Angeblich baute Enzo Ferrari nur Straßenautos, um die Renneinsätze seiner Scuderia zu finanzieren. Doch dann erschien eins, das mit Stil und Luxus zu seinem persönlichen Favoriten wurde. Matthew Hayward fuhr für OCTANE den Ferrari 400 Superamerica Aerodinamico.
Noch nie habe ich mir so sehr gewünscht, zur französischen Riviera zu fahren wie in diesem Moment. Wenn es einen Ferrari gibt, der einen schnell, bequem und mit unvergleichlichem Stil dorthin bringt, dann ist es der 400 Superamerica. Für heute muss allerdings Oxfordshire genügen, um dieses ehemalige Kronjuwel von Ferrari kennenzulernen und zu genießen.
Dieses Aerodinamico-Coupé mit kurzem Radstand (SWB) finde ich unfassbar schön. »Gebaut wie ein Rolls-Royce, schnell wie ein Ferrari und selten wie Picasso«, scherzt Max Girardo, der dieses prächtige Auto im Auftrag seines letzten Besitzers verkauft. Der Superamerica zeigt, zu was Ferrari in der Lage war, als sich die Marke anschickte, in die Gran Turismo-Topliga vorzustoßen. Und beweist, dass es Ferrari damals nicht mehr nur um Rennwagen ging.
Folgerichtig zeigt er sich viel zivilisierter als beispiels- weise der raue 275 GTB/4, was auch einige exquisite Details wie die Heckleuchten in der Stoßstange und die komplizierten Türgriffe belegen. Unter der Motorhaube befindet sich der mit 4,0 Liter Hubraum größte Colombo-V12, den Ferrari jemals verbaute. Zur Einordnung seines Stellenwerts: Der 400 Superamerica war teurer als ein 250 GTO und der große Enzo nahm jeden Kaufwilligen persönlich unter die Lupe.
Das Konzept eines Ferrari-Flaggschiffs für den Luxusmarkt entstand in den frühen 1950er-Jahren. Den Anfang machten streng limitierte Serienmodelle wie 340, 342 und 375 America, deren aufregende Karosserien sich über aus dem Rennsport abgeleitete Motoren und Fahrwerke spannten. Erst mit dem 410 Superamerica von 1955 verfeinerte Ferrari das Konstruktionsprinzip. Mit seiner mächtigen 5,0-Liter-Version des Lampredi-V12, bis zu 360 PS Leistung und Karosserien verschiedener italienischer Designer zielte dieser Super-GT auf die reichsten und anspruchsvollsten Käufer ab. Wie die Modellbezeichnung unverblümt verrät, sollten sich diese vor allem auf dem boomenden US-Markt finden – allerdings blieb er mit nur 35 gebauten Exemplaren innerhalb von vier Jahren exklusiver als erhofft.
Der 400 Superamerica kam 1959 als konsequente Fortsetzung dieser Philosophie auf den Markt. Er vereinte das Beste, was Ferrari zu bieten hatte. Eine größere Version des von Gioacchino Colombo für den Ferrari 250 konstruierten 3,0-Liter-V12 ersetzte das in die Jahre gekommene Lampredi-Aggregat. Größere Bohrung und längerer Hub erweiterten die Brennräume auf zusammen 4,0 Liter. Einfache Nockenwellen, zweifache Zündspulen und -verteiler sowie ein Trio von Weber 46 DCF3-Vergasern kennzeichneten dieses Triebwerk, das zwar kleiner, aber mindestens ebenso leistungsstark war wie der Lampredi-5,0-Liter.
Als erstes Serienmodell der Marke erhielt der 400 Superamerica rundum Scheibenbremsen. Er erschien mit zwei Radständen, die LWB-Version sollte dem Wunsch einiger Kunden nach mehr Platz im Innenraum entsprechen. Das Fahrwerk ähnelte dem des 250: Einzelradaufhängung mit Doppelquerlenkern vorn, halbelliptische Blattfedern an der angetriebenen Hinterachse, geführt von Radiusstangen.
Zwischen 1959 und 1964 entstanden insgesamt 46 Exemplare des 400 Superamerica, die bis auf die beiden Scaglietti-Spyder alle von Pininfarina karossiert wurden. Zu den namhaften Besitzern gehörten der Aga Khan und Fiat-Oberhaupt Gianni Agnelli – ganz zu schweigen von der Tatsache, dass er Enzos persönliches Lieblingsauto war. Das hier vorgestellte 400 Superamerica SWB Coupé Aerodinamico, einer von nur acht Stück mit verkleideten Scheinwerfern, dürfte die begehrteste Version von allen sein.
Ferraris US-Importeur Chinetti Motors hatte den in Blu Sera Italver lackierten und mit Blu Connolly-Leder ausgestatteten Wagen 1962 in Toledo, Ohio, ausgeliefert. Der Käufer, ein gewisser C.O. Marshall jr., fuhr ihn mit dem Kennzeichen 3559 SA etwa sechs Jahre lang. Beim fünften Jahrestreffen des Ferrari Club of America wurde der 400er mit der Judge’s Choice-Trophäe ausgezeichnet. 1968 nahm Chinetti den Wagen mit 26.000 Kilometern auf der Uhr zurück, überholte den Motor, installierte eine neue Auspuffanlage und sollte ihn zum Verkauf anbieten. Doch entweder entschied sich Erstbesitzer Marshall um oder es fand sich kein Abnehmer – jedenfalls bekam das Coupé erst 1972 seinen nächsten Besitzer bei einem Kilometerstand von 37.000.
Der neue Eigner, Michael Kerr aus dem texanischen Carrollton, ließ den Wagen beim offiziellen Ferrari-Händler FAF Motorcars aus Tucker in Georgia warten. Schon bald entschied er sich für eine Farbänderung in Rot, ließ ein Schiebedach einbauen und das Interieur mit hellem cremefarbenem Leder beziehen. Kerr behielt den Superamerica fast zwei Jahrzehnte lang. Erst 1989 gelangte er in die Schweiz, wo ihn Graber Automobile zum Verkauf anbot. Nach einem kurzen Intermezzo bei einem anderen Besitzer erwarben die Unternehmerbrüder Arnold und Werner Meier im Oktober 1989 den Ferrari. 1993 beauftragten sie Edi Wyss Engineering in Zürich mit einer kompletten Restaurierung einschließlich Lackierung im originalen Blau und – natürlich – dem Entfernen des Schiebedachs. Die Eigner entschieden sich, die cremefarbene Innenausstattung beizubehalten und nahmen an einigen internationalen Veranstaltungen teil, darunter Pebble Beach, das 50-jährige Jubiläumstreffen von Ferrari in Italien und das 32. Annual Meeting des Ferrari Club of America.
Fotos Tom Saxson // Bearbeitung Johannes Schnettler
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