In den frühen 1980er-Jahren suchte ein Designer nach einer Visitenkarte. Worauf mit Unterstützung der Sonntagszeitung »The Observer« dieser einzigartige BMW 635 CSi mit Glasdach entstand.
Hier in dieser Ecke der London umgebenden »Home Counties« scheint Drängeln an der Tagesordnung zu sein, ebenso wie aggressives Überholen. Doch wir sind zu relaxed, um uns davon kirre machen zu lassen. Es mag ja innen echt heiß sein, aber alles andere ist cool. Denn es kommt nicht jeden Tag vor, dass man ein Konzeptfahrzeug fährt. Was auf den ersten Blick wie ein stinknormales BMW 635 CSI Coupé der Baureihe E24 aussieht, war zu seiner Zeit ein wahrer Medienmagnet. Das sogenannte »Observer Coupé« mag heute weitgehend unbekannt sein, aber es gab eine Zeit, in der es als wegweisend galt.
Designer und Entwickler des Autos war Mike Gibbs, der unter anderem in der Rüstungsindustrie tätig war, bevor er als Agent für freiberufliche Tonmodellbauer arbeitete. 1978 gründete er das MGA-Designbüro, ein Start-up in Coventry, das zunächst als Modell- und Prototypenbauer für die europäische Autoindustrie tätig wurde. Als Mann mit großen Visionen war Gibbs sehr daran gelegen, einen »One-Stop-Shop« für die großen Autobauer zu schaffen, der ein Projekt vom ersten Zeichenstrich bis zum fertigen Produkt begleitete. Ein Showcar sollte ihm als Visitenkarte dienen, und so entstand im März 1982 die Idee zum »Special Project M3«.
Gibbs schwebte ein Auto auf der Basis eines 6er BMW vor, und im Juni desselben Jahres hatte er dazu einen Arbeitsplan ausgearbeitet. Alles, was er noch brauchte, war ein Sponsor. John Anstey, Herausgeber des »Telegraph Sunday Magazine«, sprach er zuerst an. Ein scheinbar logischer Schritt, war Anstey doch so etwas wie ein Sprachrohr für Autodesign und -technologie, der seinen Verlag überzeugt hatte, den Bau des Bertone Pirana im Jahr 1967 zu finanzieren. Außerdem sponserte er einen Stand auf der British International Motor Show, die in den 1970er-Jahren vor allem unabhängige Designer förderte.
Anstey zeigte sich aufgeschlossen, ebenso BMW, wo man sich bereit erklärte, einen 635 CSi zu spenden. Doch wie die Korrespondenz zwischen den verschiedenen Parteien enthüllt, haperte es mit der Kommunikation. Passive Aggression schlug in aggressive Aggression um, als Gibbs und Anstey sich gegenseitig die Schuld für Verzögerungen bei der Entscheidungsfindung gaben. Neun Wochen gingen ins Land – dann zogen die potenziellen Partner einen Schlusstrich. Daraufhin wandte sich Gibbs an das »Sunday Times Colour Magazine«, ehe der Marketingmanager von BMW GB ein Treffen mit dem »Observer Sunday Magazine« arrangierte.
Alle guten Dinge waren drei – Ende Mai kam eine Einigung mit dem »Observer« zustande. Wenn man die Unterlagen von damals liest, scheint es, dass sich die Dinge danach (wieder) verzögert haben. Ein Problem, weil das Auto auf der British International Motor Show im Oktober 1982 vorgestellt werden sollte. Und nicht nur das: Es musste bis Anfang September noch fotografiert werden, denn der Observer wollte vor der Messeeröffnung eine Reihe von Artikeln zum Auto veröffentlichen. Auch das Fachmagazin »Autocar« sollte das Auto zwei Wochen vor der Enthüllung in Birmingham für eine Exklu- sivstory bekommen.
Aus Notizen vom Juni 1982 geht hervor, dass es noch Diskussionen darüber gab, was genau am 635 CSi verändert werden sollte. Fest stand nur: Es sollte immer eine Cabrio-Spielart sein, die Pläne sahen anfangs ein säulenloses Coupé mit versenkbaren Dachteilen vor. Vorläufige Skizzen zeigten eine Kombination aus einem elektrischen Schiebedach und einem elektrisch betriebenen hinteren Stoffverdeck. In den Notizen wird auch ein Vollcabrio angedeutet, allerdings mit dem Vorbehalt, dass dies bereits anderswo realisiert worden sei. Auch ein Targa mit demontierbarem Dachteil wurde vorgeschlagen, aber Gibbs’ Wunsch, Coupé und Cabrio zu kombinieren, gab am Ende den Ausschlag.
Im Endeffekt kam nun das erste Auto der Welt mit einem versenkbaren Glasdach heraus. Glasspezialist Triplex sowie Tudor, Experte für Schiebedächer, kamen an Bord. Ihre Arbeit ließen sie sich bezahlen, wenn auch zu reduzierten Stundensätzen. MGA veranschlagte die Gesamtkosten für den Bau des Wagens mit 20.000 Pfund, und Gibbs versprach BMW GB »ein einzigartiges Paket, das auf Knopfdruck die Umwandlung in ein Cabriolet ermöglichte: ohne Stoffverdecke oder abnehmbare Verkleidungen. Was wir vorgeschlagen haben, ist unseres Wissens nach noch nie versucht worden. Mit anderen Worten: Dieses Fahrzeug ist eine Premiere und wird wahrscheinlich auf großes technisches Interesse stoßen.«
Das kleine Team stand vor der Aufgabe, den knallroten Spenderwagen in nur 18 Wochen in eine Messeattraktion zu verwandeln. Der britische Designer Stephen Ferrada, ein Ex-Porsche-Mann mit Wohnsitz Stuttgart, war Verbindungsmann zum MGA-Team und für das Exterieur verantwortlich. Der auf elektrische Systeme spezialisierte Ingenieur Stanley Daniel, zuvor tätig bei British Aerospace, musste sicherstellen, dass das Dach fehlerfrei funktionierte.
Außerdem musste das gesamte Ensemble ja auch im Kofferraum verschwinden, ohne dass sich der Stauraum wesentlich verkleinern würde. Das wiederum brachte Alistair Millar (Ex-Ford) ins Spiel, der mit dem geometrischen Layout und dem strukturellen Design beauftragt wurde. Wie bei allen großen Sprüngen ins Unbekannte gab es zwangsläufig Probleme.
Text Richard Heseltine // Fotos JGF Williams // Bearbeitung Thomas Imhof
Lesen Sie in OCTANE #66, wo die Herausforderungen bei dem grossen Glasdach im 6er Coupé lagen und wie sie überwunden wurden.
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