Hans Herrmann
Text Matthias Penzel // Fotos Kai R. Joachim Photography
IN DER MOTOR WORLD BÖBLINGEN WÜRDIGT EINE RETROSPEKTIVE DIE ERRUNGENSCHAFTEN EINES MANNES, DER VOR DERMASSEN VIELEN JAHREN SCHON SO VIEL GESCHAFFT HAT, DASS JUNGE GEMÜTER KAUM MITKOMMEN – DIE REDE IST VON HANS HERRMANN
Rennfahrer zu treffen und aus nächster Nähe zu erleben, ist immer sehr spannend. Manchmal ist die Vorstellung solch einer Begegnung viel besser als die Erinnerung. Denn bisweilen ist es ernüchternd. Wenn jemand etwas geleistet hat, also nicht nur zufällig weltberühmt geworden ist, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er als Mensch etwas ausstrahlt, das man nicht vergisst, das nicht enttäuscht. Andererseits: Rennfahrer? Sehr schnell, sehr kühl, kalkulierend.
Die Ehrlichen wissen, dass Erfolg auch vom Glück abhängig ist: Wie lang ist die Saison, wie lang hält das Auto? Sowohl Glück als auch Erfolge hat Hans Herrmann in Mengen gehabt. Er muss niemandem mehr irgendetwas beweisen. Die Statistik seiner Rennfahrerei ist zu umfangreich, um hier aufgelistet zu werden – zu den Höhepunkten zählen einige Achtungserfolge als Newcomer in der Formel 1, die fast zwanzig Jahre, in denen er immer wieder in Le Mans am Start war, seine Punkte-/Siege-Quote, die bei Langstrecken besser war als in seiner kurzen F-1-Zeit. Und sein Gesamtsieg beim letzten Einsatz in Le Mans 1970, mit Richard Attwood im Porsche 917K.
Alles schön und gut, aber wenn jemand inzwischen über 85 Jahre alt ist, muss man ihn ja nicht zum tausendsten Mal zu denselben Rennen befragen. Spannender als Statistik und Renngeschichte ist doch, was einen wirklich berührt. »An was denken Sie?«, erwidert er dazu. Er ist wirklich neugierig, klingt aber auch unheimlich hilfsbereit. Will wissen, was man wissen will.
Dann holt er aus. »Ich bin ja aus einer Generation, die den Krieg noch miterlebt hat. Mit Bomben und allem, da war ich zehn, elf Jahre alt. Und ich musste dann am Schluss doch noch einrücken – auch noch das!« Er unterbricht sich scheinbar selbst. Die Rhetorik ist wie von jemandem, der mit Zwischengas vertraut ist. Während das Erzählte an Tempo und Drive zunimmt, gibt es immer diese Momente des Besinnens, Nebenschauplätze, andere Perspektiven. »Ein ganz großes Erlebnis war für mich dann, als Ferry Porsche gesagt hat: ‚Sie bekommen den Wagen.‘ Damit hatte ich dann ja Erfolg.«
MEIN ERSTER EINSATZ FÜR MERCEDES-BENZ IN DER FORMEL 1 WAR DER 4. JULI 1954, DAS WEISS MAN DESHALB, WEIL AN DEM TAG DEUTSCHLAND FUSSBALL-WELTMEISTER WURDE
Nach Zuverlässigkeitsfahrten in einem privaten 356er hatte Herrmann 1953 seinen ersten Werkseinsatz für Porsche in Le Mans – wo er mit Helm Glöckler in seiner Klasse gewann. »Daraufhin kam Ferry Porsche und hat mir – per Handschlag, einen Vertrag habe ich nie gehabt – das gesagt. Da gab’s keinen Vertrag, da gab’s ein Ehrenwort. Zwischen Menschen. Nicht so wie heute mit einem Abkommen, das in drei oder vier Ordnern zusammengefasst wird, dazu Manager und fünf Anwälte oder sowas. Er hat mir angeboten, im Jahr ’54 um die deutsche Meisterschaft zu fahren. Er hat mir das Fahrzeug zur Verfügung gestellt und ich wurde auch Deutscher Meister.«
Beim Kriegsende war Herrmann 17. In den folgenden zehn Jahren war sein Aufstieg kaum zu stoppen. Mit den Größten der Zeit – Fangio, von Trips usw. – fuhr er in den folgenden zehn Jahren, hinter und vor ihnen. »Dann hat Daimler-Benz begonnen, das Team wieder aufzubauen. Dafür haben sie den fixen, den besten Fahrer, den es damals gegeben hat, engagiert, Juan Manuel Fangio. Sie wollten mit drei Fahrzeugen fahren, weshalb sie eine Auswahl von vier Fahrern zum Nürburgring geholt haben, um zu sehen: Wer ist der Schnellste? Der sollte dann als dritter Fahrer ins Team. Bei der Auswahl waren damals der Hans Kling, Günther Bechem und Paul.«
Ganz schnell fährt er dann fort, als langweile ihn das nun fast: »Ich war aber der Schnellste und kam deshalb ins Team. Mein erster Einsatz für Mercedes-Benz in der Formel 1 war der 4. Juli 1954, das weiß man deshalb, weil an dem Tag Deutschland Fußball-Weltmeister wurde.«
HÄTTE KLING NICHT DIE DRÄHTE ENTFERNEN LASSEN, WÄRE HERRMANN BEI SEINEM UNFALL WAHRSCHEINLICH GEKÖPFT WORDEN
Beim Grand Prix der Schweiz in Bremgarten fuhr Herrmann schon aufs Treppchen. Hinter Fangio und Gonzalez, den Männern der Saison. Fangio war ein wunderbarer Mensch. Er war ein … ein Herr. Obwohl er aus kleinen Verhältnissen kam, war er eine Erscheinung. Und er hat mir unglaublich viel geholfen. In vielen kleinen Dingen, die es mir doch leichter gemacht haben, in das Team hineinzukommen.« Hans Herrmann bekam schon früh den Spitznamen Hans-im-Glück, zum einen, weil er bei diversen Unfällen unfassbares Glück hatte, auch weil ihm das Pech anderer manchmal ein gutes Blatt servierte.
Mit den Unfällen und Defekten – auch der Formel-1-Episode – hatte er andererseits so viel Pech, dass er sich ebenso gut als Hans-im-Unglück hätte bezeichnen können. Doch genau das liegt seinem Charakter so fern wie der Mond. Eine der wohl gemeinsten Pannen war der Defekt bei der Mille Miglia, wo er Fangio und Moss besiegt hätte (siehe Zündung/Brooom in dieser Ausgabe). Aus seiner Sicht das größte – vollkommen theoretische – Glück war, wegen eines unumgänglichen Kranken-hausaufenthalts nicht in Le Mans dabei gewesen zu sein, als es dort zur Katastrophe kam, mit seinem Einsatzwagen mittendrin.
Hans Herrmann war aber auch in einen der wirklich tollsten und verrücktesten Unfälle verwickelt. Nicht vor den Augen der Öffentlichkeit. In Hockenheim 1954. »Da hatten wir Testfahrten mit dem Kling. Der Hockenheimring wurde damals noch in der anderen Richtung . Ich hatte wieder riesiges Glück. Weil der Karl Kling – bevor wir begonnen hatten – die Rennstrecke einmal abgefahren ist«, spricht er nun mit ganz anderem Ton, kurz Zwischengas, danach einen Gang höher.
»Er sah, dass bei zwei, drei Ausgängen ein Draht gespannt war; in der Höhe, wo, wenn wir da angekommen wären, der Kopf weg gewesen wäre. Da hat er den Draht entfernen lassen. Das war mein Glück. Und dann noch das: Später platzt innen ein Ölschlauch, der eigentlich im Motorraum hätte verlegt werden müssen. Er war aber im Fahrerraum, bei mir unten. Und da ist mir über 120 Grad heißes Öl draufgespritzt, ich bin mit dem Fuß immer wieder von der Bremse abgerutscht – und habe dann diesen Ausweg gefunden, Richtung Hockenheim in den Ort rein.«
ICH WERD’ JETZT OHNMÄCHTIG – DAS HABE ICH RICHTIG GESPÜRT
Und dann kommen die Worte wie im Stroboskoplicht runtergerattert: »Ich kann jetzt, von der Geschwindigkeit komm ich also kaum mehr weg, weil ich immer, weil der Schmerz so wahnsinnig war, wie der Bremsweg und die Bremsscheiben – und ich hab’ diese Verlängerung der Straße erwischt. Und in dem Moment kamen zwei Mädchen von rechts, nun hab ich das Auto nach links gerissen, und da haut’s mich gegen die Hauswand mit dem Auto. Mich hat’s rausgeschmissen. Damals waren wir nicht angebunden, wir hatten nur Helmchen. Ich bin da raus, zu dem Laden da auf der Straße hin, und denke: Ich werd’ jetzt ohnmächtig – das habe ich richtig gespürt. Und denke: Wo kann ich mich jetzt hinlegen?
Und da sehe ich eine Tür, geh rein, und seh’ eine Couch – und da hab ich mich dann hingelegt. Und da war ich ein bisschen weg. Dann hörte ich aber nach einer Weile dann, von Weitem: ‚Um Gottes Willen, der Fahrer, der ist … der ist ja tot, der liegt da drin, an der Wand, unterm Auto‘. Ich lag aber drinnen auf der Couch. Zu mir gekommen, richtig zu mir gekommen bin ich dann, als vier oder fünf Köpfe zu mir runterschauten. Das war der Neubauer, das war der Uhlenhaut, das war der Kling, das waren also die, die da waren. Und ich hatte also nur Verbrennungen durch das Öl. Und der Kling hat mich dann heimgefahren. Das sind so Sachen, die wurden nie groß publik. Aber das sind so Momente, die man im Leben nie vergisst.«