Zur Saison 1982 tritt in der Sportwagen-WM ein komplett neues Reglement in Kraft. Porsche passt sich nicht nur daran an, sondern stellt mit dem 956 das erfolgreichste Rennauto der Firmengeschichte auf die Räder, das den Schwaben auf Anhieb einen Dreifachsieg in Le Mans einfährt. Ein Rückblick.
Das vierzigste Jubiläum der Gruppe C war für Porsche Anfang August Anlass genug, die internationale Motorpresse sowie einige Blogger ins hauseigene “Experience Center” in Leipzig einzuladen. Kein Wunder, schließlich hat der 956 gemeinsam mit seinem dezent modifizierten Nachfolger 962 Geschichte als erfolgreichster Porsche-Rennwagen aller Zeiten geschrieben.
Naheliegenderweise haben die Schwaben im Rahmen des Events nicht nur eine Handvoll 956 und 962 aus der Werkssammlung Demonstrationsrunden auf dem dazugehörigen Rundkurs drehen lassen – hinter deren Steuer saßen zudem vier echte Motorsport-Urgesteine, die schon während der zehnjährigen Gruppe C-Ära große Erfolge mit ihnen einfahren konnten.
Neben Derek Bell waren auch Hans-Joachim “Strietzel” Stuck und Jochen Mass dabei. Komplettiert wurde das Legenden-Quartett von Bernd Schneider, der mit einer Variante des 962 in den frühen Neunzigerjahren an der amerikanischen IMSA GTP-Meisterschaft teilnahm, bevor er in die DTM wechselte und dort insgesamt fünf Titel gewann.
Doch fangen wir ganz von vorn an: Anfang der Achtzigerjahre krempelte die damalige Weltmotorsportorganisation FISA (Fédération Internationale du Sport Automobile) die Sportwagen-Weltmeisterschaft grundlegend um. Im Sommer 1980 hatte die Instanz einen ersten Entwurf des neuen Reglements herausgegeben, Ende 1981 wurde das neue Regelwerk für die Saison 1982 dann offiziell veröffentlicht.
Dass es in der Sportwagen-WM nunmehr nur noch drei, anstatt der bisherigen sechs Gruppen gab, war vergleichsweise weniger dramatisch. Großserien-Tourenwagen traten ab 1982 in der Gruppe A an, während in Kleinserie gefertigte GTs jetzt zur Gruppe B gehörten. Die geschlossenen Produktionsrennwagen der Gruppe 5 sowie die offenen Prototypen der Gruppe 6 hatten beide ausgedient und wurden durch die ausschließlich für reine Prototypen zugelassene Gruppe C ersetzt.
Das Regelwerk der neuen Gruppe C unterschied sich deutlich von denen der bisherigen Gruppen 5 und 6, was die Hersteller mitunter vor große Herausforderungen stellte. Bisher wurden Rennwagen meist anhand ihres Hubraums klassifiziert, die FISA legte für die Saison 1982 jedoch eine Verbrauchsformel fest, wodurch ein Kurswechsel bei der Fahrzeugentwicklung unausweichlich wurde.
Vor allem der Aerodynamik kam plötzlich deutlich mehr Bedeutung zu. Die Tanks durften nach dem neuen Reglement höchstens 100 Liter fassen, während die Autos anfangs mindestens 800 Kilo auf die Waage bringen mussten. Zwei Jahre später wurde das Mindestgewicht zwar um fünfzig Kilo heraufgesetzt, trotzdem blieb eine Sache unumstößlich: Die Autos mussten nicht nur schnell, sondern gleichzeitig auch effizient sein. Im Grunde durften sich die Gruppe C-Renner auf Hundert Kilometern höchstens 60 Liter genehmigen, was von den Offiziellen anhand der eingelegten Tankstopps und des vor Rennbeginn überprüften Tankvolumens überwacht wurde.
Porsches Motorsportabteilung begann im Hochsommer 1981, also nur einige Wochen nachdem der 936 seinen letzten Le Mans-Sieg errungen hatte und noch bevor das neue Reglement überhaupt offiziell präsentiert worden war, mit der Entwicklung des unter Berücksichtigung des zukünftigen Gruppe C-Regelwerks konzipierten 956. Der legendäre Renningenieur Norbert Singer fungierte als Projektleiter und feilte vor allem an der Aerodynamik des Prototypen. Nachdem Ferry Porsche das geänderte Regelwerk inspiziert hatte, wünschte er Singer zu Beginn der Entwicklungsarbeiten, bei denen ein ziemlicher Zeitdruck herrschte, inständig Glück.
Der “Ground Effect”, bei dem es sich um den wohl größten Wettbewerbstvorteil des neuen Porsche-Prototypen handelte, geht auf die Kappe des mittlerweile 82-jährigen Asses. Der 956 war das erste Fahrzeug in den Sportwagen-Meisterschaften, bei dem dieses zuerst in der Formel 1 etablierte Feature eingesetzt wurde.
Eine Einbuchtung im vorderen Bereich des Unterbodens, die schnell den Spitznamen “Singer-Delle” verpasst bekam, sorgt in Kombination mit einem großen Diffusor, der sich von der Fahrzeugmitte bis zum Heck durchzieht, für einen ungeheuren Anpressdruck. So waren schlagartig bisher nie dagewesene Kurvengeschwindigkeiten möglich. Jochen Mass, der damals an den Entwicklungsfahrten beteiligt war, erinnert sich bei dem Jubiläumsevent an die ersten Tests im südfranzösischen Le Castellet: “Auf der Rennstrecke waren einige Kurven plötzlich nicht mehr da, weil man sie nehmen konnte, ohne vom Gas zu gehen.”
Laut der mittlerweile 75-jährigen Rennfahrer-Legende wurde ihm schon sehr früh bewusst, dass es sich beim 956 um ein echtes Siegerauto handelte. Beim Umstieg auf den neuen Wagen mussten die Piloten aufgrund des ungewohnten Ground Effects aber auch ihren bisherigen Fahrstil ablegen. Als sie sich des hohen Abtriebs noch nicht voll bewusst waren, fuhren Stuck, Mass & Co. etwas übervorsichtig, was sich anfangs bei den Rundenzeiten negativ bemerkbar machte. Ein angenehmer Nebeneffekt des innovativen Luftleitsystems war jedoch, dass beim 956 auf ein allzu ausladendes Flügelwerk verzichtet werden konnte, was wiederrum der Aerodynamik zugutekam – Stichwort Effizienz.
Auch beim Grundgerüst des 956 hatte sich Porsche auf neues Terrain begeben. Während allen bisherigen Sportwagen-Prototypen aus Weissach ein klassischer Rohrrahmen als Skelett diente, entwickelte der für das Chassis zuständige Ingenieur Horst Reitter ein moderneres, verwindungssteiferes und letzlich auch sichereres Monocoque aus Aluminium, das mit einer dreiteiligen aerodynamisch effizienten GFK-Karosse überzogen wurde. Die Kehrseite: Die Fertigung der Rahmen mittels einer Niet-Klebe-Technik war im direkten Vergleich zeitintensiv und erforderte eine hohe Handerwerkskunst. Da die Schwaben zu dem Zeitpunkt kaum Erfahrungen mit dieser Bauart gesammelt hatten, holten sie sich Hilfe vom Bodensee: Der Friedrichshafener Flugzeughersteller Dornier stand den Porsche-Leuten zu Beginn der Konstruktionsphase beratend zur Seite.
Die meisten Formel 1-Teams waren damals schon einen Schritt weiter und setzte auf noch leichtere sowie noch torsionssteifere Carbon-Monocoques. Auch Porsche zog es anfangs in Betracht, diese fortschrittliche Technologie für seinen Gruppe C-Prototypen zu nutzen. Die Pläne wurden jedoch recht schnell wieder verworfen, da Porsche in den frühen Achtzigerjahren noch nicht im Besitz einer der dafür nötigen Produktionsmaschinen war. Eine Auftragsfertigung bei einem externen Spezialunternehmen fiel ebenfalls durch, da sie mit zu hohen Kosten verbunden gewesen wäre.
Bei den Motoren ließ das Gruppe C-Reglement Porsche einen vergleichsweise großen Spielraum. Trotzdem beließen es die Ingenieure aus Weissach nicht einfach dabei, den immerhin rund 560 PS starken Turbomotor des Vorgängers 936 unverändert weiterzuverwenden. Der Sechszylinder-Boxer des neuen 956 basiert stattdessen auf Porsches Indy-Motor aus dem Jahre 1979, der seines Zeichens wiederrum vom 3,2 Liter großen und bis zu 700 PS starken Boxer des 935/78, von Motorsport-Fans auch liebevoll Moby Dick genannt, aus dem Vorjahr abstammte. Der Hersteller selbst legt großen Wert darauf zu erwähnen, dass die Ahnenlinie all dieser Rennmotoren bis zu Hans Mezgers Porsche 911-Boxermotor aus den frühen Sechzigerjahren zurückreicht.
Für den Einsatz in der Gruppe C wurde der Hubraum des Motors bei 2,65 Litern festgelegt, während die Maschine mit einer mechanischen Einspritzanlage ausgerüstet und insgesamt stärker auf Effizienz getrimmt wurde. Aus diesem Grund wurde unter anderem die Maximaldrehzahl heruntergesetzt. Die Zylinder des Vierventil-Boxers sind markentypisch luftgekühlt, während diese Aufgabe bei den Zylinderköpfe Wasser übernimmt.
Zwei Turboschnecken aus dem Hause KKK entlockten dem Motor in der Saison 1982 ein Drehmoment von 630 Newtonmetern und eine Maximalleistung von 620 PS, die bei einer Drehzahl von 8.200 Umdrehungen anstand. Im Laufe der Jahre wurde das Aggregat dezent überarbeitet und sein Hubraum schrittweise auf 3,0 und 3,2 Liter erhöht. Außerdem schwenkte Porsche auf eine elektronische Einspritzung um.
Schon der Motor für die Saison 1982 stand äußerst gut im Saft und erwies sich zudem als zuverlässig. In Kombination mit dem überlegenen Ground Effect, der guten Aerodynamik sowie den talentierten Fahrern ergab sich so eine echte Erfolgsformel, die den Porsche 956 und den 962 bis in die Neunzigerjahre hinein die internationalen Sportwagen-Meisterschaften dominieren ließ.
Schon kurz nach seinem Debüt sorgte der Prototyp in Le Mans für den ersten Paukenschlag: Das Werksteam Rothmans Porsche errang mit dem 956 bei dem legendären 24 Stunden-Rennen auf Anhieb einen publikumswirksamen Dreifachsieg. Am Steuer des Siegerautos saßen die Werksfahrer Derek Bell und Jacky Ickx, auf Platz zwei folgten Jochen Mass und Vern Schuppan, während sich Hurley Haywood, Al Holbert und Jürgen Barth den dritten Platz teilten. Auch in den darauffolgenden drei Jahren siegte bei dem Rennen an der Sarthe jeweils ein Porsche 956. Am Ende der Saison 1982 hatte Porsche in der Sportwagenweltmeisterschaft zudem den Konstrukteurstitel inne. Ein Triumph, das sich 1983, 1984 und 1985 wiederholen sollte.
Dazu kommt ein legendärer Rekord, der erst nach nach Sage und Schreibe 35 Jahren gebrochen wurde. Der 956-Pilot Stefan Bellof brannte am 28. Mai 1983 im Rahmen des Trainigs auf der Nordschleife eine Rundenzeit von 6.11,13 Minuten in den Asphalt. Und das bei einem Durchschnittstempo von 202,053 km/h. Erst am 29. Juni 2018 konnte Timo Bernhard, seines Zeichens ebenfalls Porsche-Werksfahrer, diesen Wert unterbieten. Er brauchte mit dem Porsche 919 Hybrid Evo lediglich 5:19,55 Minuten für eine Norschleifen-Runde. Damit war er ganze 51,58 Sekunden schneller als Bellof im 956.
Es würde den Rahmen sprengen alle Rennerfolge des 956 sowie die seines eng verwandten Nachfolgers 962 auffzuführen. Sie brillierten nämlich nicht nur in der Sportwagen-WM, sondern auch im deutschen Supercup, der amerikanischen IMSA GTP-Serie und dem fernöstlichen “All Japan Sports Prototype Championship”. Eins steht aber auf jeden Fall fest: Kein anderer Gruppe C-Wagen prägte den Langstrecken-Rennsport der Achtzigerjahre so wie die Flachmänner aus Weissach. Stetige Verbesserungen sorgten dafür, dass die fortschrittliche Grundkonstruktion ungewöhnlich lange konkurrenzfähig blieb. “Ich bin einige gute Autos gefahren, die in der nächsten Saison schon nicht mehr mithalten konnten. Doch diese Auto blieb über seine gesamte Lebensdauer prächtig”, resümierte Jochen Mass.
Norbert Singer, der bei der Leipziger Gesprächsrunde per Videocall zugeschaltet war, hielt stolz ein Balkendiagramm in die Kamera und erklärte den anwesenden Journalisten sichtlich stolz: “Von 1982 bis 1985 schafften wir es in Spa-Franchorchamps die durchschnittliche Rundenzeit um sieben Prozent zu verkürzen. Gleichzeitig konnten wir den Durchschnittsverbrauch um 23 Prozent senken.”
Mit dem PDK etablierte Porsche 1987 eine weitere neuartige Technologie in der Gruppe C, welche sich nach einigen Anlaufschwierigkeiten als ein weiteres Ass im Ärmel entpuppte, da sie die Schaltzeiten deutlich verkürzte und den Fahrer entlastete. So hatten die Fahrer noch mehr Kontrolle über das Fahrzeug, dass von einigen Piloten ohnehin schon als idiotensicher bezeichnet wurde. Die Schwaben tüftelten bereits in den späten Sechzigerjahren an dem innovativen Doppelkupplungsgetriebe, es sollte aber noch lange dauern, bis das System auch tatsächlich einsatzbereit war. Erschwert wurde die Entwicklung vor allem dadurch, dass damals noch keine vernünftige Steuerungselektronik zur Verfügung stand.
Bei den frühen Versionen handelte es sich also noch um rein mechanische Systeme, die nicht wirklich zuverlässig schalteten. Daher wechselten die Ingenieure recht schnell auf eine elektronisch-hydraulische Lösung. Noch im Frühjahr 1984 ging das PDK bei den Vergleichsfahrten in Le Castellet mit einem Zeitverlust von fast zweieinhalb Sekunden pro Runde einher. Die Doppelkupplung, die rund 15 Kilo schwerer als das manuelle Getriebe war, machte den 956 in Sachen Höchstgeschwindigkeit zudem etwas langsamer. Erst 1987 wendete sich das Blatt: Mit PDK war der 962 C von Hans Joachim Stuck auf dem südfranzösischen Rundkurs plötzlich 0,7 Sekunden schneller als ein mit der gewohnten Fünfgang-Handschaltung ausgestattetes Exemplar. Daraufhin setzte Porsche das Getriebe erfolgreich im Supercup ein.
Derek Bell machte bei der Gesprächsrunde in Leipzig deutlich, dass das System zu Beginn nicht besonders haltbar war: “Ich wollte mit diesem Getriebe nicht an 1000 Kilometer-Rennen teilnehmen, weil man damit einfach nicht im Ziel ankam. Vor allem die Antriebswellen gingen oft kaputt”, erinnert sich der Pilot. Er weigerte sich damals auch mit einem PDK-Auto an den 24 Stunden von Le Mans teilzunehmen, da er die Innovation als Handicap empfand. “Anfangs war ich mit der Doppelkupplung alles andere als glücklich, nach einer gewissen Zeit war das PDK aber einfach großartig. Und heute ist ein Großteil der Autos mit einem ähnlichen Getriebe ausgestattet.” Bell bedankte sich im gleichen Zuge auch bei seinem damaligen Teamkollegen Stuck, da dieser einen Großteil der Entwicklungsfahrten für das PDK abspulte. Er selbst habe darauf ehrlicherweise wenig Lust gehabt.
Gegen Ende der Achtzigerjahre gab es mehrere Reglementänderungen, welche die Sportwagen-Weltmeisterschaft für die Hersteller als auch für die Fans immer uninteressanter machte. 1989 wurden beispielsweise die Langstreckenrennen von 1.000 auf 480 Kilometer verkürzt sowie die Verbrauchsformel über Bord geworfen. Antriebsseitig sahen die neuen Spielregeln einen Einheitshubraum von 3,5 Litern vor, während die Motoren ohne Aufladung auskommen mussten.
Derek Bell brachte in Leipzig eine interessante Theorie dafür vor, warum die FISA das Reglement derart stark geändert haben könnte: “Die Rennen der Sportwagen-Weltmeisterschaft waren damals sehr gut besucht. Das hat der Formel 1 garnicht gefallen, weil es deren eigene Fangemeinde dezimierte.” Mit dieser Einschätzung steht der Brite in der Motorsportszene defintiv nicht alleine da. Im Endeffekt überlebten die Gruppe C-Porsche jedoch noch das gesamte Reglement. 1994 errang das Privatteam Jochen Dauer Racing in Le Mans den Gesamtsieg – mit einem Fahrzeug, bei dem es sich um einen modifizierten und mit Porsche-Teilen selbst aufgebauten 962 handelte. Ganze zwölf Jahre nachdem die ersten drei 956 dort hintereinander die Ziellinie überquert hatten.
Text: Elias Holdenried // Fotos: Roman Rätzke / Porsche
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