Die neue BMW R18 cruist sich in die Motorradfahrerherzen mit einem guten Schuss Historie und zeitgemäßer Technik.
Mit der R18 betritt BMW Neuland. Denn wer bereits in den achtziger Jahren mit BMW-Motorrädern in Kontakt kam, weiß noch, warum es Begriffe wie Gummikuh, Fahrstuhl oder Schüttelhuber gab. Neue Modelle sahen zwar moderner aus als die Vorgänger, boten aber die gleiche Technik, wie die selige R5 samt der Nachkriegsentwicklungen R51 bis zu den 7er-Modellen.
Man hat den ersten Gang nicht »eingelegt«, sondern unter erheblicher Gewaltanwendung geräuschvoll in seine Position krachen lassen. Beim Anfahren erhob sich die Fuhre majestätisch vorn und hinten, und wenn der zweite Gang nicht blitzschnell unter ähnlicher Geräusch- und Kraftentwicklung reingetreten wurde, sackte das Fahrwerk unter einem zusammen. Dagegen fuhr jedes Motorrad aus Japan leichter und schneller und war vor allem cooler. Wenn man die Boxertechnik aber beherrschte und akzeptierte, konnte sich der Fahrer als Beherrscher einer lebendigen Zeitmaschine fühlen. Gute alte Zeiten …
Mit diesem Rückenwind und entsprechender Positionierung wagt sich BMW nun mit der neuen BMW R18 First Edition in den Markt der Cruiser Motorräder, der zwar hauptsächlich in den USA liegt und dort von Harley Davidson und Indian bedient wird, aber auch weltweit ein wachsendes Marktsegment ist. Nur so wird das 2014 vom damaligen Motorrad-Chef formulierte Ziel erreicht, in diesem Jahr 200.000 Motorräder abzusetzen.
Nach einem fehlgeschlagenen Versuch der Bayern, 1997 mit Hilfe eines Boxer-angetriebenen Cruisers die Neue Welt zu erobern, soll es dieses Mal mit der R18 gelingen. BMW wollte dieses Motorrad für erste Fahrtests natürlich in den USA vorstellen. Doch in der Saison 2020 ist alles anders und so dürfen wir den (hauseigener Jargon) »Big Boxer« von BMW im südbayerischen Raum testen. Uns kommt das entgegen, denn kann man als Testpilot Fahrwerksschwächen der Maschine leichter entdecken.
BMW hat die Chance in Sachen Handling und Fahrverhalten gut genutzt. Das moderne Aggregat ist mit einer Anti-Hopping-Kupplung und einer elektronischen Motorschleppmomentenregelung ausgestattet. Damit lässt sich das wuchtige Triebwerk spielerisch in die Kurve hineinbremsen und ebenso treffsicher wieder herausbeschleunigen. Es ist faszinierend wie angenehm und präzise sich dieses scheinbar nur für gerade Highways gebaute Kraftwerk bewegen lässt. Auch das Getriebe ist einfach, präzise und nahezu geräuschlos zu schalten. Gute neue Zeiten …
Aber der eigentliche Hammer ist der Motor: ein Monument von einem Boxermotor, der klassisch, mechanisch und grob wirkt, obwohl er ein wahres Hightech-Aggregat ist. Mit 1802 Kubikzentimeter Hubraum leistet das Triebwerk 91 PS und das Drehmoment zwischen 2000 und 4000 U/min fällt nie unter 150 Newtonmeter und das mit klassischer Luft-/Ölkühlung und sichtbaren Chromhülsen für die vier Stößelstangen. Im Modus »Roll« kann der Motor im 6. Gang geradezu geräuschlos und ohne Vibrationen über die Straßen gleiten. Man genießt den Komfort und die Optik zwischen den Beinen mit dem Blick auf den klassischen Tank. Ganz moderne Zeiten mit der Optik der guten alten Zeit …
Aber nicht nur bei der Motorabstimmung hat BMW sich auf die Zeitreise gemacht. Der ganze Stil des neuen Cruisers ist an die bald 100 Jahre währende Historie der Firma angelehnt. Als DNA-Grundlage diente die 1936 erschienene R5. Die Aufgabe, der sich Roland Stocker als Projektleiter und Edgar Heinrich als Designchef mit Erfolg stellten, lautete, ein ebenso faszinierendes Motorrad der Jetztzeit auf die Räder zu stellen, wie es die R5 seinerzeit war. Ein modernes Motorrad mit fast allen aktuellen technischen Finessen, dezent verpackt ohne die ausgewogene Linie mit ihren historischen Anklängen zu stören.
Selbstverständlich gibt es bei der R18 eine Hinterradfederung; sie ist aber versteckt unter dem Sitz montiert. Die von der R5 abgeleiteten Stilzitate sind mannigfaltig: die offen rotierende, verchromte Kardanwelle zum scheinbar ungefederten Hinterrad, der schwarz lackierte Doppelschleifenrahmen aus Stahl, der 16-Liter-Tropfentank, die Verkleidung der Telegabel-Standrohre mit Gabelhülsen, das klassische Rundinstrument mit integriertem Display oder die Lackierung mit Doppellinierung.
Serienmäßig wird letztere nur in der First Edition geliefert aber das dürfte kaum so bleiben. Das Stichwort heißt Customizing und soll auch bei der R18 intensive Anwendung finden: die Liste der möglichen Extras erscheint endlos. Es werden verschiedene Rädergrößen angeboten, dazu kommen diverse Lampen, Lenker, Spiegel, Zylinderhauben. Die schwarze ,»Heldenbrust« – das ist der große vordere Motordeckel – kann durch ein verchromtes Exemplar aufgewertet werden und BMW hat mit Stardesigner Roland Sands bereits zwei Design-Kollektionen entwickelt.
Es gibt Extra-Auspuffanlagen von Vance & Hines und spezielle, handgefertigte Sitze sowie Sitzbänke des US-Herstellers Mustang. Natürlich arbeiten externe Customizer schon an ihren Sortimenten. Und im Gegensatz zu den 80er-Jahren kooperiert BMW mit diesen: alle hydraulischen und elektrischen Leitungen haben Kupplungstücke, um etwa veränderte Lenker, längere Leitungen, Lampen und Kabelbäume leicht anzuflanschen.
Text Sven Schrader // Fotos BMW, S.Schrader
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