Text Gabriele Spangenberg, Berthold Dörrich
Bei unseren Brieffreunden, Presenting Editor Gabriele Spangenberg und Chefredakteur Berthold Dörrich, ist man sich nicht wirklich einig. Will man nun erwachsen sein oder nicht…? Lesen Sie selbst!
// Lieber Berthold,
ist das wahr? Ist dies wirklich schon die 18. Ausgabe der deutschen OCTANE? Sind wir nun erwachsen? Wer hätte gedacht, dass man sich 18 Ausgaben lang mit automobilen Klassikern beschäftigen kann, ohne auch nur einen kleinen Teil der Faszination zu erfassen, die diese auf uns ausüben? Ich habe das Gefühl, wir haben noch gar nicht richtig losgelegt!! Es gibt noch so unendlich viel zu berichten, beleuchten, erforschen! Nach wie vor gibt es Millionen armer Unwissender, die bei Ballett an Schwanensee oder Prima Ballerina Assoluta denken, nicht aber Walter Röhrls Tanz der Pedale.
Noch zu viele Nachbarn, die empört hinter den Vorhängen hervorgucken, wenn ein Sechszylinder aufbrüllt, sogar solche, die selbst wütend brüllen, weil nebenan ein Auspuffdeckelchen ein winziges Loch hat. Es gibt ganze Gruppen, die bei dem Wort »Duft« an Chanel No.1 denken, oder an frischgebackene Plätzchen, nicht aber an den Geruch von altem Leder, getränkt in einer köstlichen Mischung aus Motoröl, Benzin und Angstschweiß. Stell Dir vor: In dieser Großstadt Köln finde ich Vereinzelte, die nicht erkennen wollen, dass das Auto das wichtigste Kulturgut des Industriezeitalters ist!
Und ich will gar nicht wissen, wie düster es in Restdeutschland mit dieser Erkenntnis aussieht. Für den Normalbürger ist ein Oldtimerfahrer ja ein schnauzbärtiger, leicht ergrauter Mann in Bomberjacke, Lederkäppi und komischer Brille, der eine schwere chrombeladene Karosse unter Aufbringung aller Kräfte steuert, stets Dixieland Jazz hört und betuliche Gemütlichkeit im Auge hat. Denn Oldtimer, klar, sind mindestens hundert Jahre alt, hoch poliert, einer höheren Einkommensklasse vorbehalten und fahren höchsten 35 km/h. Sind also nicht für sinnvolle Fortbewegung geeignet. Zudem verbrennen sie irrsinnig viel Sprit und Geld, welches als dunkler Rauch aus dem lauten Auspuffgepustet wird.
Solange die großen Automuseen als Sehenswürdigkeiten oder Kultstätten, nicht aber Kulturschauplätze gesehen werden, führt für uns kein Weg daran vorbei. Auch als erwachsenes Magazin müssen wir an Träumen weiterarbeiten. Damit zwischen den Zerrbildern der Geldvernichtungsmaschine und des Spekulationsobjekts ein anderes Bild vom automobilen Klassiker entstehen kann. Differenzierter, nachdenklicher, weniger massenmediengeeignet und schlagzeilentauglich.
Welches Hobby, welche Passion, welches Objekt bringt schon so viele unterschiedliche Menschen zusammen? Rocker, Architekten, Ärzte, Hausfrauen, Reiche und Arme, Busfahrer, Unternehmer, Kioskbesitzer und Gemüsehändler. Was ist demokratischer als die Liebe zu den alten Autos? Okay, okay, es soll auch solche Menschen geben, die sich tatsächlich als glücklich bezeichnen, ohne jemals signifikanten Kontakt zu einem alten Auto gehabt zu haben. Auch das ist wundervoll – nur nicht sehr wahrscheinlich. Jenseits des Stammtisches (den ich auch sehr liebe), gibt es ein Leben mit klassischen Automobilen zu erkunden, Bedeutungsebenen, von denen wir nicht mal träumen! Wir haben gerade erst angefangen! Es gibt noch viel zu erkunden. Fahren wir los! //
// Liebe Gabriele,
Du fragst im Ernst, ob wir jetzt erwachsen sind? Du? Im Gegenteil! Noch nie habe ich mich so unerwachsen gefühlt wie heute! Immer dann, wenn ich in einen Klassiker steige, habe ich das Gefühl, dass ich die Freiheit wieder spüre, die uns bewegt hat, als wir mit unseren Enten die ersten Trips nach Frankreich machten. Immer der Nase nach und mit der Überzeugung, dass es so etwas wie Zeit für uns nicht gibt.
Die Mittelmeerküste habe ich damit zwar nie erreicht, denn natürlich gab es auch damals Zeit und die Notwendigkeit, Mark und Francs für die Trips irgendwie mit Studentenjobs zu verdienen. Aber das Gefühl unendlicher Freiheit war doch unser ständiger Begleiter. Ebenso wie die Reparatur-Halts am Straßenrand. Natürlich ungeplant und vielleicht des-halb eine der besten Möglichkeiten, Land, Leute und lokale Schrauber kennenzulernen. Kaum anders ist das heute mit dem Klassiker, sofern man nicht gleich bei der ersten kleinen Panne den Heimholdienst des Auslandsschutzbriefes bemüht und der heimischen Werkstatt schon von unterwegs mit dem Rechtsanwalt droht.
Entschleunigung wird ja gerade als großer Trend propagiert. Gibt es eine bessere Form der Entschleunigung als die einer Reise mit dem Klassiker – gerne auch mit Panne, sofern man richtig damit umgeht und sich darauf einlässt? Und vor allem: danach winkt zur Abwechslung ja wieder echte Beschleunigung, die man ganz ungeniert auf kleinen Sträßchen ausleben kann. Okay, so richtig politically correct ist das jetzt vielleicht nicht – waren wir damals auch nicht. Aber Spaß hat’s gemacht und gehört zum Jungsein irgendwie auch dazu.
Also ich widerspreche vehement: Erwachsen? Nein! Und ich will auch nicht, dass unsere Zeitschrift so erwachsen wird – auch nicht nach der 18. Ausgabe. Im Gegenteil! Unbeschwert, unkonventionell und anders wollten wir von Anfang an sein. Und ich glaube, das ist bis hierher ganz gut gelungen. Gerade neulich ist uns das in unserer Leserumfrage wieder bestätigt worden: 2/3 aller Leser fnden das, was wir machen »sehr gut«. Fast ein weiteres Drittel »gut«. Vor allem aber schätzt mehr als die Hälfte an OCTANE, dass wir anders sind als andere Klassiker-Zeitschriften. Ich finde, das ist das beste Argument, nicht erwachsen zu werden!
Übermütig zu bleiben und Dinge zu tun, die andere nie tun würden. Vielleicht haben wir uns auch deshalb dazu entschieden, in dieser Geburtstagsausgabe die besten Geschichten aus den ersten drei Jahren noch einmal gesammelt zu präsentieren. Viele Leser kennen uns ja erst seit wenigen Aus-gaben und haben deshalb einige der besten Stories aus den Anfangstagen von OCTANE verpasst.
Voilà, kein Problem! Und natürlich haben wir rechtzeitig zum Geburtstag noch mehr interessante News für unsere Leser: OCTANE gibt es ab sofort auch als E-Paper für das Tablet oder den PC zum Download in den App-Stores von Apple, Google und Amazon. Übrigens auch alle alten Ausgaben, die als gedrucktes Heft schon längst vergriffen sind! Wir machen es also jedem wirklich einfach, mit uns loszufahren. Schön, dass Sie dabei sind und mit uns jung bleiben wollen! ////
Roadbook: Die unterhaltsame Brieffreundschaft zwischen Gabriele Spangenberg (Presenting Editor) und Berthold Dörrich (Chefredakteur), an der die beiden Klassiker-Liebhaber uns in jeder OCTANE-Ausgabe teilhaben lassen, lässt häufig tiefer blicken. Vor allem aber gibt der Briefaustausch jedes Mal aufs Neue Grund zum Schmunzeln. Einblicke in einen Alltag, welcher unsere beiden Brieffreunde regelmäßig vor neue (Klassiker-)Fragen stellt.