Für Fiat-Verhältnisse ist jeder 8V ein Exot. Und ganz besonders dann, wenn er von Vignale eingekleidet wurde und eines von nur zwei offenen Exemplaren ist.
Ein ehrfurchtsvolles Raunen erfüllt die Luft. Die Fanfare, die da aus dem geschlossenen Anhänger her vortönt, kann doch nur die eines V8 sein, der gerade aus seinem Schlaf gerissen wurde. Er klingt weniger kehlig als so mancher seiner Artgenossen, blubbert aber dennoch ganz ordentlich. Und dann rollt der Wagen langsam herunter, um sich in seiner Gänze zu zeigen. Ein spektakulärer Anblick, ganz ohne Zweifel – wie es sich für eine Sonderanfertigung nach einer fünfjährigen Restaurierungsphase eben gehört. Aber darin liegt der Reiz des Fiat 8V.
Die volkstümlichste aller italienischen Marken hat mehrere Klassiker hervorgebracht, Autos, die auf der ganzen Welt geschätzt werden. Aber Exoten baut sie eigentlich nicht. Jedenfalls nicht oft. Und wenn, dann nur ganz besondere, und auch dann gibt es eine Hackordnung. Der »Otto Vu« in seinen vielen Erscheinungsformen ist wundervoll, aber ein von Alfredo Vignale eingekleideter ist noch mal etwas ganz anderes. Als einer von nur zwei gebauten offenen 8V ist er zu zwei Dritteln Roadster und zu einem Drittel fliegende Untertasse – und absolut beeindruckend.
Für Fiat-Dimensionen war der 8V kaum mehr als ein kurzes Aufleuchten auf dem Radar. Ganz gewiss warf er keinen Gewinn ab, und das war auch nicht das Ziel. Im heutigen Marketing-Sprech wäre dieser göttliche Gran Turismo ein Halo-Effekt-Produkt, dessen Glanz auf die weniger aufregenden Modelle herabstrahlte. Schließlich war und ist er bis heute das einzige Fiat-Serienauto mit einem V8-Motor. Wobei der Begriff »Serie« in diesem Fall ein relativer ist, denn es wurden nur 114 Exemplare gebaut.
Das faszinierende Coupé war auch ein Experimentierfeld, auf dem die Ingenieure ihre Kreativität entfalten konnten; der bedeutendste von allen: Dante Giacosa. Fiat hatte zum ersten Mal Ende der 1940er-Jahre über ein V8-Modell – eine Flaggschifflimousine – nachgedacht. In seiner Autobiografie »Forty Years of Design at Fiat« erinnerte sich Giacosa: »Der erste Test des 104-V8 führte zu einer kompletten Überarbeitung der Zylinderköpfe und der Ventilsteuerung, um mehr Leistung zu generieren.
Der kurzhubige V8 wurde von Schubstangen gesteuert und von zwei Weber-Doppelvergasern versorgt. Wenn man Fiats Werbeunterlagen glauben durfte, produzierte das komplett aus Aluminium gebaute Juwel 105 PS bei 5600 U/min, mit einem entsprechenden Drehmoment von 146 Newtonmetern bei 3600 U/min. Die Kraft wurde mittels eines vom zweiten bis vierten Gang synchronisierten Vierganggetriebes auf die Hinterräder übertragen. Fiat beschrieb die Konstruktion damals als semiselbsttragend – das separate Stahlchassis mit den Rohrlängsträgern war an die Karosserie angeschweißt – und die Aufhängung folgte dem Grundlayout der etwas langweiligen Millecento-Limousine.
Eingekleidet wurde das Ensemble größtenteils im eigenen Haus, und zwar mit einer Karosserie aus der Feder von Fabio Lucio Rapi, einstmals ein sehr erfolgreicher Designer, zu des sen Arbeiten der Fiat Turbina und diverse Zagato-Karosserien gehörten. Während der Wagen im Profil anmutig wirkte, war die Frontpartie insgesamt überladen – zum Glück wurde der hässliche Kühlergrill im Art-Déco-Stil des Showwagens nicht auf die Serienversion übertragen.
Doch auf den Lorbeeren ruhte man sich bei Fiat nicht aus. Nach 34 gebauten Autos brachte das Werk eine überarbeitete Version heraus, deren augenfälligste Neuerung die neuen Vierfachscheinwerfer waren. Und nun wurden auch externe Karosserieschmieden herangezogen. Die bekanntesten Außenhäute stammten von Zagato, von denen alle bis auf eine geschlossene Karosserien waren. Die Mailänder Firma kaufte 1955 sogar einige der restlichen 8V von Fiat auf und setzte die Produktion bis zum Ende des Jahrzehnts fort. Die 8V waren übriggeblieben, weil Fiat den Wagen ein Jahr zuvor heimlich, still und leise aus dem Programm genommen hatte.
Damit war stets zu rechnen gewesen, denn selbst die Produktion des Serienmodells hatte sich als mühsam erwiesen – die Herstellung des Fahrgestells und die Montage der Hauptkomponenten waren zu Siata ausgelagert worden. Und dann war da noch die Sache mit dem Listenpreis, der annähernd drei Millionen Lire betragen hatte. In dieser Region war die Luft schon recht dünn, besonders dann, wenn der Kunde auch noch die Kosten für eine extern gebaute Karosserie aufbringen sollte.
Und so kam auch Vignale zu einem Auftrag. In seinem zweibändigen Werk »Otto Vu« schreibt der belgische Buchautor Tony Adriaensens: »Die Werkstattkapazität war derart ausgelastet, dass wegen des Platzmangels einige Abschlussar beiten auf der Straße davor erledigt wurden. Die Carrozzeria Vignale & Co. kleidete zehn Otto-Vu-Fahrgestelle ein, alle nach Giovanni Michelottis Entwürfen.«
Text Richard Heseltine // Fotos Paul Harmer // Bearbeitung Christel Flexney
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