Bei der Konzeption des EB110 standen Renneinsätze nicht im Lastenheft. Trotzdem stand mit dem EB110 LM auf den Tag genau 55 Jahre nach dem letzten Bugatti-Sieg 1994 wieder ein Werks-Bugatti in Le Mans am Start.
Die Idee für das Bugatti EB110-Wettbewerbsprojekt stammt aus dem Jahr 1993. Ihr Vater: der Architekt und Designer Giampaolo Benedini, selbst ein begeisterter Rennfahrer. Wenn die Idee auch spontan faszinierend klang, die Hindernisse waren, gelinde gesagt, erheblich. Zunächst einmal wurde der Bugatti EB110 – ähnlich wie der McLaren F1 – nur als Straßenauto konzipiert. Mit einer DNA, die fest auf Sicherheit, Fahrspaß und Benutzerfreundlichkeit fokussiert war. Kaum ein idealer Ausgangspunkt für die Umwandlung in ein reinrassiges Wettbewerbsauto.
Die Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Bugatti-Werks »Reparto Esperienze« wird für das Projekt mobilisiert. Am 21. Januar 1994, nur fünf Monate vor dem Renntermin, treffen sich die Teams von Bugatti und dem Motorsportpartner Synergie, um zu vereinbaren, wie die Arbeit aufgeteilt wird. Und sie schaffen es tatsächlich: Am 5. Mai 1994 kommt der Bugatti EB110S LM zum offiziellen Testwochenende vor dem berühmten Langstreckenrennen in Le Mans an und beweist im Test, dass er die notwendige Leistung hat und der Aufgabe gewachsen ist. Das ganze Team atmet kollektiv auf.
Im offiziellen Qualifying für die 24 Stunden von Le Mans steht der EB110S LM in der LM GT1-Klasse, erreicht die 17. schnellste Zeit in einem Feld von 50 Autos. Er geht damit neben der Callaway Corvette #51 an den Start und liegt zunächst gut im Rennen. Als am 19. Juni die Sonne aufgeht ist der Bugatti EB110S LM immer noch im Angriffsmodus. Turbolader-Probleme werfen den Wagen dann jedoch zurück. Und bei der Aufholjagd gerät der Bugatti auf der Mulsanne-Geraden außer Kontrolle. Um 15.45 Uhr, nach 230 Runden und nur wenige Minuten vor Rennschluss, ist das Rennen für das Bugatti-Team beendet.
Obwohl der EB110S LM in Le Mans die Zielflagge nicht sah, hatte das Abenteuer einen positiven Nebeneffekt, denn in der zweiten Hälfte des Jahres 1994 wird die Bugatti-Fabrik von Gildo Pallanca-Pastor kontaktiert, einem Unternehmer und Erben des Vermögens einer Familie monegassischer Bauträger. Der junge Gentleman-Racer ist Eigner des Monaco Racing Team (MRT). Er möchte einen GT in der amerikanischen IMSA-Meisterschaft (GTS1 Supreme Class), in der wettbewerbsfähigen globalen BPR-Meisterschaft und schließlich mit zwei Autos und der möglichen Option eines dritten Reservewagens bei den 24 Stunden von Le Mans fahren.
Seine Ideen wecken das Interesse bei Bugatti und man will die weitere Entwicklung diesmal vollständig werksintern verwirklichen. Leider verschlechtert sich zur gleichen Zeit die wirtschaftliche Situation bei Bugatti Automobili S.p.A. sehr. Trotzdem wird am 14. Juni 1995 der EB110S SC unter Verwendung der EB110 Supersport-Fahrgestellnummer »S44« fertiggestellt.
Der Bugatti EB110S Sport Competizione wiegt in voller Rennspezifikation und fahrfertig 1380 kg, einsatzbereit für die amerikanische IMSA-Meisterschaft und geht sofort zum ersten Rennen in die USA, wo er bei verschiedenen Einsätzen Achtungserfolge erringt.
Auf das kurze US-Abenteuer folgt ein Einsatz in der Suzuka-Meisterschaftsrunde in Japan, wo der EB110S SC aber nach 104 Runden aufgrund eines Getriebeproblems ausfällt. Nur wenige Tage, nachdem er zur Reparatur ins Werk zurückgebracht wurde dann die absehbare Katastrophe: Bugatti Automobili S.p.A. wird vom Gericht für bankrott erklärt. Das Auto wird vorübergehend beschlagnahmt. Die Saison 1995 für den EB110S SC damit zu Ende.
Im darauffolgenden Jahr nimmt das MRT-Team noch einmal einen Anlauf in Daytona und in LeMans. Diesmal in Eigenregie, denn von dem bankrotten Werk war keine Unterstützung mehr zu erwarten.
Text: Johann Petit; Fotos: PMImage