Zum ersten Mal seit ihrem Kampf auf dem Nürburgring 1984 waren die 190er-Rennlimousinen von Ayrton Senna und Niki Lauda wieder gemeinsam auf der Strecke.
Zweihundert PS ist heute nicht mehr viel. Mittelklasse-Firmenwagen mit Turbodiesel. Und vor langer Zeit die Messlatte für die Qualifikation als »Hot Hatch«. Aber das ist Vergangenheit. Mitte der 1980er waren fast 200 PS eine Menge Holz. Viel mehr, als beispielsweise der Porsche 944 aufbieten konnte. Der brauchte immerhin einen Turbo, um die 162 PS der Standardausführung auf 220 hochzupumpen. Für eine Familienlimousine wie den Mercedes-Benz 190 waren 185 PS damals sehr viel. Genug jedenfalls, um Rennen zu bestreiten. Und mehr als genug für einen gewissen Ayrton Senna, um die etabliertere Konkurrenz in die Schranken zu weisen.
Als da zum einen Niki Lauda wäre, der beim Rennen zur Eröffnung der neuen Grand Prix-Strecke am Nürburgring 1984 hinter Senna Zweiter wurde. Beide fuhren den brandneuen Mercedes-Benz 190 E 2.316, wie auch der Rest des Feldes. Es war das rasante Debüt des mit Cosworth-Hilfe entwickelten neuen Sportmodells, das eigens für das Eifel-Event einen Überrollkäfig verpasst bekam. Jetzt lassen wir das Senna- und das Lauda-Auto nochmal aufeinandertreffen.
Vielleicht haben Sie auch Laudas Wagen schon mal gese hen, aber der ging unmittelbar nach dem Rennen in die Hände des Hugo Boss-Erben Jochen Holy über und ist heute im Besitz des Schweizer Sammlers Daniel Iseli. »Ich war schon immer Formel-1-Fan und habe natürlich das Rennen am Nürburgring 1984 verfolgt, deshalb wusste ich von Anfang an von den Autos«, sagt Iseli. »Von dem Lauda-Wagen erzählte mir ein Freund, der in Deutschland mit exklusiven Autos handelt. Er war im Besitz eines Österreichers namens Heinz Svoboda; wir wurden gute Freunde und haben Niki Lauda 2016 wieder mit seinem damaligen 190er Mercedes zusammengebracht. Ich habe es dann im Sommer 2018 gekauft.«
Iseli war Lauda schon mehrere Male begegnet und wollte eigentlich zu dessen 70. Geburtstag Anfang 2019 ein erneutes Aufeinandertreffen von Fahrer und Mercedes arrangieren, doch da war Lauda schon zu krank. Aber auch jenseits seiner besonderen Verbindung zu Lauda hegt Iseli eine große Vorliebe für den 190 als Renntourenwagen: »Dieses Rennen im Jahr 1984 war sehr wichtig; es war der erste Renneinsatz eines WerksMercedes seit der Katastrophe in Le Mans 1955. Ich betrachte diesen Wagen als Evo Null. Er brachte Mercedes-Benz aufs Rennparkett zurück. Die Autos von Senna und Lauda sind die einzigen beiden aus diesem Rennen, die noch original erhalten sind. Ich besitze alle Dokumente, jedes einzelne Stück Papier, und alles wurde von Mercedes beglaubigt.«
»Bei Mercedes-Benz wurde erstmals in den 1970ern über einen Kompaktwagen nachgedacht, Ende 1982 wurde dann der W 201 vorgestellt«, erklärt Gerhard Heidbrink von MercedesBenz Classic. Und führt weiter aus, man habe das Ziel gehabt, den Bestimmungen der »Corporate Average Fuel Economy« in den USA zu genügen und eine jüngere (und entsprechend weniger kaufkräftige) Käuferschaft anzusprechen. Das Ergebnis war der 190 »BabyBenz« mit Vierzylinder-Benzinmotor und einer Motorleistung von wenig mehr als 100 PS, selbst in der Ausführung mit Benzineinspritzung. Etwas mehr Sexappeal konnte da nicht schaden. »Wir begannen, über eine Sportversion nachzudenken«, sagt Heidbrink, »und führten Gespräche mit Cosworth über die Entwicklung eines Motors.«
Cosworth setzte auf dem 2,3–LiterVierzylinder von Mercedes auf und entwickelte seinen eigenen, »Coscast« genannten Zylinderkopf (gefertigt in Worcester) mit zwei obenliegenden Nockenwellen und 16 Ventilen. Mit Nasssumpfschmierung und Bosch-Benzineinspritzung statt der Trockensumpfschmierung und des Kugelfischer-Systems des Rallyemotors konnten sich die Leistungsdaten des neuen Triebwerks durchaus sehen lassen: 185 PS bei 6200 U/min mit einem Drehmoment von 236 Newtonmetern – dazu die Fähigkeit, bis auf 7000 U/min hochzudrehen, und das Potenzial für weitere Entwicklungsstufen.
Im August 1993 stellten drei 190 E 2.3-16 auf der italienischen Teststrecke in Nardò drei Weltrekorde auf, wobei über die gesamten 50.000 Kilometer des Ausdauertests eine kombinierte Durchschnittsgeschwindigkeit von 248 km/h gemessen wurde und nicht weniger als zwölf internationale Langstreckenrekorde zustande kamen. Mit einer derart zementierten Zuverlässigkeit betrat der Wagen einen Monat später auf der Frankfurter IAA die Automobilbühne.
Und damit zum Nürburgring. Nein, nicht zur Nordschleife, denn was mit dieser nach Niki Laudas Feuerunfall 1976 passierte, wissen wir alle. Zukünftig sollten Formel-1-Rennen auf der neu geschaffenen Grand PrixStrecke ausgetragen werden, und was würde sich zur Eröffnung besser eignen als ein Schaulaufen prominenter Rennfahrer! Ein Feld von 20 Fahrern wurde zur Teilnahme am Eröffnungsrennen am 12. Mai 1984, das auch als »Race of Champions« bekannt ist, eingeladen – alle saßen in identischen MercedesBenz 190 E 2.3-16.
Unter den 20 Fahrern befanden sich neun ehemalige Formel-1Weltmeister (Jack Brabham, Phil Hill, John Surtees, Denny Hulme, James Hunt, Jody Scheckter, Alan Jones, Keke Rosberg und natürlich Niki Lauda) und zwei, die später noch zu diesen Ehren kommen sollten: Ayrton Senna und Alain Prost. Außerdem mit dabei waren Stirling Moss, John Watson, Hans Herrmann, Carlos Reutemann, Jacques Lafitte und Elio de Angelis. Die restlichen drei Fahrer waren Klaus Ludwig, Manfred Schurti und Udo Schütz, alle ehemalige Sieger beim 1000-km-Rennen am Nürburgring.
Text Glen Waddington // Fotos Dino Eisele, Mercedes-Benz // Bearbeitung Christel Flexney
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