Maserati A6 Zagato
Klassiker

Maserati A6 Zagato: Beauty oder Biest?

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OCTANE#05

 

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 Text Richard Heseltine // Fotos Matthew Howell

 

DIESE VON ZAGATO GESTYLTE VARIANTE DES MASERATI A6G54 IST BIS HEUTE DER ULTIMATIVE GT DER MARKE MIT DEM DREIZACK

Einparken muss ja kein Problem sein. Allerdings: Wenn man einen Wagen wie diesen zentimeterweise bewegt, wenn man ihn für eine Fotosession positioniert und zu allem Überfluss ziemlich viele Hindernisse eher nahe sind, die Bodenfreiheit gering, wenn der Wagen dann noch eine absolute Rarität ist – eine, für die schon mal eine sechsstellige Summe fällig ist und die gerade für eine Concours-Veranstaltung in Italien vorbereitet wird … Wenn man das alles an der Backe hat und einem der kalte Schweiß von der Stirn perlt, wenn zu allem Überfluss noch eine Horde Schaulustiger den Wagen umkreist und anglotzt, gierig, neugierig wie Leoparden ein Wasserloch: Dann kann man schon mal sehr nervös werden.

 

Cockpit des Maserati A6 Zagato
Das Nötigste ist vorhanden. Und dazwischen überraschen ein paar Details wie die Fensterkurbeln, die sich in der Türverkleidung wegklappen lassen.

Die Kulisse ist wie geschaffen für diesen grandiosen Maserati. Sechzig Stück wurden vom A6G54 gebaut, ein Drittel mit der Karosserie von Zagato. Die Wahrscheinlichkeit, in Turin einem Leoparden zu begegnen, ist deutlich größer als die, jemals dieses Auto auf der Straße zu entdecken. Für Maserati war der A6 das Sprungbrett in die Produktion von Fahrzeugen mit Straßenzulassung – trotzdem trägt er unverkennbare Rennwagen-Gene. Die Linie der GT-Wagen führte oft zu Missverständnissen, weil viele Varianten zu einer Sammelkategorie namens ‚A6 Maserati‘ zusammengefasst wurden.

Zum besseren Verständnis der Marke und ihrer Herkunft sollte man sich vergegenwärtigen, dass es bei Maserati in den ersten fünfzig Jahren fast ausschließlich um Motorsport ging. Ihre letzten großen Erfolge auf oberstem Niveau haben die Italiener in den 1950er-Jahren eingeheimst, doch Motorsport ist teuer.

Bevor das Geld, das im Motorsport die Räder zum Drehen bringt, Ende der 60er von Sponsoren kam, beglichen Hersteller oder andere Mäzene die Rechnungen für ein Rennprogramm. Maserati wäre schon 1937 pleite gegangen, hätte nicht Adolfo Orsi die Firma gerettet. Als überzeugter Kapitalist und Self-made-Industrieller glaubte Orsi, dass Rennsiege für seine zahlreichen Unternehmen vorteilhaft wären. Trotzdem wollte Maserati auf eigenen Beinen stehen – und hier kam die A6G-Serie ins Spiel.

WIE BEI EXOTEN ÜBLICH, SCHNEIDERTEN MEHRERE KAROSSERIEBAUER DEM A6G54 EIN BLECHKLEID

1954, mit der Einführung der Modellserie A6G54, konnten Straßen-Maserati bei der Kundschaft punkten. Der Sechszylinderreihenmotor kam – auf Umwegen – aus dem rennerprobten Vorkriegsmodell 6CM. Er war bereits beim A6 1500 auf zwei Liter aufgebohrt worden, doch im A6G54 erhielt er noch zwei obenliegende Nockenwellen und hemisphärische Verbrennungskammern. Motorblock und Zylinderkopf waren aus Leichtmetall gegossen, was das G für Ghisa (Guss) in die Bezeichnung einfügte, die Stahl-Kurbelwelle drehte sich in sieben dünnwandigen Vandervell-Lagern. Glich der Motor des A6G54 eher wenig denen der Rennsportwagen, so gab es beim Chassis schon mehr Ähnlichkeiten. Beispielsweise stammte die Aufhängung aus der Maserati-Rennsportabteilung.

Motor des Maserati A6 Zagato
Der Reihensechszylinder leistet 150 PS bei 6000 U/min und beschleunigt den rassigen GT auf maximal 200 km/h.

Viele Kunden achteten ohnehin mehr auf das Äußere. Wie bei Exoten üblich, schneiderten mehrere Karosseriebauer dem A6G54 ein Blechkleid: etwa Pietro Frua und Serafino Allemano – aber nur Zagato ging den gewohnt ungewöhnlichen Weg und entwarf abgespeckte Straßenrennwagen. Außer diesen Coupés fertigte Zagato auch einen Spider, leider nur einen einzigen. Das hier abgebildete Auto mit der Chassisnummer 2107 wurde 1955 bei Zagato in Terrazzano di Rho gebaut. Spätere Exemplare hatten leicht verbreiterte Radkästen hinten, ein breiteres Heck sowie ein größeres, höher angebrachtes Heckfenster.

ZAGATO WUSSTE, WAS DIE KUNDEN WOLLTEN. DER WAGEN EIGNETE SICH PERFEKT FÜR DIE VIELEN GENTLEMEN, DIE IHREN NADELSTREIFENANZUG AM WOCHENENDE EINTAUSCHEN WOLLTEN GEGEN EINEN STURZHELM

Die Symbiose aus Anmut und Exzentrizität ist typisch für die Zagato-Produkte jener Zeit. Erstmals war der Wagen auf dem Pariser Autosalon 1955 zu sehen. Um dem Motto ‚leichter ist schneller‘ treu zu bleiben, hatte man die aus poliertem Aluminium hergestellt statt – wie bei den Vierteln – aus verchromtem Stahl; Seiten- und Heckfenster waren aus Plexiglas. Zagato wusste, was die Kunden wollten. Der A6G54 eignete sich perfekt für die vielen Gentlemen, die ihren Nadelstreifenanzug und die Position hinterm Schreibtisch am Wochenende eintauschen wollten gegen einen Sturzhelm und Hosenträgergurte. Auch dieses Modell nahm an einigen Rennen teil.

Hat man erstmal seine Extremitäten ohne Beinbruch hineinbugstiert, präsentiert sich der Innenraum schlicht, fast kahl – was seinen Reiz hat. Tacho und Drehzahlmesser dominieren das in Wagenfarbe gehaltene Armaturenbrett, auf dem, ganz nach damaliger italienischer Art, kleinere Instrumente und Schalter aller Art anscheinend vollkommen willkürlich verteilt sind. Inmitten der aufs Nötigste reduzierten Innenausstattung überraschen einige liebevoll durchdachte Details – wie beispielsweise die Fensterkurbeln, die sich in der Türverkleidung wegklappen lassen. Dabei ist die Ähnlichkeit des Maserati-Cockpits mit dem eines von Zagato gestylten Fiat V8 oder der Fiat-Millecento-Reihe unverkennbar.

 Allerdings kommt der Maserati ohne das typische Double-Bubble-Dach aus. Trotzdem ist genügend Kopffreiheit vorhanden, und auch zur Seite gibt es jede Menge Platz für die Ellenbogen. Leise ist das Auto nicht – daran lassen schließlich das Röhren des Auspuffs und das leichte Trommeln der Struktur keinen Zweifel. Dass die Aluminiumhaut des Autos eher dünn ist, muss einem da nicht mehr gesagt werden.

Kaum ist man unterwegs, gesellt sich zur Geräuschkulisse ein solcher Geruch von Benzin und Öl, dass einem schwindlig wird. Gleichzeitig wird das rechte Bein vom Getriebetunnel mehr und mehr aufgewärmt. Die Lenkung ist zwar nicht beängstigend unpräzise, aber schon schwammig. Eine gute Balance, so Andy Heywood, in dessen Firma Bill McGrath der Wagen restauriert wurde, stellt sich erst bei Renngeschwindigkeit ein.

WIE JEDEM CATWALK-STAR, MUSS MAN SICH AUCH DIESEM BEHUTSAM NÄHERN

Anfangs verhält sich der A6 etwas störrisch, bei 5000 Umdrehungen wacht der Sechszylinder auf. Der Sound wird metallisch, und man will den Fuß gar nicht mehr vom Gas nehmen. Doch Vorsicht: Die hängenden Ventile bzw. die schlanken Ventilschäfte und die obenliegende Doppelnockenwelle verschleißen dabei schneller. Beim Bremsen wandert der A6G54 ein wenig, hauptsächlich nach links. Davon und von der trägen Lenkung abgesehen macht das Fahren Spaß.

Wie es sich für einen Gran Turismo gehört, ist der A6G54 ein Zwischending aus Rennwagen und Tourer – nur viel schöner zu fahren als der 3500 GT, der in seine Fußstapfen trat. Genau genommen hat Maserati keinen Nachfolger gebaut, dessen Wurzeln so offenkundig im Rennsport liegen – mit Ausnahme des MC12 vielleicht, und der war, abgesehen vom Namen, ein Ferrari. Für viele ist der Reiz eines Maserati die Eleganz, nicht das Deftige eines Rennwagens. Aber in diesem Fall ist die Renngeschichte des A6G54 ein großes Plus. Das und das wunderschöne Styling machen ihn zu einem einmaligen GT.


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