Dieser Porsche 911 war das erste Turbomodell, das in Le Mans antrat – und zwar so erfolgreich, dass alle Le-Mans-Porsche danach ebenfalls Turbokraft hatten. John Barker wandelte auf den Spuren einer Rennlegende.
Was für ein verrückter Look! Ich habe viele Fotos des Carrera RSR Turbo 2.1 gesehen, aber in die Boxengasse des Rockingham Motor Speedway hinauszutreten und ihn dort in natura zu erblicken ist so, als würde man sein Wohnzimmer betreten und auf dem Sofa Rod Stewart vorfinden. Da muss ich einfach laut loslachen. Das Vertrauen, die Vision und die Kühnheit, die Porsche mit dem Bau eines solch irren Autos an den Tag legte, machen einen auch heute noch sprachlos. Was mögen wohl die Konkurrenten gedacht haben, als dieser Wagen 1974 in Le Mans in die Boxengasse geschoben wurde?
Der RSR Turbo ist die außergewöhnliche Antwort auf eine außergewöhnliche Frage, die da lautet: Was müssen wir tun, um einen 911 RSR fahrfähig zu machen, wenn wir ihm einen 500 PS starken Sechszylinder-Turboboxermotor ins Heck packen? Für Entwicklungsprojektleiter Norbert Singer, damals noch am Anfang seiner Karriere, bestand ein Teil der Antwort darin, hinten 15 Zoll breite Reifen aufzuziehen und einen riesigen Heckflügel zu montieren.
Die Gruppe 5 der damaligen FISA war eine Klasse für Silhouettefahrzeuge. Aber weil Rennwagen dazu dienen, Straßenwagen an den Mann zu bringen, musste der RSR Turbo wie ein 911er aussehen. Der große Heckflügel wurde deshalb schwarz lackiert – damit er nicht so auffiel. Von diesem Turbo 2.1 baute Porsche nur vier Exemplare, alle erhielten Nummern mit einem R. Der vierte war nur ein Entwicklungsfahrzeug.
Unser Wagen, R13, war von den dreien, die im Renneinsatz waren der erfolgreichste – er holte 1974 in Le Mans den zweiten Platz in der Gesamtwertung. Das war ein unglaublicher Erfolg, wenn man bedenkt, dass er der erste Turbowagen in der Geschichte des 24-Stunden-Klassikers war und einer Phalanx von erprobten und offenen Sportwagenprototypen gegenüberstand: als da waren Matra, Lola, Gulf Mirage, Ligier, Chevron und zwei (alten) Porsche 908.
Es ist offensichtlich, dass der R13 nie restauriert wurde. Man könnte sogar glauben, dass er seit seinem letzten Renneinsatz vor mehr als 40 Jahren lediglich gewaschen wurde, um die Inseten zu entfernen. Was für eine Patina! Die Karosserie hat Kerben und Kratzer sowie Steineinschläge auf den Seitenflügeln und Lacklücken an einem der Radkästen durch den Kontakt mit einem anderen Auto.
Die Martini-Streifen, die sich sinnlich über die Kurven des RSR ziehen, sind eindeutig von Hand angebracht und die Sponsorenaufkleber gar in Gebärdenschrift verfasst. Auf dem nahezu durchscheinenden »Martini Porsche«-Schriftzug erkennt man die Pinselstriche, so als seien zwei Lackschichten unnötiger Ballast gewesen.
Von der ursprünglichen 911er-Stahlhaut ist nicht viel übriggebliebe: nur das Bodenblech, die Spritzwand und einige Bereiche an beiden Enden der Wanne. Fast die komplette Karosserie ist aus Polyester gefertigt, nur das Dach besteht noch aus Metall, aber – um den Schwerpunkt abzusenken – eben aus Aluminium. Die 15-Zoll-Magnesium-Tiefbettfelgen mit Zentralverschluss stammen vom 917 und waren damals mit Dunlop-Slicks bereift. An diesem bitterkalten Tag aber sind sie mit Avon-Regenreifen samt aufgeklebtem Dunlop-Schriftzug bestückt.
Die reguläre Drehstabfederung des 911 war schon beim RSR 3.0 durch eine Schraubenfederaufhängung ersetzt worden und für den Turbo wurde das Fahrwerk nochmals weiterentwickelt. Die Ingenieure erschufen ein komplett maßgeschneidertes System aus Aluminium-Vierkantlenkern, verstellbaren Schraubenfedern aus Titan und Stoßdämpfern von Bilstein. All das bedeutete eine Gewichtsersparnis von 27 Kilo gegenüber dem Standard-RSR-Fahrwerk.
Neue Regularien für die Saison 1976 veranlassten Porsche dazu, sich an die Entwicklung des 935 und 936 zu begeben. R13 nahm dann 1977 unter Nennung des Interscope Teams noch an zwei Rennen teil: Ausfall mit Kolbendefekt bei den 24 h von Daytona und Platz 26 beim 3-Stunden-Rennen von Mid-Ohio – und zwar in Silber. Aber das war nur eine Klebefolie und das Martini-Design darunter war zum Glück noch intakt. Von den anderen drei RSR Turbo gehört einer immer noch Porsche: der R12. R5 und R9 stehen in Privatsammlungen.
Mit dem Carrera RSR Turbo hatte Norbert Singer seine Karriere bei Porsche gerade erst begonnen. Der turbogeladene 911-Prototyp mit dem verrückten Look ebnete den Weg zu noch radikaleren und noch erfolgreicheren Prototyprennwagen. Allen voran der 935, der wiederum seinerseits den Grundstein für die Gruppe-C- Autos legte, mit denen Porsche in den 1980er- Jahren den weltweiten Motorsport im Allgemeinen und Le Mans im Besonderen dominierte: den 956 und den 962.
Tatsächlich sind seit dem RSR Turbo alle Porsche-Sportrennwagen turboaufgeladen, bis hin zum 919. Ein beachtliches Erbe.
Fotos Alex Tapley // Bearbeitung Christel Flexney
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