Der Rodin FZED ist einem F1-Renner so ähnlich, wie es ähnlicher kaum geht. Jeremy Taylor flog nach Neuseeland, um ihn sich anzuschauen – und zu fahren.
Furchterregend und ein brutaler Angriff auf die Sinne – näher werden die meisten Sterblichen wohl kaum an einen ausgewachsenen Formel-1-Rennwagen herankommen als durch den Besitz eines Rodin FZED. Der Wagen basiert auf einem fehlgeschlagenen Eitelkeitsprojekt von Lotus und verlangt hundertprozentigen Einsatz sowie Nerven aus Stahl, will man an sein volles Potenzial auch nur annähernd herankommen. Ihn zu fahren, ist eine einmalige Erfahrung, und um diese zu machen, bin ich um die halbe Welt geflogen. So muss es sich wohl anfühlen, Lewis Hamilton zu sein – ohne den Lifestyle, den Haarschnitt und die Brillies natürlich.
Ich werde also einen ausgewachsenen Formelrennwagen fahren – so teuer wie die teuersten Supercars und garantiert das Neidobjekt der Boxengasse bei jedem seiner Auftritte. Für mich gilt es, den Cosworth-V8-Motor und das sequenzielle Getriebe des FZED zu bewältigen, eine Unmenge an Abtrieb und ein extrem kompliziertes Lenkrad aus Titan mitsamt einer manuellen Kupplung zu beherrschen – nur damit ich den ersten Gang einlegen und mit Vollgas aus dem Stand beschleunigen. Oder in meinem Fall aus der Boxengasse raushumpeln kann.
Die Geschichte des Rodin FZED begann 2009, als nämlich der damalige Lotus-Chef Dany Bahar den ehrgeizigen Plan verkündete, ein Formel-1-ähnliches Auto für private Käufer anzubieten. Als das Projekt fehlschlug, stieg Dicker ein und kaufte die verbliebenen Autos und die Technologie als Restposten auf. »Es schien damals eine gute Idee zu sein, aber wir stellten schnell fest, dass der Lotus nicht ausgereift war – er ließ sich nicht gut fahren und war nicht gut entwickelt worden«, erinnert sich Dicker. Also gab der umtriebige Unternehmer ein weiteres kleines Vermögen aus, um aus dem Lotus T125 ein schnelleres, besser ausbalanciertes Auto zu machen. Der Rodin wurde um 43 auf gerade mal 609 Kilogramm abgespeckt, sein Motor von 645 auf 684 PS bei 9200 Umdrehungen aufgerüstet.
Mein Mentor bei Rodin für die nächsten drei Tage ist Rennfahrer Mark Williamson. Er fährt in der Blancpain GT Serie, verfügt über jahrzehntelange Rennerfahrung und hat Dicker sein Können vermittelt. Jetzt ist er von Australien her- geflogen, um zukünftige FZED-Besitzer auf ihr Abenteuer vorzubereiten. Bevor sich irgendjemand einem Rodin – benannt nach dem französischen Bildhauer Auguste Rodin, der die Plastik »Der Denker« erschuf – nähern darf, muss er sich erst in einem McLaren 570S GT4 mit Williamson auf dem Beifahrersitz bewähren. Mit allem, was dazu gehört: volle Rennmontur, Boxenfunk, unbändige Power – und doch ist es nur ein fader Vorgeschmack auf das, was noch kommen soll.
Erst am dritten Tag hält man mich für fähig, das Abenteuer FZED einzugehen. Zuerst eine Sitzprobe, dann Anweisungen zu der ungewohnten Linksfußbremse – klingt einfach, aber wenn es so weit ist, lässt man sich allzu leicht von der Vorstellung leiten, das linke Pedal sei für die Kupplung. Wie im Dallara bin ich auch im Rodin allein, die Instruktionen des geduldigen Williamson zu den vielen Schaltern und Wippen dringen nur über Funk zu mir. Mein Allerwertester liegt so gut wie auf der Straße, das Cockpit ist unglaublich beengt und zu guter Letzt verpasst man mir auch noch eine HANS-Einrichtung …, jetzt wird es langsam ernst. Es folgt noch ein Moment der Ruhe, bevor ein externer Anlasser den V8 anwirft und die Reifenwärmer von den brandneuen Avon-Slicks heruntergezogen werden. Dann das Signal zum Losfahren und ganz unversehens stottere ich im ersten Gang davon.
Der Abtrieb, den die Aerodynamik des Rodin erzeugt, lässt den Wagen fest am Boden kleben. Die Geschwindigkeit ist atemberaubend und erinnert mich an ein Interview mit einem Space-Shuttle-Kommandeur, den ich fragte, wie es sei, mit einer Raumfähre ins Orbit abzuheben. »Als würde man in einem 30.000 km/h schnellen, führerlosen Zug ohne Bremsen sitzen«, hatte er geantwortet. Immerhin habe ich Bremsen!
Im Jahr 2016 wurde David Dicker in einer E-Mail von Lotus gefragt, ob er Interesse am Kauf der restlichen Autos hätte. Er hatte. Hier in der Box in Neuseeland kommt Dicker in seinem rostigen Mountainbike auf mich zugeradelt, um meine Meinung zu hören. »Hat es dir gefallen? Er ist nicht ganz einfach zu fahren, aber die Erfahrung ist das Training und den langen Flug hierher wert.«
Recht hat er. Doch 684 PS sind nicht genug, um Dicker dauerhaft glücklich zu machen. Er hofft darauf, die restlichen FZED so schnell wie möglich an Rennstreckenenthusiasten verkaufen zu können, um sich dann auf sein neues Vorzeige- projekt zu konzentrieren. Der FZERO hat ein geschlossenes Cockpit und sein 4,0-Liter-Biturbo-V8 produziert im Zusammenspiel mit einem Achtgang-Getriebe von Ricardo 1000 PS. Er wird vermutlich knapp 900.000 Euro kosten und imstande sein, die 2021er-Formel-1-Generation in Sachen Speed zu übertreffen. Der Name FZERO verrät es schon: Er wird um eins besser sein als die F1-Renner. Ein enormes Maß an Abtrieb und ein Zielgewicht von 605 Kilogramm werden aus ihm das ultimative Streckenauto machen.
Fotos Nathan Duff // Bearbeitung Christel Flexney