Text David Barzilay // Fotos Charlie Magee
DIESER ASTON MARTIN DB2/4 – IM INNEREN SCHWER AUFGERÜSTET – HAT DER LEGENDE NACH DIE PHANTASIE DES SCHÖPFERS VON JAMES BOND BEFLÜGELT.
Auf dem langen Anstieg hinter Rochester wird der Verkehr aus London heraus endlich dünner. Der Aston Martin DB2/4 zieht mit seinem alles übertönenden Sechszylinder im obersten Gang kraftvoll durch, so als wüsste dieser sagenumwobene Wagen, dass ihn die Fahrt zu einigen der Schauplätze aus Ian Flemings Buch Goldfinger führen wird. Zwar glänzt die Welt des James Bond nicht mit übertriebenem Realismus, doch inspiriert wurde sie zumeist von realen Gegebenheiten. So heißt es, Fleming habe seinen Helden allein aufgrund seiner eigenen Begeisterung für den DB2/4 in einen Aston gesteckt.
Große Überraschung? Für mich jedenfalls nicht. Während ich den Hügel in Angriff nehme, kommen Erinnerungen daran auf, dass James Bond nur ein paar Meilen von hier auf einen himmelblauen Ford Popular aufgeschlossen hat, der mittig auf der Straße fuhr. Zwei Mal ließ Bond die Hupe des Aston ertönen, und als der Ford nicht Platz machen wollte, überholte er ihn einfach links außen – weshalb er erstmals einen Blick auf Auric Goldfingers Handlanger Oddjob werfen konnte. Auf dem Beifahrersitz des Ford.
Im Film sitzt Bond dann allerdings am Steuer des damals aktuellen DB5. Im Buch fuhr er einen DB Mk III – den Nachfolger des DB2/4, der bei Erscheinen des Thrillers auf dem Markt war. Die Bedeutung dieses speziellen DB2/4 für die Literatur ist vor knapp zwei Jahren ermittelt worden, als Dan Walford aus Kent und sein Sohn John auf eine Anzeige im Internet stießen. Die beiden hatten schon etliche Aston Martin restauriert, allerdings noch nie einen DB2/4.
Also begaben sie sich zu einem Bauernhof in der Grafschaft Berkshire im Westen Londons, wo der Wagen seit 1970 herumstand. Auf den ersten Blick sah er aus wie jeder x-beliebige DB2/4, vielleicht ein bisschen rostiger. Doch dass dieses Auto eine Sonderstellung innehat, merkten die Walfords erst, als sie zu Hause mit der Restaurierung begannen. Vater Dan, ausgebildeter Flugzeug- und Motorsport-Ingenieur, nahm den Wagen auseinander, während Sohn John, ein glühender Autoliebhaber und gelernter Werkzeugmacher, die Teile aufarbeitete
DIE BEDEUTUNG DIESES SPEZIELLEN DB2/4 FÜR DIE LITERATUR IST VOR KNAPP ZWEI JAHREN ERMITTELT WORDEN, ALS DAN WALFORD AUS KENT UND SEIN SOHN JOHN AUF EINE ANZEIGE IM INTERNET STIESSEN
Dabei stießen sie auf allerlei Überraschendes wie die verstärkten Stahlstoßfänger und diverse Geheimfächer. Diese Sonderausstattungen sind nichts im Vergleich zu dem Schleudersitz oder zu den hinter den Blinkern angebrachten Maschinengewehrläufen und den Reifenschlitzern, mit denen der Film-DB5 ausgerüstet war, dienten aber wohl dennoch als Inspiration für die Filmversion. Im Buch werden zudem mehrere weitere Sonderanfertigungen erwähnt, zum Beispiel »verstärkte Stahlstoßstangen«, die der DB Mk III für den Fall erhielt, dass Bond ein anderes Fahrzeug rammen musste.
Unterdessen war John Walford damit beschäftigt, die Historie des Wagens zu erforschen. Der DB2/4 wurde am 4. Juli 1955 an den mit Kriegsorden dekorierten Geschwaderführer Philip Ingram Cunliffe-Lister ausgeliefert. Dessen Vater, Lord Swinton, war ein enger Freund von Winston Churchill – und Leiter des britischen Sicherheitsdienstes im Zweiten Weltkrieg. Dem Leiter des Sicherheitsdienstes untergeordnet war neben anderen kein Geringerer als … Ian Fleming!
Walford fand auch heraus, dass der DB2/4 regelmäßig ein Anwesen ansteuerte, das sich in der näheren Umgebung des Domizils von Fleming befand. Genau das Haus, das später als Vorlage für Hugo Drax’ Residenz in Moonraker diente; aufgesucht vom Schriftsteller, als der im Dienst, Geheimdienst der Marine tätig war. Langsam dämmerte es Vater und Sohn Walford, dass dieser DB2/4 mit dem in Flemings Goldfinger beschriebenen identisch sein muss.
»DAS IST DOCH DAS BOND-AUTO.«
Da war es nur konsequent, mit dem Aston Martin dieselbe Route zu fahren, wie sie James Bond schon vor mehr als fünfzig Jahren zurückgelegt hat. Die schmale Landstraße zwischen den typisch hohen Hecken – hinter jeder ein Geheimnis für sich – sieht aus, als habe sich seit Flemings Zeiten nichts geändert. In der Ferne sind die Überreste der Kirchtürme von Reculver zu erkennen. Auf dem Parkplatz hinter dem Spielsalon machen wir Halt, um The Grange, Auric Goldfingers Haus in Reculver, zu inspizieren.
Fleming selbst begab sich oft freitags nach Feierabend für eine 18-Loch-Partie von London hierher. Wir flitzen durch Pegwell Bay mit seinem Langschiff aus der Wikingerzeit und kämpfen uns mit ausladenden Bewegungen des riesigen Lenkrads – das auch in einem Bus nicht deplatziert wirken würde – den Weg durch die zahlreichen Kreisverkehre. Hinter dem Mauthäuschen, das heute geschlossen ist, werde ich von einem Pförtner mit Fahne zum Stehen gebracht. Er bittet freundlich um sieben Pfund für die Benutzung der Straße. Beim Aushändigen des Wechselgelds sagt er: »Das ist doch das Bond-Auto.« Kein Zweifel: Die Nachricht von diesem außergewöhnlichen DB2/4 hat nun auch Kent erreicht.
FLEMING VERWENDETE GERNE SETTINGS, DIE ER SELBST KANNTE
Royal St George’s hat in Flemings Leben eine bedeutende Rolle gespielt. Er war Vereinskapitän in der Saison 1964/65 und erlitt nach einer Sitzung dort am 11. August 1964 einen Herzinfarkt. Als er einen Tag später in Canterbury starb – im Alter von 56 Jahren – wurden im Verein die Fahnen auf Halbmast gesetzt. Fleming hatte während seines Lebens in Hotels und Privathäusern in der Nähe gewohnt, bevor er seinem guten Freund Noël Coward ein Anwesen namens White Cliff s in St Margaret’s Bay abkaufte. Das wollen wir uns als nächstes ansehen.
Wir machen uns also auf den Weg Richtung Dover, folgen der Route oberhalb der berühmten Kreidefelsen und schließlich den verwinkelten Straßen hinunter zur Bucht. Mit jedem Meter, den uns der 3-Liter-Motor sonor grollend vorantreibt, steigen in mir Bond-Identifikationen auf. Fleming erwarb White Cliff s Anfang der 1950er-Jahre. Jetzt geht es die A2 hinauf – wie Fleming es so manches Mal getan haben mag – und ich halte Ausschau nach einem Schild für Bridge. Noch eine Meile und ich biege ab von der zweispurigen Schnellstraße in eine Welt, in der man sich um fünfzig Jahre zurückversetzt fühlt.
Ich biege intuitiv ab nach rechts, und während ich Gang für Gang hochschalte, ist es, als wüsste der Aston Martin selbst, wo es langgeht. Dieses Auto hat eine ganz besondere Präsenz – das polierte Holzarmaturenbrett, die Smiths-Instrumente, die Paspeln an den Ledersitzen – bei allem ist etwas Mysteriöses im Spiel.
ES IST, ALS WÜSSTE DER ASTON MARTIN SELBST, WO ES LANGGEHT. DIESES AUTO HAT EINE GANZ BESONDERE PRÄSENZ – DAS POLIERTE HOLZARMATURENBRETT, DIE SMITHS-INSTRUMENTE, DIE PASPELN AN DEN LEDERSITZEN – BEI ALLEM IST ETWAS MYSTERIÖSES IM SPIEL
Der Sechszylindermotor treibt einen nicht nur vorwärts, er zieht einen auch in eine Geschichte hinein. Warum das Funkgerät? Wozu die entstörte Zündung? Warum die vielen Geheimfächer? Kein Wunder, dass der DB2/4 Flemings Fantasie beflügelte. Den Hügel hinunter erspähe ich jenes Gebäude aus dem 17. Jahrhundert, das zunächst eine Trinkhalle war und seit 1850 ein Pub ist: das Duck Inn in Pett Bottom.
Im Schein der untergehenden Sonne haben es sich ein paar Leute vor dem Inn mit einem Bier bequem gemacht, und dort an der Wand prangt das Schild, das bestätigt, dass Ian Fleming hier im Jahr 1964 „You Only Live Twice“ geschrieben hat. Die Älteren erinnern sich, dass er in der Regel im Garten an einem Klapptisch schrieb und sich dabei einen Scotch genehmigte – keinen Wodka Martini. Pett Bottom war das Zuhause des jungen James Bond. Fleming mochte die Gegend. Ich kann ihn gut verstehen, während ich so auf der Bank vor dem Duck Inn sitze und die Landschaft betrachte. Unterdessen knistert das Auto beim Abkühlen leise vor sich hin und erinnert uns an die Rolle, die es in den unvergleichlichen Büchern gespielt hat.