Der 964 Carrera RSR 3.8 war für die Rennstrecke gedacht, nicht für die Straße. Doch ein paar von ihnen entflohen. Wir haben eines der aufsässigen Biester eingefangen.
Die Vorstellung, dass dieser 964 Carrera RSR 3.8 ein Straßenfahrzeug ist, wird von vornherein untergraben. Er ist gerade vom Transporter heruntergekommen, die Motorhaube ist geöffnet, und ich habe etwas Benzin in den 120 Liter fassenden Langstreckentank gefüllt. Nachdem ich mich durch die Stangen und Holme des eingeschweißten Überrollkäfigs gearbeitet und in den engen Recaro-Sitz habe fallen lassen, steht erst mal eine Bestandsaufnahme an. Keine Teppiche, keine Dachverkleidung, kein Schnickschnack und – ich drehe den Zündschlüssel – auch keine Schalldämpfung. Der heftige, galoppierende Boxer-Beat ist klassischer 911er Luftkühlungssound, allerdings um einiges lauter, denn zwischen dem Motor und mir ist nur lackiertes Metall. Beim Verlassen der Tankstelle ist das Fehlen einer Servolenkung spürbar, und als es über eine Naht zwischen zwei verschiedenen Straßenbelägen geht, frage ich mich, ob die Aufhängung vielleicht auch weggelassen wurde. Ich kann nicht sagen, dass ich überrascht bin. Die tiefen Alufelgen sind in die Radausschnitte geradezu hineingequetscht, so als sei das Fahrwerk soeben in einer Senke in die volle Kompression gegangen.
Es dauere eine Weile, bis der Motor warm werde, hatte mir der Eigentümer gesagt, aber ich bin trotzdem überrascht, wie sich der Boxer ziert, als ich ihm etwas mehr Einsatz abverlange, wie er ruckelt und holpert, als würde er von zu großen Vergasern gefüttert. Und das Fahrverhalten … nun ja, sagen wir’s so: Die Zuversicht, mit der der 964 Carrera RSR 3.8 die Dellen und Buckel der Land- straße in Angriff nimmt, ist erhellend. »Das sah steif aus« , sollte Fotograf Alex Tapley, der uns im Kameraauto folgt, später sagen.
Allmählich stellt sich das erwartete Ansprechverhalten ein. Aber ich gebe immer noch nicht Vollgas, bleibe unter 4000 Umdrehungen, und trotzdem ist das Kreischen des Motors fast unerträglich, eine raue Kakophonie, die durch das karge Cockpit dröhnt und die Sinne berauscht. So als säße man in einem AC/DC-Konzert zu nah an den Lautsprechern. Es ist, als wäre der 3,8-Liter-Boxermotor mit mir zusammen in der Fahrgastzelle. Ein kurzer Blick nach hinten aber bestätigt, dass sich dort wirklich nur ein paar Kabelstränge und ein Motronic-Steuergerät von Bosch in einer der Mulden befinden.
Für die Geräuschdämpfung ist der Fahrer selbst verantwortlich, Ohrstöpsel und ein Helm sind gefragt. Denn wie das Original- Datenblatt verrät, ist der RSR 3.8 »nicht für den Straßengebrauch, sondern für die Rennstrecke« gedacht. Doch dieses Exemplar und ein paar andere in der Porsche-Kundensportabteilung in Weissach gebaute RSR haben nie Rennnummern, dafür aber amtliche Kennzeichen getragen. Der Grund dafür erschließt sich nicht, denn es gab schließlich eine Straßenversion des RSR. Der RS 3.8 war das Homologationsmodell, das es dem RSR erlaubte, an GT-Meisterschaften und »Blue Riband«-Rennen rund um den Globus teilzunehmen. Warum also nicht einfach einen RS 3.8 kaufen?
In damaligen Berichten wird der RS 3.8 als sehr einfaches Auto beschrieben, das keine Rücksitze, keine elektrischen Fensterheber und keine Servolenkung hat. Aber alles ist relativ. Die beiden Autos wiegen in etwa dasselbe; der noch stärker entkernte, aber mit einem Überrollkäfig ausgestattete RSR ist mit 1215 Kilogramm einen Hauch schwerer als der RS. Dafür hat er etwas mehr Power unter der Haube: 325 PS gegenüber 300 beim RS. Die 325 sind allerdings – wie wir noch sehen werden – ein eher konservativer Wert.
Text John Barker // Fotos Alex Tapley // Bearbeitung Christel Flexney