoßstangen und modifizierte Front für Crashvorgaben – leider auf Kosten der Eleganz.
  8. Ungewöhnlicher Luftfilterkasten: Der Luftfilterkasten sitzt waagerecht über dem Motor und ist auffällig quer eingebaut – ein Resultat der extrem flachen Motorhaube.
  9. Zweikreis-Hydrauliksystem: Die von Citroën übernommene Hydraulik steuert nicht nur Lenkung und Scheinwerfer, sondern auch Kupplung, Bremskraftverstärker und die Höhenverstellung des Lenkrads.
  10. Keine direkte Nachfolge: Nach dem Produktionsende des Khamsin gab es kein vergleichbares V8-Coupé mehr bei Maserati – erst 1998 mit dem 3200 GT kehrte man in dieses Segment zurück.
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