1969 gab Citroën den von einem Wankelmotor angetriebenen und per Hydropneumatik gefederten M35 seinen Stammkunden zum Testen. 50 Jahre später rotiert Glen Waddington damit in ein alternatives Universum.
Unübersehbar steht auf den Vorderkotflügeln zu lesen: »Prototype Citroën M35 No.417«. Also das 417. von zwischen 1969 und 1971 produzierten 267 Exemplaren. Moment, wie bitte? Nun, ursprünglich wollten die Franzosen 500 Stück bauen, um sie zahlenden Kunden als Testfahrzeug zu übergeben. Doch bald wurde ihnen bewusst, dass man sich verkalkuliert hatte. Denn es handelte sich um einen höchst komplexen und teuren Kleinwagen. Daher hatte Citroën bei der Durchnummerierung nach dem Bau des 174. Modells – wohl in leiser Vorahnung – erst mit der Nr. 377 weitergemacht.
Ich entdeckte den M35 zum ersten Mal beim Cartier Style et Luxe. Das ist dieser noble Concours auf dem Rasen vor dem Anwesen des Duke of Richmond in Goodwood. Sir Jonathan Ive, Nick Mason, Darcey Bussell, Lorenzo Ramaciotti, Marc Newson und andere Promis debattierten gerade über Peter Neumanns XK120 mit Pininfarina-Karosserie, Johnny Butees Cadillac 62, Rainer Beckers Porsche 550 Spyder … und einen Citroën 2CV AZL von 1957. Die Ente war zusammen mit einem in England entworfenen und auch im britischen Citroën Werk Slough gebauten Bijou, einem all- radgetriebenen 2CV Sahara und eben diesem M35 zur Feier des 70. 2CV-Geburtstags ausgestellt.
Von vornherein war es ein Projekt mit vielen Unbekannten. Der Einscheiben-Wankelmotor, im Prinzip ein halbes Ro 80-Triebwerk, war wenig getestet und installiert in einem Kleinwagen zum Preis eines weitaus größeren Modells. Der dann an ausgewählte Vielfahrer vergeben wurde, die beim Kauf einwilligen mussten, mindestens 30.000 Kilometer im Jahr zurückzulegen und den Wagen jederzeit den Citroën-Ingenieuren zur Untersuchung etwaiger Probleme zu überlassen. Der Preis des nur in Frankreich verkauften 2+2-Sitzers war mit 14.120 Francs doppelt so hoch wie für eine Ente und lag damit in etwa auf dem Niveau einer weitaus größeren ID 19.
Doch was passierte nun nach dem Ende des Experiments im Jahr 1971? Citroën war nicht scharf darauf, die Kosten für Reparaturen oder Ersatzteile zu tragen und bot seinen Kunden die Rück- und Inzahlungnahme an. Wovon die meisten Gebrauch machten, zumal kaum einer der Wankelmotoren störungsfrei länger als 65.000 Kilometer abgespult hatte. Leider wurden die zurückgenommenen M35 zum Großteil verschrottet, doch schätzungsweise rund 100 entkamen der Zerstückelung. Wer sein Auto behalten wollte, musste einen Vertrag unterschreiben, der Citroën von der Vorhaltung von Ersatzteilen und allen Garantieverpflichtungen befreite.
Dennoch machte Citroën in Sachen Wankel weiter. Ein kompakter Familienwagen mit Hydropneumatik-Federung und Kreiskolbenmotor klang weiterhin verlockend, zumal der Ro 80 doch bewiesen hatte, wie gut sich der Wankel sogar für ein größeres und luxuriöseres Modell eignete. So folgte 1973 der GS Birotor mit Zweischeiben-Motor: zweimal 497,5 ccm Kammervolumen und 107 PS. Doch dann kam die Ölkrise, und die Wankel waren ja bekannt durstig. Der M35 zum Beispiel genehmigte sich 13, eher 15 Liter auf 100 Kilometer. So liefen nur 873 Birotore vom Band. Erneut bot Citroën den Rückkauf mit anschließendem Verschrotten an, doch diesmal gab es mehr Überlebende.
So endete ein kleines Kapitel der französischen Automobilgeschichte. Beim nächsten Mal, wenn Sie über den wackeligen Vortrieb eines 2CV oder Ami 8 kichern, erinnern Sie sich an den M35. Und zu welch einem sozialen Aufstieg solch Erfindergeist führen kann.
Fotos Alex Tapley // Bearbeitung // Thomas Imhof